Studienzusammenfassung
Should I stay or should I go? Frauen arbeiten nach einem MINT-Studium seltener in einem MINT-Beruf als Männer

Der demografische Wandel, die ökologische Transformation und die Digitalisierung von Wirtschaft und Arbeitswelt: Vor allem diese drei Faktoren werden auf absehbare Zeit für einen hohen und vermutlich steigenden Ersatz- oder Neubedarf an Fachkräften im MINT-Bereich sorgen. Um diesem Bedarf gerecht zu werden, versuchen Wirtschaft und Politik seit Jahren, MINT-Berufe für Frauen attraktiver zu machen.

Absolut studieren heute dreimal mehr Frauen ein Fach aus dem Bereich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) als noch vor 20 Jahren. Zugleich entscheiden sich Frauen nach einem abgeschlossenen MINT-Studium seltener als Männer dafür, tatsächlich einen MINT-Beruf zu ergreifen. Dies dürfte auch an fehlenden Rollenvorbildern und unklaren Berufsvorstellungen liegen.

Zusammenfassung

Zusammengefasst für FEMtech von Julia Greithanner (JOANNEUM RESEARCH)

Einführung

  • Zahlen zu Studierenden und Absolvent:innen aus Deutschland zeigen, dass in MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) heute dreimal mehr Frauen als vor 20 Jahren studieren.
  • Allerdings arbeiten diese Frauen nach einem absolvierten Studium im MINT-Bereich deutlich seltener in diesem Berufsfeld.
  • Durch den demografischen Wandel, die ökologische Transformation und die voranschreitende Digitalisierung kommt es immer mehr zu einem erhöhten Bedarf an MINT-Fachkräften. Deshalb gibt es verschiedene Initiativen, die den MINT-Bereich vor allem für Frauen attraktiver machen sollen.
  • Die Daten wurden vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Deutschland zusammengestellt und in der Reihe IAB-Forum veröffentlicht.

Datengrundlage

  • Die Daten dazu basieren auf einem Sample aus 353 Absolvent:innen, die ein MINT-Studium an einer Universität oder Fachhochschule zwischen 1999 und 2013 abgeschlossen haben und spätestens fünf Jahre nach ihrem Abschluss einer Arbeit nachgehen.
  • Die von den Absolvent:innen ausgeübten Berufe wurden in MINT- und Nicht-MINT-Berufe eingeteilt. Nicht berücksichtigt für die Analyse wurden Apotheker:innen sowie Lehrkräfte.

MINT-Studiengänge

  • Zwischen 2009 und 2019 steigt der Frauenanteil im ersten Semester in MINT-Fächern von 30,6% auf 34,2%. Allerdings ist die Beteiligung von Frauen in MINT-Fächern auf einige Fachbereiche konzentriert, die einen besonders hohen Frauenanteil aufweisen.
    • Vor allem in Studiengänge wie Verfahrens- oder Gesundheitstechnik und in einigen naturwissenschaftlichen Fächern wie Chemie, Biologie, Geografie gibt es viele weibliche Studierende.
    • Zudem ist der Frauenanteil bei Studiengängen, die MINT-Fächer mit anderen Disziplinen kombinieren wie etwa Medieninformatik, medizinische Informatik deutlich höher als beispielsweise in der Informatik.
    • Während Ingenieurwissenschaftliche Studiengänge wie Maschinenbau oder Elektrotechnik eher selten von Frauen studiert werden.
  • Aber nicht nur der Frauenanteil in den MINT-Fächern ist gestiegen, sondern auch die absolute Zahl an weiblichen Absolvent:innen in diesen Fächern: Laut des deutschen Statistischen Bundesamts waren es im Jahr 2019 59.853 Absolventinnen, im Jahr 2004 dagegen nur 21.351.
    • Zudem können keine geschlechtsspezifischen Unterschiede bei Studienabbrüchen in MINT-Fächern beobachtet werden.
    • Während der Frauenanteil an allen MINT-Studiengängen in den letzten 15 Jahren in Deutschland nur langsam gewachsen ist, steigt die Anzahl der männlichen aber auch der weiblichen Studierenden in den Fächern Elektrotechnik, Informationstechnik und Informatik stärker.

Einstieg in MINT-Berufe

  • Schon im ersten Jahr nach dem Studium zeigt sich ein signifikanter Unterschied zwischen Frauen und Männern. Während ein Jahr nach einem MINT-Studium 50% aller männlichen Studierenden in einem MINT-Beruf arbeiten, sind es bei den Frauen erst 38%.
  • Mit den Jahren vergrößert sich die geschlechtsspezifische Diskrepanz weiter. Spätestens fünf Jahre nach Abschluss eines MINT-Studiums haben 70% aller Männer mindestens einmal in einem MINT-Beruf gearbeitet. Hingegen sind es nur 56% aller Frauen.

Abb. 2: Entwicklung der Anteile von Frauen und Männern, die in den ersten fünf Jahren nach Abschluss ihres MINT-Studiums in MINT-Berufen gearbeitet haben

Erklärungsansätze

Für diese immer noch bestehenden Unterschiede beim Berufseinstieg und Berufsausübung zwischen Absolventinnen und Absolventen von MINT-Studiengängen gibt es verschiedene Erklärungsansätze:

  • Unterschiedliche Rollenverständnisse bei der Berufswahl können eine Ursache für den niedrigen Frauenanteil in MINT-Berufen sein.
    • Eine Studie von Sharon Sassler und anderen analysierte, wie wichtig Karriereerwartungen und Familienplanung für den erfolgreichen Übergang von einem MINT-Studium in einen MINT-Beruf sind. Es zeigte sich, dass Frauen in MINT-Fächern ein anderes Rollenverständnis besitzen als Männer. Dementsprechend haben Frauen eher Schwierigkeiten damit, sich in das bestehende Umfeld im Unternehmen zu integrieren, welches überwiegend von Männern definiert wird.
  • Falsche Vorstellungen von den beruflichen Tätigkeiten in diesem Feld:  Frauen erwarten, dass sie in diesen Berufen hauptsächlich mit technischen Fragen befasst sein werden und weniger mit Menschen. Zudem werden in vielen Berufsbezeichnungen die technischen Aspekte besonders hervorgehoben. Das hält einige Absolventinnen ab sich zu bewerben.

Lösungsansätze

Um die bestehenden geschlechtsspezifischen Unterschiede bei dem Übergang von einem MINT-Studium zu einem MINT-Beruf zu reduzieren, gibt es bereits einige Ansätze:

  • Eine Studie, beauftragt von der Sachverständigenkommission für den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung Deutschlands, konnte zeigen, dass weibliche Rollenvorbilder die Attraktivität von MINT-Studiengängen und -Berufen erhöhen können. Vor allem, wenn diese Rollenvorbilder andere Frauen gezielt darin bestärken, ihre Karriere im MINT-Bereich weiterzuverfolgen.

Zusammenfassung

Frauen sind in MINT-Berufen immer noch signifikant unterrepräsentiert und wählen nach erfolgreichem MINT-Abschluss auch seltener einen MINT-Beruf als Männer.

  • Dies liegt unter anderem an fehlenden weiblichen Rollenmodellen sowie unklaren Vorstellungen über die genauen Tätigkeiten in einem MINT-Beruf.

Einige Initiativen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft versuchen bereits mehr junge Frauen für ein MINT-Studium zu gewinnen, um so auch den Anteil von Frauen in MINT-Berufen zu erhöhen.

  • Von der Berufsforschung sollten die Ursachen für das unausgewogene Geschlechterverhältnis in MINT-Berufen ermittelt und darauf aufbauend Empfehlungen entwickelt werden, die den Einstieg von MINT-Absolventinnen in eine MINT-Karriere fördern sollen.
  • Unternehmen könnten bspw. ihre eigene Unternehmenskultur reflektieren: nämlich, wie die stärker von Männern geprägten Normen und Strukturen auf Berufseinsteigerinnen wirken und mit welchen Maßnahmen (beispielsweise Mentorinnen) der Einstieg in einen MINT-Beruf für Frauen erleichtert werden kann.

Über diese Publikation

Publikationsart: Studie
Publikationsquelle: International
Publikationssprache: Deutsch
Autor:innen: Hild, Judith; Kramer, Anica
Titel: Should I stay or should I go? Frauen arbeiten nach einem MINT-Studium seltener in einem MINT-Beruf als Männer
Erscheinungsjahr: 2022
Erschienen in: IAB-Forum 17. März 2022