Expertin des Monats
März 2005
o.Univ.-Prof. DI Mag. Dr. Gerti Kappel

Gerti Kappel ist Professorin für Wirtschaftsinformatik an der Technischen Universität Wien und leitet die Business Informatics Group am Institut für Softwaretechnik und Interaktive Systeme. Nach einem Doppelstudium von Betriebsinformatik an der Universität Wien und Informatik an der TU Wien war sie bereits mit 24 Jahren Magistra und Diplomingenieurin und mit 33 Professorin für Informationssysteme an der Johannes Kepler Universität Linz.

Im nachfolgenden Interview spricht sie über ihren ganz persönlichen Karriereweg, über die Faszination Wissenschaft, wie sie Beruf und Familie vereinbart, wer sie selber gefördert hat und wie sie nun Frauen ein Technikstudium schmackhaft macht und auf ihrem Weg unterstützt.

Interview

Wo liegen Ihre ganz persönlichen Wurzeln?

Ich bin in Wien geboren. Aber meine Wurzeln liegen im Burgenland, in einem bäuerlichen Milieu. Meine Eltern arbeiteten von Montag bis Freitag in Wien und waren am Wochenende im Burgenland. Bis 16 habe ich meine gesamte Freizeit am Bauernhof und auf dem Feld verbracht. Das hat mir eine gute Startbasis fürs Leben gegeben: Ich hab körperliche Arbeit schätzen gelernt – und die Devise: Man muss etwas tun, dann kann man etwas erreichen.

Erreicht haben Sie viel. 1993 wurden Sie Professorin an der Uni Linz, seit 2001 sind Sie Professorin für Wirtschaftsinformatik an der TU Wien. Was ist Ihr Arbeitsgebiet?

Ich mache Software Engineering im Bereich Webanwendungsentwicklung: Das sind Konzepte, Methoden und Techniken, um Software für Webanwendungen besser – also zuverlässiger, schneller, anpassungsfähiger – zu bauen. Das Web hat eine neue Entwicklungs- und Delivery-Plattform gebracht. Wir bauen Software mit den neuen Technologien, die durch das Web entwickelt wurden. Gleichzeitig ist das Web eine Delivery-Plattform: Jeder mit Internet-Zugang – ob in einem Tiroler Bergdorf, in New York oder in Japan – kann es benutzen. Das stellt ganz neue Herausforderungen an die Software: Sie muss verständlicher sein – multilingual sowieso, aber auch kulturelle Aspekte berücksichtigen. Ein Tourismusportal muss ich für Japan anders machen als für Deutschland.

Es gibt den Slogan anytime, anywhere, any media, der unsere Aufgaben prägnant zusammenfasst. Any media bedeutet, für unterschiedliche Geräte die entsprechenden Anwendungen zu entwickeln: für den 21 Zoll-Bildschirm genauso wie fürs Handy oder den PDA. Weiters wollen wir Anwendungen bauen, die an den Kontext anpassbar sind. Wenn Sie um Mitternacht mit Ihrem Vienna Tourist Guide durch Wien spazieren, brauchen Sie keine Beschreibung eines Museums, das um diese Zeit sowieso nicht offen hat, sondern die Beislszene und Tipps für ein gutes Lokal. Das wäre anytime. Diese Kontext Awareness und Adaptivität sind für ubiquitous computing – allgegenwärtiges Computing – notwendig.

Außerdem habe ich über die Spezifikationssprache UML (Unified Modeling Language) gemeinsam mit einem Kollegen ein Buch geschrieben. UML ist eine Sprache, um Modelle zu bauen. Die gesamte Software wird heute grafisch entwickelt. Beim Bauen einer Software sind Programmieren und Kodieren nur mehr die letzten 20 Prozent der Arbeit. Die 80 Prozent Arbeit davor ist mit der Arbeit eines Architekten vergleichbar. Er gestaltet sein Artefakt, redet mit den Benutzern über ihre Bedürfnisse, entwirft ein Modell, verfeinert es. Diese 80 Prozent Arbeit vor dem eigentlichen Programmieren heißt Software Engineering.

Arbeiten Sie in Ihrem Forschungsbereich mit Unternehmen zusammen?

Wir haben mit Siemens WAP-Anwendungen für den Logistikbereich entwickelt. Das zweite Projekt war das Tourismus-Portal Tiscover. Die Uni Linz hat dafür das technische Konzept entwickelt, und die TU Wien hat enge Forschungskontakte mit Linz.

Sie haben geradlinig und schnell Karriere gemacht: Doppelstudium Betriebsinformatik an der Uni Wien und Informatik an der TU Wien, mit 24 waren Sie bereits Magistra und Diplomingenieurin, und mit 33 Professorin in Linz. Haben Sie das von Anfang an so geplant?

Es waren kleine Schritte – nach dem Studium wurde mir eine Assistentenstelle am Statistik und  Informatik-Institut von Professor Bruckmann angeboten. Also habe ich dissertiert – das hatte ich vorher gar nicht wirklich im Sinn. Nach der Promotion sagte mein Chef: Du musst unbedingt zu einem Post-Doc-Aufenthalt ins Ausland. Also ging ich an das Centre Universitaire d’Informatique in Genf. Nachdem ich zurückkam, habilitierte ich mich.

Die Entscheidungen habe ich schrittweise getroffen. Aber sobald ich zu etwas entschlossen war, habe ich meinen Weg konsequent verfolgt. Für mich war auch klar: Solange ich dissertiere und mich habilitiere, werde ich keine Kinder kriegen. Es gibt genug, die das tun, und ich habe große Hochachtung dafür – aber es kostet so viel Energie! Ich habe versucht, die Karriere zuerst in die Bahn uu bringen und dann Kinder zu kriegen.

Sie haben das bewusst entschieden?

Ja. Mein Mann hätte lieber früher die Kinder bekommen. Er kümmert sich nun um die Kinder – mit allen Vor- und Nachteilen. Ihm fällt genauso die Decke auf den Kopf wie sie einer Frau auf den Kopf fallen würde, nur vielleicht sagt er es deutlicher. Mein Mann ist ebenfalls Informatiker, hat früher in der Industrie gearbeitet und später freiberuflich Projekte gemacht. Als 1996 unser Sohn Sebastian geboren wurde, hat er diese Arbeit unterbrochen, bis Sebastian in den Kindergarten kam. Dann arbeitete er wieder freiberuflich, bis 2002 Stefanie geboren wurde.

Wie sehen Sie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie? Hat sich an Ihrer Arbeit etwas geändert, seit Sie Kinder haben?

Besonders seit ich zwei Kinder habe. Ich arbeite jetzt zwei Drittel dessen, was ich früher gearbeitet habe – manchmal nicht einmal ganz 40 Stunden in der Woche, bis maximal 50 Stunden wöchentlich. Das Wochenende bleibt immer für die Kinder. Früher habe ich mindestens 60 bis 70 Stunden gearbeitet, in den heißen Phasen noch mehr. Es war normal, einen 14-Stunden-Tag zu haben, um 8 oder 9 ins Büro zu gehen und um Mitternacht nach Hause.

War es für die Karriere notwendig, so viel zu arbeiten?

Eigentlich sind wir sehr frei in unserer Arbeit, sobald wir eine Professur haben. Ich war mit 33 Professorin – Freunde fragten mich einmal: ‚Und jetzt? Was tust du denn nun bis zur Pension?’ Man treibt sich einfach selber weiter. Weil es Spaß macht. Ich müsste nicht Studiendekanin sein und den Doktoratsstudienplan machen. Aber es macht Spaß, etwas zu gestalten, ein neues Buch zu schreiben, eine Lehrveranstaltung zu entwickeln. Die Latte legen wir uns immer selber. Wenn ich mir in den acht Jahren in Linz ein leichtes Leben gemacht hätte, wäre es schwerer gewesen, mich auf eine andere Uni zu bewerben.

Als Frau in einer technischen Wissenschaft tätig zu sein – gibt es da Unterschiede zu Männern?

Wissenschaft zu machen – egal ob von Mann oder Frau – heißt, nicht nur einen Beruf zu haben, sondern eine Berufung. Wenn ich mich dafür entscheide, entscheide ich mich gegen einen nine to five Job. Denn es macht Spaß, sich in dem Bereich – in meinem Fall die Informationstechnologie – ständig weiterzubilden. Wir lernen permanent. Eigentlich kann man sagen: Wir werden fürs Lernen bezahlt. Super. Und wir werden dafür bezahlt, das Wissen, das wir uns aneignen, an andere weiterzugeben. Dafür muss ich natürlich viel tun.

Aber das Schöne am Wissenschaftsbetrieb ist, dass wir absolut frei sind. Wir selber treiben uns an – das ist ohnehin am schlimmsten. Wenn ich Wissenschaft definiere, sage ich immer, es ist eine Mischung aus Masochismus und Egoismus.

Der Unterschied zwischen Männern und Frauen in der Wissenschaft ist, dass es Männern mehr zugetraut wird, viel zu leisten, und dass sie dafür mehr Unterstützung bekommen. Bei einem Mann wird auch weit eher akzeptiert, dass er den nötigen zeitlichen Einsatz zeigt, um in der wissenschaftlichen Karriere voran zu kommen. Nur ein kleines Beispiel: Ich hatte nie ein Problem mit meinem Mann wegen meines Berufs, aber in unserem Bekanntenkreis hat es oft Unverständnis dafür gegeben, dass ich so viel arbeite – erst die Dissertation, dann die Habilitation, dann die Professur – und dass mein Mann es mit mir aushält, wo ich doch so wenig Zeit mit ihm verbrächte.

Haben Sie jemals persönlich Diskriminierung erlebt?

Bewusst habe ich es nicht erlebt – vielleicht ist es passiert, und ich habe es nicht wahrgenommen. Einen Satz wie ‚Sie können das nicht, weil Sie eine Frau sind’ habe ich selber noch nie gehört. Es läuft viel subtiler. Frauen werden erstmal genauso wie Männer im Wissenschaftsbetrieb aufgenommen. Kritisch wird es, wenn sie Kinder bekommen.

Manchmal werden die Frauen dann plötzlich fallengelassen. Einer Freundin ist dies in der Post-Doc-Phase passiert. Da wurden Reisen zu wichtigen Konferenzen nicht mehr bezahlt und andere Schikanen – bis sie entnervt das Handtuch warf. Kinder werden als Problem der Frau betrachtet – dabei sind sie eine Angelegenheit der Gesellschaft. Es gibt zwar keine offene Diskriminierung, aber auch wenig Unterstützung.

Es gibt Studien, wonach erfolgreiche Frauen oft Einzelkinder oder das älteste Kind sind und vom Vater sehr unterstützt wurden. Wie war das bei Ihnen?

Ich bin ein Einzelkind! Und wurde von meinem Vater sehr unterstützt. Er war streng, aber er hat mir etwas zugetraut. Mit 14 hat er mir Autofahren gelernt, mit 15 bin ich mit dem Traktor auf dem Feld gefahren. Von ihm habe ich auch die Liebe zur Mathematik.

Sie engagieren sich bei diversen Projekten wie WIT – Wissenschafterinnenkolleg Internettechnologien, und FIT – Frauen in die Technik.

Ich habe das FIT-Projekt für Linz entwickelt, und an der TU bin ich Projektleiterin für WIT. Erstens bieten wir acht Informatik-Dissertantinnen eine Art Gehalt und betreuen sie intensiv. Zweitens wollen wir mehr Mädchen für die technisch-naturwissenschaftlichen Studien gewinnen und bieten deshalb Schnuppertage für Schülerinnen an. Die WITDissertantinnen und andere Studentinnen gehen an die Schulen und machen beispielsweise Computer-Einführungskurse für zehn- bis zwölfjährige Mädchen. Damit kann man Technikfeindlichkeit sehr früh abbauen. Manche Schulen in Österreich sind noch immer sehr konservativ, in Rollendenken verhaftet. Die Direktorin eines Gymnasiums sagte mir kürzlich: ‚Meine Absolventinnen studieren Jus und Medizin und Wirtschaft, die machen nicht Technik.’ Auch manche Professoren hab ich erst mühsam überreden müssen, doch Schnuppertage anzubieten – und dann waren sie begeistert über das Interesse der Mädchen und ihre klugen Fragen.

Drittens bieten wir laufbahnunterstützende Maßnahmen. Denn es wäre schade, wenn junge Frauen an die TU kommen und dann frustriert wegbleiben, weil sie den Jargon nicht so beherrschen wie die Burschen. Deshalb machen wir Crashkurse in Hardware, Linux und Programmieren, um den Erstsemestrigen eine Einstiegshilfe zu bieten. Mit dem netten Nebeneffekt, dass sie gleichzeitig eine Kleingruppe haben, mit der sie gemeinsam studieren können.

Vorreiter für viele dieser Maßnahmen sind amerikanische Universitäten. Die Carnegie Mellon University in Pittsburgh etwa, eine der Top-Universitäten in den USA, hat es im Bereich IT geschafft, den Frauenanteil bei Studienbeginn von acht Prozent im Jahr 1995 auf 35 bis 40 Prozent seit 1999 hochzuschrauben. Die haben sich vom Rektorat abwärts zum Ziel gesetzt, ein geschlechtergerechtes und sensibles Umfeld zu schaffen. Die Studienpläne wurden durchforstet und neue Lehrmethoden umgesetzt.

Welche Unterstützung und Förderung haben Sie persönlich in Ihrem Berufsweg erfahren?

Ich hatte immer ein sehr liberales Arbeitsumfeld. Ich war Assistentin bei Professor Gerhart Bruckmann, dem „Hochrechner der Nation“. Er ist ein sehr liberaler Mensch. Bei ihm haben sich zu meiner Zeit drei oder vier Frauen habilitiert. Es ist ganz wichtig, dass man – ob Mann oder Frau – ein unterstützendes Vorbild hat. Das versuche ich auch weiterzugeben, ich sehe meine gesellschaftspolitische Verantwortung. Vor vier Jahren bat mich eine junge Frau – eine exzellente Mathematikerin, Mentorin für sie zu sein. In Mathematik kann ich ihr sicher nichts beibringen. Aber mir ist bewusst geworden, dass ich ihr viel von meiner Erfahrung weitergeben kann – welche Fragen darf ich wo stellen? Was mache ich, wenn mich jemand schief anredet?

Besonders wichtig ist es, Männer in verantwortungsvollen Positionen für dieses Thema zu sensibilisieren.

Es gibt ein Foto von Ihnen, das Sie mit einer Krawatte zeigt. Warum tragen Sie Krawatten?

Mir hat es immer schon gefallen, Krawatten zu tragen. Und eines ist ganz klar: Mit einer Rüscherlbluse brauche ich nirgendwo hinzugehen. Wenn ich ein Sakko mit breiten Schultern anhabe, werde ich wahrgenommen. Ich hab mich früher immer gegen solche Äußerlichkeiten verwehrt. Ich dachte, wichtig sei es, wie ich innerlich bin. Doch das ist uninteressant. Wichtig ist, wie Sie wo auftreten!

Das Interview führten Inge Schrattenecker und Margarete Endl von der ÖGUT – Österreichische Gesellschaft für Umwelt und Technik.