Expertin des Monats
Juni 2020
Dr.in Svenja Schröder M.Sc. B.Sc.

In den letzten 15 Jahren hat sich in diesem Bereich sehr viel geändert und ich begrüße den wachsenden Frauenanteil in naturwissenschaftlich-technischen Bereichen. Trotzdem existiert die gläserne Decke nach wie vor und Care Work ist in den allermeisten Fällen nach wie vor Frauensache. Um systemische Veränderungen zu erzielen braucht es einen systemischen Ansatz und eine breite Vernetzung zur gemeinsamen Sache. Manchmal reicht es als gutes Vorbild voranzugehen und Mädchen/Frauen zu zeigen, dass naturwissenschaftlich-technische Berufe/Forschungstätigkeiten Spaß machen können und auch nicht schwerer zugänglich sind als andere Berufszweige. Manchmal muss man aber auch aufstehen und für die eigenen Rechte einstehen. Nach bestem Wissen und mit allen Kräften wähle ich aus beiden Varianten.

Interview

FEMtech Interview Svenja Schröder

Was steht auf Ihrer Visitenkarte?
Dr.in techn. Svenja Schröder, M.Sc. B.Sc.
Requirements Engineer by Choice

Was macht die dataformers GmbH genau?
dataformers entwickelt individuelle Software und digitale Produkte im Auftrag Österreichs führender Unternehmen. Das interdisziplinäre Team umfasst 60 Expert*innen für Software Development, Requirements Engineering und User Experience Design (UX-Design) sowie Data Analytics und IT-Projektmanagement. Entwickelt werden etwa mobile Apps, Web- bzw. Kund*innenportale oder Internet-of-Things Lösungen zur Maschinenanbindung. Die Kund*innen reichen von Leitbetrieben der heimischen Industrie über moderne Dienstleistung bis hin zu Start-ups. Alles steht unter dem Motto „Technologie mit Mehrwert“.

Sie sind Requirements Engineer, was machen Sie da genau?
Als Requirements Engineer sorge ich dafür, dass eine Software an die Kund*innenwünsche angepasst entwickelt wird. Dafür erhebe, dokumentiere und verwalte ich alle Anforderungen von Kund*innenseite an ein Softwareprojekt. Beratung gehört ebenfalls dazu. Während des Projektes bin ich dann die Schnittstelle zwischen Kund*in und Entwickler*innen. Oft trägt man ganz schön viel Verantwortung für das Produkt, aber man kann auch sehr kreativ tätig sein, beispielsweise, indem man Bildschirmmasken (User Interface und User Experience Design, oder auch kurz UI/UX-Design) erstellt.

Was fasziniert Sie an Ihrem Arbeitsbereich?
Am meisten fasziniert mich die Arbeit mit den Kund*innen und die interdisziplinäre Teamarbeit. So sitze ich oft stundenlang mit Kund*innen beisammen und bespreche deren Wünsche. Oft bin ich dabei eine Mischung aus Detektivin, Analytikerin, Anwältin (für die Endnutzer*innen) und eben Technikerin. Diese ganzen Anforderungen nehme ich dann mit ins Entwicklungs-Team und wir machen uns an die Arbeit. Ein gutes Augenmaß, Verhandlungsgeschick und Fingerspitzengefühl sind ebenfalls sehr oft gefragt. Am Ende des Tages möchte ich, dass das bestmögliche Produkt mit dem besten Maß an Wirtschaftlichkeit für die Kund*innen herauskommt.

Inwiefern hat sich Ihrer Meinung nach nochmals der Stellenwert von Informatik im Rahmen der aktuellen Covid19 Krise verändert?
Die Krise hat gezeigt, dass die Digitalisierung eine lohnenswerte und auch sinnvolle Strategie für Firmen ist. Nicht nur werden Daten und Prozesse standortunabhängig abrufbar, sondern kann Digitalisierung auch einen guten Plan B schaffen, falls man zum Umdenken gezwungen wird. Der zweite große Bereich, der von der Krise profitiert hat, ist das E-Learning. Dadurch, dass alle Schulen und Fachhochschulen ganz plötzlich zu Fernlehrmethoden greifen mussten - aber auch konnten! – hat gezeigt, dass in diese Richtung noch sehr viel Potential besteht.
Wir mussten in den letzten Wochen auch feststellen, dass Informatik zwar ermöglicht Menschen virtuell miteinander zu verbinden, wir aber dennoch den realen Kontakt zu Menschen brauchen. Wenn wir abends alleine in unserer Wohnung mit 50 Leuten in einem Onlinemeeting sitzen, hilft uns das zwar eine Weile über fehlende echte Kontakte hinweg, ist aber kein dauerhafter Ersatz.

Können Sie jetzt mit mehr Digitalisierungskompetenzen bei Ihren Kund*innen rechnen?
Insgesamt ist das Bewusstsein sicher nochmal gewachsen. Viele unserer Kund*innen waren schon bisher Vorreiter*innen in ihren jeweiligen Branchen. Allerdings sind diese sehr divers: von Dienstleistungsfirmen hin zu Industrie ist alles dabei. Auch wenn viele Kund*innen positive Erfahrungen mit Digitalisierung gemacht haben (nicht zuletzt durch uns), wird sich nicht alles von heute auf morgen ins Internet verlagern. Die Antwort fällt also sicherlich von Kund*in zu Kund*in unterschiedlich aus. Wenn wir unsere Kund*innen dahingehend beraten können, stehen wir, wie schon bisher, natürlich zur Verfügung.

Sehen Sie auch eine Verstärkung von Ungleichheiten in der Gesellschaft durch die aktuellen Entwicklungen in der Digitalisierung?
Natürlich. Von der Digitalisierung können beispielsweise nur Menschen profitieren, die einen Computer besitzen, keine Kinder alleine großziehen oder sich mit vielen Nebenjobs durchschlagen müssen. Die Digitalisierung kann bei vielen Fragestellungen helfen, ist allerdings auch kein Allheilmittel. Wenn man die Ungleichheiten in der Gesellschaft angehen möchte, kann Digitalisierung ein Puzzlestück sein – aber eben nur eines von vielen.

Wie hoch ist der Frauenanteil bei den Informatiker*innen bei der dataformers GmbH?
Wie man auch an meinem Job sieht, sind wir bei dataformers nicht nur Informatiker*innen, sondern recht interdisziplinär aufgestellt. Insgesamt beträgt der Frauenanteil im Mittel knapp 25%. Im überwiegend technisch geprägten Development-Bereich sind es knapp 15%.

Was bietet die dataformers GmbH zur Förderung von Chancengleichheit?
Bei uns haben tatsächlich alle Geschlechter die gleichen Chancen – sei es bei Entwicklungsmöglichkeiten, Gehalt oder in der Hierarchie. Bewerbungen von Frauen werden sehr gerne gesehen, damit wir den Frauenanteil bei dataformers noch anheben können. Das Unternehmen ist auch recht flexibel bei der Kinderbetreuung. Es werden Mütter und Väter gleichermaßen unterstützt, wenn es zum Beispiel um Karenz geht.

Sie haben zunächst Angewandten Kommunikations- und Medienwissenschaften an der Universität Duisburg-Essen in Deutschland studiert. Für das Doktorrat haben Sie jedoch den Studienbereich Informatik an der Universität Wien gewählt. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
ein Studium bestand zu gleichen Teilen aus Informatik und aus Psychologie. Im Master habe ich mich dann auf Informatik und insbesondere Human Computer Interaction spezialisiert. Durch mein eher interdisziplinäres Profil wären mir Doktorate in Psychologie und Informatik offen gestanden. Da mich aber die Informatik schon immer am meisten begeisterte, war für mich das Doktorat in technischer Informatik folgerichtig. Trotzdem begleitete mein Doktorat im Fachbereich Human Computer Interaction auch ein großer Anteil Psychologie.

Nach einer mehr als 10-jährigen Beschäftigung an Universitäten haben Sie sich dazu entschieden in die Wirtschaft zu wechseln. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
In allererster Linie wollte ich mal etwas Neues kennenlernen und in die Wirtschaft „schnuppern“. In der Forschung arbeitet man oft sehr theoretisch, und ich wollte gerne sehen, wie in der Wirtschaft Projekte realisiert werden. Auch haben mich die Änderungen in der Forschung durch den wachsenden Druck in Richtung Wirtschaftlichkeit in den letzten 15 Jahren enttäuscht. Was mir allerdings sehr fehlen wird, ist die universitäre Lehre. Das Begleiten von Studierenden hat mir immer sehr viel Spaß gebracht.

Was braucht es Ihrer Meinung nach noch, damit mehr Mädchen und Frauen in Naturwissenschaft und Technik Fuß fassen?
Um mehr Frauen einen Einstieg in MINT-Fächer zu ermöglichen, muss an ganz vielen Stellen in der Gesellschaft weiter etwas passieren, da sich das systemische Problem durch sehr viele Schichten zieht. Von der ersten Klasse, in der vielleicht Mädchen gesagt wird, dass Mathematik nichts für Mädchen ist, bis hin zur berühmten, leider in vielen anderen Unternehmen immer noch vorhandenen, gläsernen Decke, die Frauen den Aufstieg in Führungsetagen verwehrt, gibt es da sehr viele Ansatzpunkte. In erster Linie waren meine Strategien immer das Bilden von starken Netzwerken und das beständige Wirken in meinem kleinen Rahmen. Das Thema Frauen in MINT-Fächern liegt mir einfach sehr am Herzen.

Wordrap Svenja Schröder

Womit ich als Kind am Liebsten gespielt habe:
Drinnen mit Playmobil und Lego, draußen mit anderen Kindern auf dem Spielplatz oder in der Natur.

Dieses Studium würde ich jetzt wählen:
Genau das gleiche: Angewandte Kommunikations- und Medienwissenschaften an der Universität Duisburg-Essen. Die Mischung aus Informatik und Psychologie war für mich genau der richtige Ausgangspunkt für meine Karriere.

Mein Vorbild ist:
Als lebenslange Trekkie war mein großes Vorbild schon immer das Gesellschaftsbild aus Star Trek, beispielsweise The Next Generation oder auch Deep Space Nine. Auch gab es in der Serie immer starke weibliche Charaktere, die dem Geist ihrer (Ausstrahlungs-)Zeit voraus waren. Das hat mich sehr inspiriert Forscherin zu werden. Ich wollte auch unendliche Weiten entdecken!

Was ich gerne erfinden würde:
Eigentlich bin ich rundum zufrieden und mir fehlt nichts. Höchstens Beamen wäre manchmal spitze, gerade in der jetzigen Zeit.

Wenn der Frauenanteil in der Technik 50 Prozent beträgt …
… gäbe es durch die höhere Diversität in den Teams viel mehr spannende Innovationen.

Wenn der Frauenanteil in Führungspositionen 50 Prozent beträgt …
… würden sicherlich im Schnitt nachhaltigere Entscheidungen getroffen werden.

Was verbinden Sie mit Innovation:
Allgemeinwohl, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit.

Warum ist Forschungsförderung in Österreich wichtig:
Um Österreich als Wissenschaftsstandort in Europa weiterhin attraktiv zu gestalten und von Wirtschaftsinteressen unabhängige Forschung zu ermöglichen.

Meine Leseempfehlung lautet:
Science Fiction von meinen Lieblingsautorinnen: Ursula K. LeGuin, Octavia E. Butler, Ann Leckie, Nnedi Okorafor, N.K. Jemisin und Annalee Newitz.