FEMtech Netzwerktreffen vom 14. Oktober 2019

14.10.2019 Tech Gate Vienna, Donau-City-Straße 1, 1220 Wien

Digitalisierung macht alles anders. Auch die Chancengleichheit?

Neue Technologien bestimmen unsere Leben immer mehr. Digitalisierung ist in aller Munde und verändert unsere Arbeitswelt, nicht aber ihre Auswirkungen auf die Geschlechterverhältnisse. Digitalisierung ist ein wesentliches Element des derzeitigen und künftigen Strukturwandels, führt dies auch zu mehr Chancengleichheit oder Chancengerechtigkeit? Eine geschlechterbezogene Perspektive auf die Prozesse der Digitalisierung von Wirtschaft und Arbeit fehlt bislang weitgehend, trotz Digitalisierungs-Debatten. Wie muss die digitale Transformation gestaltet werden, um zu mehr Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit beizutragen? Welche Rolle spielen speziell die Frauen dabei? Wie kann eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten entstehen?

Rupert Pichler (BMVIT) verwies in seiner Begrüßung darauf, dass es viele Studien zum Thema Digitalisierung gäbe. Die Ergebnisse sind widersprüchlich. Manche reden im Zusammenhang mit Digitalisierung von einem Jobmotor andere von einem Jobkiller. Eine interessante Frage in diesem Zusammenhang ist – wer genau profitiert davon und wer gehört zu den VerliererInnen? Andreas Wildberger (FFG) zeigte in seinen Begrüßungsworten vor allem die Bedeutung der Qualität von Prozessen auf, ob sie nun analog oder digital umgesetzt werden, ist dabei Nebensache.  Einen effektiven Hebel im Transformationsprozess der Digitalisierung sieht er in den Förderungen der FFG: FEMtech Forschungsprojekte und FEMtech Karriere. Die beiden international anerkannten Formate setzen direkt im Kern an. Genderrelevanz ist als KO Kriterium bei den FEMtech Forschungsprojekten definiert und Genderexpertise muss über den gesamten Forschungsprozess maßgeblich eingebunden werden. FEMtech Karriere unterstützt Unternehmen dabei die internen Organisationsstrukturen durch Digitalisierung chancengerecht zu gestalten.

Nadja Bergmann (L&R SOZIALFORSCHUNG) zeigte anhand der Ergebnisse ihrer Recherchen, dass die geschlechterspezifische Perspektive wenig Rolle im Diskurs der Digitalisierung spielt. Ihre Erkenntnis war, wenn Studien nicht explizit auf Genderaspekte ausgerichtet sind, werden Genderaspekte auch nicht in die Betrachtung einbezogen. Beleuchtet wird im Thema fast ausschließlich die Industrie, der Produktionsbereich - mit Bildern von jungen gut gebildeten Männern. Der Dienstleistungsbereich ist wenig erforscht, ist jedoch zumeist der für Frauen relevantere Bereich. Die Zahlen zeigen auch, dass im Dienstleistungssektor nicht der prognostizierte Einstieg für Frauen in IKT relevante Berufsfelder passiert. Der Anteil an Frauen liegt weiterhin im Promillebereich. Verlagert man den Fokus der Betrachtung auf den Qualifizierungsbereich, so sieht man, dass digitale Kompetenzen vor allem in Schulen mit technischer Ausrichtung und dort vor allem den Jungen vermittelt werden. Die fundierte betriebliche Weiterbildung wird Führungskräften und technischem Leitungspersonal angeboten. In beidem ist der Anteil an Frauen geringer als der der Männer. Setzen Untersuchungen bei der Veränderung der Arbeits- und Karrierebedingungen an, so belegen Fallbespiele, dass die mit der Digitalisierung einhergehenden Flexibilisierung nicht zu einer Verbesserung der Vereinbarkeit führt. Telearbeit wird vor allem zum Rückzug genutzt und damit zu einer Erleichterung der kreativen Arbeit. Insbesondere Personen in Teilzeit profitieren von der versprochenen Freiheit im IKT nahen Bereich nicht. Eine Reduktion der Arbeitszeit wird in dieser Branche als Hindernis gesehen und als Argument dafür dient der hohe Arbeitsdruck.  Die neuen Arbeitsformen wie Plattformarbeit führen aufgrund der aktuellen Bedingungen für Frauen meist zu weniger abgesicherten Jobs.
Wichtige Hebel im Thema der Digitalisierung sind:

  • Erweiterung der Perspektive auf den Dienstleistungsbereich;
  • Beleuchtung der „blinden Flecken“ im Thema Digitalisierung aus der Geschlechterperspektive;
  • gemeinsamer Diskurs der Sozialwissenschaften mit den technischen Wissenschaften pflegen statt einem Paralleldiskurs;
  • Suche nach Lösungen bei den Qualifizierungen - wie bekommen Frauen mehr digitale Kompetenzen, statt wie bekommen wir mehr Frauen in MINT.

In der anschließenden Podiumsdiskussion fand zwischen den Podiumsgästen und dem Publikum ein reger Erfahrungs- und Meinungsaustausch zum Thema statt:

Agnes Streissler-Führer (GPA-djp) nahm Bezug auf die 2016 für das Bundeskanzleramt durchgeführte Studie in der die Veränderung des Arbeitsmarktes auf die Beschäftigungszahlen der letzten 20 Jahre betrachtet wurde. Ergebnis war, dass digitalisierte Branchen einen Zugewinn an Arbeitsplätzen verzeichneten. Aus heutiger Sicht war damals für die Durchführung der Studie, die Branche als Parameter wesentlich. Heute ist der Blick auf die einzelnen Tätigkeiten, vor allem auch aus Geschlechterperspektive, relevanter. Verluste an Jobs wird es in Bereichen mit standardisierten Tätigkeiten geben und dies trifft jetzt und zukünftig vor allem Frauen. Das Problem sah sie nicht in der Technologisierung an sich, sondern im Wirtschaftsmodell des Neoliberalismus dahinter, denn dieser wird dem mehrdimensionalen Anforderungen von Frauen nicht gerecht. Auch der Gender Bias, der in den Algorithmen liegt, ist ein weiteres wichtiges Feld, das betrachtet werden sollte. Algorithmen werden von Menschen gemacht und daher gelten auch die Regeln der realen Welt. Neben einer regen Diskussion zu den Handlungsfeldern waren für sie BetriebsrätInnen als Körperschaft, die auf die VerliererInnen schauen, in der digitalisierten Welt unverzichtbar. Die Entwicklung zu mehr Agilität sollte unter den „richtigen“ Vorzeichen stehen und weder zu einem mehr an Ausbeute noch in weiterer Folge zur Spirale des Burn-outs, führen. Eine europäische Perspektive und Technikfolgenabschätzung war für sie äußerst wichtig und sie wird zukünftig im GPA „DigiCheck für BetriebsrätInnen“ Gender Mainstreaming Fragen implementieren.    

Martin Risak (Universität Wien) berichtete aus seinem Arbeitsfeld, dass im Zuge der Digitalisierung durch Heimarbeit und Plattformarbeit die kollektiven Solidarsysteme wegfallen. Durch Plattformarbeit wurde Dauerkontrolle durch Bewertung auf die KundInnen verlagert. Einige Untersuchungen deuten darauf hin, dass Frauen schlechter bewertet werden als Männer. Um den Einfluss von Gender aufzuzeigen, plädierte Martin Risak für eine verbesserte Datenlage. Aus seinen Erfahrungen verankert sich bei den MitarbeiterInnen in der digitalisierten Welt das Gefühl der permanenten Verfügbarkeit und Überwachung und hier gibt es eine starke Korrelation zu steigenden Burn-out Raten. Als sehr wichtig erachtete er im Thema Chancengerechtigkeit die Transparenz der Gehälter, die Transparenz der Karriereentwicklung und der Verteilung der Betreuungspflichten von Kindern und Älteren. Die Nutzung von Algorithmen verspricht objektive Entscheidungen zB wer gekündigt werden soll. Jedoch steht hinter der vermeintlichen Objektivität von Algorithmen auch nur jeweils ein bestimmtes Weltbild. Die Mechanismen der Digitalisierung übernehmen oftmals alte Bilder und es braucht jetzt neben einer vertiefenden Analyse vor allem rasches Handeln.

Franz Niederl (akaryon) erzählte von seinem Unternehmen, das er gemeinsam mit der Mitgründerin Petra Busswald führt. Seit 20 Jahren gibt es keinen gemeinsamen Unternehmensstandort, alle 12 MitarbeiterInnen arbeiten im Homeoffice. Persönliche Treffen aller im Unternehmen gibt es nur zweimal jährlich. In der Softwareentwicklung, in der das Unternehmen tätig ist, ist dies realisierbar, in anderen Branchen, wie der Produktion, wäre das nicht möglich gewesen. Die Arbeit ist bei akaryon in Gruppen organisiert, die laufend miteinander chaten und so „live“ in Kontakt sind. Die Arbeit passiert auf Vertrauen und Ziel ist es, den geforderten Output zu liefern. Diese Art des Arbeitsmodells war nicht für alle Beschäftigten passend, diese haben das Unternehmen wieder verlassen, der Großteil schätzt die Arbeitsbedingungen jedoch sehr. Mit dem FFG geförderten FEMtech Karriere Projekt „fair-career“ wollte die Geschäftsführung das Modell auf gleiche Chancen für alle beleuchten und wissen wie es den MitarbeiterInnen dabei geht. Die Ergebnisse waren sehr erfreulich. Es gab aber auch Verbesserungsbedarf, zum Beispiel in der Kommunikation. Für die zukünftige Herausforderung mehr Mädchen und Frauen in den IKT Bereich zu bringen, sah er einen effektiven Stellhebel auch in der gendergerechten Sprache.

Nadja Bergmann (L&R SOZIALFORSCHUNG) erkannte im Thema Digitalisierung viele mögliche Perspektiven. Die Genderperspektive ist eine davon und diese verschwindet oft schnell von der Bildfläche. Daher sollte sie speziell im Fokus gehalten werden und in den Forschungen berücksichtigt werden. Zum Abschluss richtete sie noch einen Appell an die WissenschaftlerInnen der Sozialwissenschaften, der Frauen- und Gleichstellungsforschung, Studien zum Thema Gender und Digitalisierung zu machen und insbesondere in den Diskurs mit den technischen Wissenschaften zu treten, auch wenn am Anfang die Hürde der unterschiedlichen Sprache groß ist.

Im Anschluss wurde auf Einladung des BMVIT am Buffet weiter diskutiert und genetzwerkt.

© Anna Rauchenberger