Studienzusammenfassung
Gendered Innovations 2: How Inclusive Analysis Contributes to Research and Innovation

Die Integration einer Geschlechterdimension in Forschungsinhalte fördert nicht nur die Qualität der Forschung, sondern führt auch zu neuen Innovationen und Geschäftsmöglichkeiten. Dies ist in unterschiedlichen Forschungsthemen sinnvoll und sollte bei jedem Projektantrag geprüft und dann auch bei der Projektumsetzung berücksichtigt werden. Für die Umsetzung ist aber spezifisches Fachwissen an der Schnittstelle zwischen Gender Studies und der jeweiligen Disziplin notwendig. In Horizon Europe wird die Genderdimension als Querschnittsthema in alle Forschungsbereiche integriert.

Zusammenfassung EU Bericht

Zusammengefasst für FEMtech von Riccarda Rosenball (JOANNEUM RESEARCH)

Hintergrundinformation

Die Europäische Kommission verfolgt das Ziel, Sex- und Gender-Analysen als Querschnittsthema nachhaltig in Forschungs- und Innovationsprojekten zu integrieren.

  • Verankerung als Querschnittsthema im Europäischen Forschungsraum, Horizon 2020 und auch in Horizon Europe.

Ziel des Berichts ist es die Relevanz der Integration der Genderdimension in Forschungs- und Innovationsinhalte sichtbarer zu machen. Damit knüpft die Europäische Kommission an ihren ersten Bericht zu „Gendered Innovations“ an. Der Bericht soll Anleitung und Inspiration für Forscher*innen und Stakeholder sein, wie Sex- und Gender-Analysen in Hinblick auf die thematischen Schwerpunkte von Horizon Europe umgesetzt werden können.

Studiendesign

Der Bericht fasst die Arbeit der Expert*innengruppe Gendered Innovations 2 zusammen:

  • Es wurden Fallstudien, Definitionen, Methoden und Politikempfehlungen in Hinblick auf die sechs thematischen Schwerpunkte und Missionen von Horizon Europe erarbeitet.
  • Die Fallstudien zeigen, wie die Aufnahme einer Genderdimension in Forschung, Technologie und Innovation (FTI) zu neuen Erkenntnissen und Innovationen führen kann.
  • In den Fallstudien wird systematisch zwischen Unterschieden in Hinblick auf das biologische Geschlecht (sex) und das soziale Geschlecht (gender) unterschieden.

15 Fallstudien aus sechs Themenbereichen

  • Gesundheit
  • Klimawandel, Energie und Landwirtschaft
  • Stadtplanung, Transportwesen
  • Informations- und Kommunikationstechnologie
  • Finanz-, Steuerwesen und Ökonomik
  • Corona (ad hoc Fallstudie)

Die Integration von Genderdimensionen in die Forschung, Technologie und Innovation (FTI)…

  • … erzeugt einen Mehrwert in der Wissenschaft hinsichtlich Leistung, Kreativität und Geschäftsideen.
  • … schafft Anreize für Forscher*innen und Innovator*innen Gendernormen und Stereotypen zu hinterfragen.
  • … führt zu einem besseren Verständnis von Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern.
  • … adressiert vielfältige Bedürfnisse der Gesellschaft und fördert die gesellschaftliche Relevanz von Wissen, Technologien und Innovationen.
  • … trägt zur Entwicklung passgenauer Produkte und Güter für den Markt bei.

Fallstudie Gesundheit: Verschreibung von Medikamenten

Die Herausforderung:

In der Vergangenheit wurde ein „one size fits all“-Modell in der Entwicklung von Medikamenten verfolgt. Daher wurden größtenteils Männer für die Testungen der Medikamente eingesetzt. Dies hat dazu geführt, dass bei Frauen verstärkt Nebenwirkungen durch Medikamente auftreten.

Aber auch Gender-Stereotype können die Behandlung und Verschreibung von Medikamenten beeinflussen: bspw. in dem Ärzt*innen Frauen und Männern unterschiedliche diagnostische Fragen stellen oder dass Frauen und Männer auf diese Fragen unterschiedliche Antworten geben. Daher sollte im Bereich der medizinischen Diagnose mehr Aufmerksamkeit auf Sprache und Geschlechternormen gelegt werden.

Gleichstellungspolitische Innovationen:

  • Inkludierung von Frauen und Männer in allen Etappen von Medikamententestungen, sowie disaggregierter Darstellung von Nebenwirkungen nach Geschlecht. Auch Schwangerschaften sollten bei Medikamententestungen berücksichtigt werden.
    • Damit können Unterschiede in der Wirkungsweise, Sicherheit und Toxizität festgestellt werden.
  • Vermerk geschlechterspezifischer Unterschiede in der Wirkungsweise bzw. bei Nebenwirkungen direkt am Etikett des Medikaments.
  • Förderung von Behandlungsansätzen, die sensibel in Hinblick auf Geschlechternormen und -sprache sind und damit gender bias und Stereotype in diagnostischen Fragen vermeiden.

Fallstudie Stadtplanung, Transportwesen: Abfallmanagement

Die Herausforderung:

Das Minimieren von Abfall spielt eine wichtige Rolle in der Emissionsvermeidung von Treibhausgasen und somit in der Erreichung der Klimaziele. Innovationen im Bereich Abfallmanagement können damit einen großen Beitrag zur CO2-Emissionsreduktion leisten, als auch eine nachhaltige Regional- und Stadt-entwicklung unterstützen.

Gleichstellungspolitische Innovationen:

  • Die Sammlung von Daten zu geschlechterspezifischen Unterschieden bei der  Abfallentsorgung erleichtert die gezielte Vermeidung von gesellschaftlichem Fehlverhalten.
  • Partizipative Forschungsmethoden ermöglichen die Identifizierung der Bedürfnisse unterschiedlicher Nutzer*innen-Gruppen und können zur Förderung der Partizipation von Frauen am Abfallmanagement beitragen.

Fallstudie Stadtplanung, Transportwesen: Smart Mobility

Die Herausforderung:

Mobilitätsmuster sind geschlechtsspezifisch unterschiedlich in Hinblick darauf wann, warum und wohin Personen sich räumlich bewegen.
Die Transportplanung berücksichtigt nicht die unterschiedlichen Bedürfnisse und Aspekte der Mobilität in der Gesellschaft. Beispielsweise sind bestimmte Gruppen hinsichtlich Mobilität benachteiligt, wenn für diese Gruppen Sicherheit oberste Priorität hat.

Gleichstellungspolitische Innovationen:

  • Herstellung eines Verständnisses von geschlechterspezifischen Unterschieden im Mobilitätsbedarf zur Verbesserung der Mobilität bestimmter Gruppen.
  • Besondere Aufmerksamkeit soll neben Geschlecht auch auf Faktoren wie Alter, ethnischer Zugehörigkeiten, sozioökonomischer Status als auch Behinderungen gelegt werden.
  • Entwicklung neuer Technologien und Mobilitätssysteme unter Anwendung gender-sensibler Methoden zur Verbesserung von (umweltfreundlichen) Mobilitäts-möglichkeiten.

Fallstudie IKT: Analyse von Gender und Intersektionalität im Machine Learning

Die Herausforderung:

Rezente Studien haben gezeigt, dass Gesichtserkennungssysteme nicht alle Personen gleichermaßen erkennen können. Insbesondere Frauen und Personen mit dunkler Hautfarbe werden von diesen Systemen sehr schlecht erkannt. Diese Diskriminierung kommt durch die zugrundeliegenden Trainingsdaten der Systeme zustande, da diese häufig aus Bildern von weißen Männern zusammengesetzt sind. Aus diesem Grund ist es von großer Wichtigkeit die Fairness dieser Systeme zu verbessern.

Gleichstellungspolitische Innovationen:

  • Verbesserung des Verständnisses hinsichtlich der Ursachen der Diskriminierung von Gesichtserkennungssystemen bzw. von künstlicher Intelligenz im Allgemeinen.
  • Entwicklung intersektionaler Daten, welche das diversitätsgerechte Lernen der Systeme ermöglichen, um Diskriminierung zu vermeiden.
    • Ein intersektionaler Datensatz zeichnet sich bspw. dadurch aus, dass Personen mit unterschiedlichen Merkmalen wie Geschlecht, Alter, ethnischer Herkunft etc. gleichermaßen in diesen Daten enthalten sind.

Fallstudie Finanz-, Steuerwesen und Ökonomik: Wagniskapital

Die Herausforderung:

Die Gründung von Unternehmen ist eine Möglichkeit für Frauen ihre ökonomische Teilhabe an der  Gesellschaft zu stärken und gleichzeitig einen Beitrag zur Wohlfahrtssteigerung zu leisten. Weltweit haben Frauen generell weniger Kapitel zur Verfügung als Männer, denn Frauen verdienen weniger, haben ein geringeres Sparguthaben und auch weniger Eigentum. Darüber hinaus wird Männern mehr Wagniskapital für Unternehmens-gründungen zur Verfügung gestellt.

Gleichstellungspolitische Innovationen:

  • Inkludierung einer Gender Perspektive in der Wagniskapitalfinanzierung.

Identifizierung der Wirkungen der vorherrschenden Strukturen in der Wagniskapitalindustrie auf das Gründungsverhalten von Frauen.

Ad Hoc Fallstudie: Corona

Die Herausforderung:

Statistiken zeigen, dass mehr Männer als Frauen an COVID-19 sterben. Auf der anderen Seite leiden Frauen stärker unter den gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Pandemie.

Gleichstellungspolitische Innovationen:

  • Untersuchung geschlechterspezifischer Unterschiede in der Immunabwehr, sowie bei den Nebenwirkungen von Impfstoffen und Therapien.
  • Analyse von geschlechterspezifischen Risikofaktoren zur Reduktion der Mortalität von Frauen in einer langfristigen Perspektive.
  • Design von geschlechtersensiblen Präventionskampagnen zur Förderung der Einhaltung von Maßnahmen.
  • Die Vergabe von Schutzausrüstung, Therapien und finanziellen Hilfen sollte geschlechtergerecht erfolgen und die unterschiedlichen Infektionsrisiken von Frauen und Männern aufgrund ihrer Beschäftigung und Tätigkeiten berücksichtigen.

Politikempfehlungen für Horizon Europe 

  • Integration geschlechterspezifischer Dimensionen in die Arbeitsprogramme von Horizon Europe.
  • Die Entwicklung von themen-/fachspezifischem Genderwissen vorantreiben durch die Ausschreibung spezifischer Forschungsthemen.
  • Instruktionen für Bewerber*innen, Evaluator*innen und Gutachter*innen im Horizon Europe Programm sollen die Bedeutung von geschlechterspezifischen Dimensionen im Bewerbungs- und Begutachtungsprozess hervorheben.
    • Dazu zählen Briefing Dokumente (Informations- und Merkblätter) und Antragsvorlagen.
    • Außerdem sollen systematische Fortbildungen mit Schwerpunkt FTI mit Genderanalysen angeboten werden.
    • Bei der Evaluierung der Projektanträge soll ebenso die Qualität der Genderanalyse mitbeurteilt werden.
  • Gezieltes Monitoring sowie Evaluierung der Umsetzung von Maßnahmen zur Integration der Genderdimension in Horizon Europe:
    • In den Projektberichten muss festgehalten werden, wie in der Projektumsetzung die Genderdimension entsprechend dem Projektantrag berücksichtigt wurde.
    • Messung der Effekte und Auswirkungen durch die Integrierung von Gender-Analysen in FTI.
    • Bewertung der Fortschritte von Horizon Europe hinsichtlich Gender als bereichsübergreifenden Schwerpunkt.
    • Veröffentlichung der Monitoring Daten im Rahmen des Horizon Europe Dashboards oder der She Figures.
  • Etablierung von Strukturen innerhalb der Europäischen Kommission sowie von Kooperationen auf Ebene des Europäischen Forschungsraums zur effektiven Integration geschlechterspezifischer Dimensionen in FTI.

Zusammenfassung

Die Integration einer Geschlechterdimension in Forschungsinhalte fördert nicht nur die Qualität der Forschung, sondern führt auch zu neuen Innovationen und Geschäftsmöglichkeiten. Dies ist in unterschiedlichen Forschungsthemen sinnvoll und sollte bei jedem Projektantrag geprüft und dann auch bei der Projektumsetzung berücksichtigt werden. Für die Umsetzung ist aber spezifisches Fachwissen an der Schnittstelle zwischen Gender Studies und der jeweiligen Disziplin notwendig. In Horizon Europe wird die Genderdimension als Querschnittsthema in alle Forschungsbereiche integriert. 

Über diese Publikation

Publikationsart: Handbuch / Leitfaden
Publikationsquelle: International
Publikationssprache: Englisch
Autor:innen: Directorate-General for Research and Innovation. Chairperson: Londa Schiebinger, Rapporteur: Ineke Klinge
Titel: Gendered Innovations 2: How Inclusive Analysis Contributes to Research and Innovation
Erscheinungsjahr: 2021
Herausgeber:in: European Commission. Directorate-General for Research and Innovation
Erschienen in: EU Policy Review