FEMtech Netzwerktreffen vom 10. Mai 2021

10.05.2021 Onlinemeeting via Zoom

Gender wirkt? Gender in der österreichischen Forschungsförderung

Gender hat seit längerem einen Platz in der österreichischen Forschungsförderung. Seit vielen Jahren werden von den beiden großen Forschungsförderungsorganisationen in Österreich Maßnahmen zum Thema Gender bei der Forschungsförderung umgesetzt. Einerseits um die Chancengleichheit für Frauen und Männer in Forschung, Innovation und Wissenschaft zu verbessern und um andererseits damit den gesetzlichen Vorgaben zum Thema Gender zu entsprechen. Wirken diese Maßnahmen? Wie werden diese Maßnahmen in der Praxis umgesetzt? Gibt es Veränderungen in Forschung, Innovation und Wissenschaft? Es wurde Resümee gezogen zur Rolle von Gender in der österreichischen Forschungsförderung.

In ihrer Eröffnung betonte Bundesministerin Leonore Gewessler (Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie) die Bedeutung von Geschlechterungleichheiten als gesamtgesellschaftliches Projekt. Sie verwies auf den nur langsam steigenden Anteil von Frauen in den Bereichen Forschung, Technologie und Innovation. Daher sei es ihr ein Anliegen, Gender stärker in den Förderprogrammen des BMK und damit auch in der Abwicklung durch die FFG zu verankern. Gender sei eine Querschnittsmaterie, die mehr Aufmerksamkeit und Bewusstsein brauche, um in den Mainstream zu kommen. Deshalb habe sich das BMK mit dem Gleichstellungsziel dazu verpflichtet, den Frauenanteil der Beschäftigten in Forschung und Innovation zu erhöhen. Dazu seien schon vor mehr als zehn Jahren gemeinsam mit der FFG Maßnahmen gesetzt worden, um den nach wie vor bestehenden Ungleichheiten entgegen zu wirken. Frau Bundesministerin Gewessler rief dazu auf, die mit dieser Veranstaltung gebotene Gelegenheit zur Vernetzung wahrzunehmen, weil nur gemeinsam eine Veränderung zu bewirken sei.

Dr. Klaus Pseiner, Geschäftsführer der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft, hob in seiner Grußbotschaft hervor, dass die Chancengleichheit von Frauen* und Männern*   nicht nur im Mission-Statement der FFG eine wichtige Rolle spiele, sondern in der „DNA" der FFG integriert sei. Ein Wandel der Forschungskultur werde angestrebt, was ein lange andauernder Prozess sei. Daher würden zahlreiche Maßnahmen für mehr Chancengleichheit in Forschung und Innovation gesetzt, von Genderkriterien bei der Vergabe von Fördermitteln bis hin zu Förderprogrammen mit Genderschwerpunkt.

Die Keynotespeakerin Mag.a Ursula Rosenbichler, Leiterin der Abteilung III/C/9 Strategisches Performancemanagement und Verwaltungsinnovation des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport lieferte Hintergrundwissen für die Gleichstellungs- und Förderpolitik. Sie gab einen Überblick über die Veränderungen in der öffentlichen Verwaltung und der gesetzlichen Grundlagen in Hinblick auf Chancengleichheit. Österreich sei sprichwörtlich „Olympiasieger*in“ bei der Herstellung rechtlicher Rahmenbedingungen für die Gleichstellung. Allerdings sei dieser Zugang vergleichsweise abstrakt. Daher sei die wichtigste Entwicklung eine grundlegende Umstellung in der Funktionsweise des staatlichen Sektors gewesen: weg von der Aufgabenorientierung und hin zur Wirkungsorientierung auch mit konkreten Gleichstellungszielen. Sie demonstrierte, wie komplex das Zusammenspiel der einzelnen Kräfte in der öffentlichen Verwaltung ist. Als größte Herausforderung nannte sie die Veränderung des Mindsets, was nur durch kontinuierliche Arbeit erreicht werden könne und ein Langzeitprojekt sei. Der von ihr gewährte Einblick in die Funktionsweise von Gleichstellungspolitik regte das Publikum zu zahlreichen Fragen an und bereitete die Podiumsdiskussion inhaltlich vor.

Dr. Martin Kozich, Leiter der Abteilung „Stärke Nonfood“ der Agrana Research and Innovation Center GmbH in Tulln berichtete von seinen Erfahrungen rund um das Thema Chancengleichheit. Er habe einen Kulturwandel in den letzten 20 Jahren beobachtet. Sein Unternehmen lege großen Wert auf Equal Pay und leistungsgerechte Entlohnung. In seiner Abteilung würden mittlerweile auch junge Väter sechsmonatige Karenzen antreten, was einen Wandel in der Unternehmens- und Forschungskultur illustriere. Hinsichtlich der Genderkriterien konnte er beobachten, dass es durch den höheren Anteil an Frauen in der Chemie und den Life Sciences mittlerweile einfacher sei, Projektteams genderausgewogen zu besetzen.

Assoc. Prof. Dr. Johannes Grillari, Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Experimentelle und Klinische Traumatologie, assoziierter Professor am Institut für Molekulare Biotechnologie der Universität für Bodenkultur Wien und Mitgründer der Evercyte GmbH verband in seinen Beiträgen die Perspektiven von Kleinunternehmen und akademischer Forschung. Maßnahmen wie die FEMtech Praktika für Studentinnen seien seiner Meinung nach äußerst wichtig und ein echter Beitrag zur Frauenförderung, weil damit talentierten Studentinnen geholfen werden könne, den ersten Schritt in Richtung Forschung zu gehen. Forschungsteams in seinem Bereich würden „immer mit den besten Köpfen“ und nach Geschlecht ausgewogen besetzt, denn Frauen auch für Leitungspositionen zu finden werde einfacher durch den steigenden Frauenanteil in seinem Themenbereich. So gebe es einen 70-prozentigen Frauenanteil in von ihm mitbegründeten Unternehmen Evercyte, das seine Frau Assoc.Prof.in Regina Grillari wissenschaftlich leite. Er war wie Martin Kozich der Meinung, dass es möglich sein müsse, gleichzeitig Führungskraft zu sein und in Teilzeit zu arbeiten. Unternehmen müssten diesen Wandel in der Forschungs- und Arbeitskultur möglich machen.

Dr.in Sabine Mayer, tätig im Bereich Strategie und Datenanalyse der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft bmH (FFG), strich hervor, dass sich der Diskurs zum Thema Chancengleichheit in den letzten zehn Jahren deutlich gewandelt habe. Mit der Einführung der Genderkriterien für von der FFG vergebene Fördermittel im Jahre 2011 seien Diskussionen und auch Widerstände ausgelöst worden. Diese seien produktiv gewesen, denn manche haben die Vorteile von diversen Teams erkannt oder die Tatsache, dass die Integration der Genderdimension bei der Produktentwicklung zu besseren Ergebnissen führe, weil Zielgruppen und deren Bedürfnisse besser erkannt würden. Hier sei die Programmlinie FEMtech Forschungsprojekte nach wie vor international beachtetes Best Practice. Ein wesentliches Ergebnis der Einführung der Genderkriterien sei darüber hinaus gewesen, dass die Genderdimension nun besser akzeptiert, der Diskurs zu Gender und Forschung intensiviert wurde und letztendlich eine gewisse Normalität dem Thema gegenüber eingekehrt sei. Man habe damit Personen erreicht, die sonst nur sehr schwer für das Thema Chancengleichheit sensibilisiert worden wären.

Dr.in Sabine Haubenwallner, Leiterin der Stabstelle „Chancengleichheit in der Forschungsförderung“ des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) berichtete, wie in der Grundlagenforschung die Zahlen hinsichtlich Geschlecht langsam aber stetig ausgeglichener würden. Der FWF habe im Jahr 2005 begonnen zum Thema Gender Maßnahmen zu setzen und inzwischen sei das Thema wirklich in der Organisation auf allen Ebenen angekommen, es gebe ein Selbstverständnis zu Transparenz und Sichtbarmachung. Sie wies aber darauf hin, dass es in der Forschung generell an Geld und insbesondere in Forschungseinrichtungen an unbefristeten Arbeitsplätzen mangele. Dieses „serielle Präkariat“, also das Leben von einem genehmigten Projektantrag zum nächsten, mache allen Forschenden zu schaffen, wobei es öfter die Frauen seien, die daher die Forschung zugunsten gesicherter Beschäftigungsverhältnisse verließen. Hier könne von der Politik gegengesteuert werden, auch indem Rahmenbedingungen zu Karenzen geändert würden. Wie Sabine Mayer nannte sie internationale Best-Practice-Beispiele für innovative Arbeits- und Karenzmodelle.

Alle Diskutierenden waren sich einig, dass die Familiengründung insbesondere für Frauen oft zum Bruch in der Forschungskarriere werde und es weiterer Maßnahmen für Chancengleichheit bedürfe. Es solle darauf hingearbeitet werden, dass im öffentlichen Bewusstsein nicht mehr gelte „Frauen bekommen Kinder“, sondern „Junge Menschen bekommen Kinder“. Jede*r Einzelne könne einen Beitrag leisten, in dem frau*man an sich und der eigenen Einstellungen arbeite.

Das Publikum nutzte die Möglichkeit zur Beteiligung an der Diskussion durch die Online-Chatfunktion rege. Im Anschluss vernetzten sich die Teilnehmenden in Break-Out-Räumen noch über das offizielle Veranstaltungsende um 18 Uhr hinaus.