FEMtech Netzwerktreffen vom 29. Oktober 2018

19.11.2018

Ist Diversität der Ersatz für Gender?

Die Vielfalt von Menschen macht Unternehmen innovativ und zukunftsfit. Gender Mainstreaming ist heute oft Teil des Diversitätsmanagements von Organisationen. Kann oder soll Diversitätsmanagement Gender Mainstreaming ersetzen? Ist die Betrachtung aus unterschiedlichen Blickwinkeln hilfreich? Welche Unterschiede gibt es zwischen der Funktion von Genderbeauftragten und Diversitätsbeauftragten? Wie wirkt sich die aktuelle Entwicklung auf die Arbeitswelt von Frauen und Männern aus? Wie sieht lebendige Vielfalt und gelungene Gleichstellung in Unternehmen aus? Was ist erforderlich, damit beides gelingt? Diesen Fragen wurde im Rahmen des letzten FEMtech Netzwerktreffens, das am 29. Oktober 2018 in Wien stattfand, nachgegangen.

Rupert Pichler (BMVIT) verweist am Beginn seiner Begrüßung darauf, dass Gleichstellung bereits seit 1998 Teil der Bundesverfassung ist und Diversität im Jahr 2014 mit einer EU Richtlinien geregelt wurde. Die Ziele von Gender Mainstreaming wurden bisher nicht erreicht. Zusätzlich zeigt sich, dass Diversität heute populärer als Gender Mainstreaming ist. In vielen Unternehmen finden sich Diversity ManagerInnen und nicht mehr Genderbeauftragte. Es stellt sich die Frage, warum die Fortschritte bei Gender Mainstreaming langsamer vorangehen insbesondere da Frauen keine Minderheit sind. Andreas Wildberger (FFG) berichtete, dass auch bei den FördernehmerInnen der FFG Diversität, insbesondere bei größeren Unternehmen, an Bedeutung gewinnt. Unternehmen im IT Bereich nützen, aufgrund des Arbeitskräftemangels, Förderformate zur Frauenförderung und Gleichstellung. Auch die beantragte Anzahl der FEMtech Praktika für Studentinnen steigt stetig. Dieses Praktikaformat unterstützt Unternehmen bei der Suche nach weiblichen Nachwuchskräften. Wichtig ist es, bei den Inhalten von Gender Mainstreaming und den Strukturen der Organisationen anzusetzen und dranzubleiben.

Surur Abdul-Hussain (organisationsentwicklung.coaching.supervision) beantwortet zu Beginn ihres Vortrags die Frage im Titel der Veranstaltung "Ist Diversität der Ersatz für Gender?"- Diversität ist aus ihrer Sicht kein Ersatz für Gender, denn die Wege zur Gleichstellung sind vielfältig. Sie startete ihre Erläuterungen mit der inhaltlichen Ebene und einer Begriffserklärung der Begriffe Frauenförderung - Gender Mainstreaming - Diversitätsmanagement. Diese drei unterschiedlichen Wege zur Gleichstellung haben jeweils einen anderen Fokus und andere Ziele bzw. Herausforderungen. Gemeinsam ist bei allen drei Wegen der Abbau der Diskriminierung. Diskriminierung ist jedoch etwas, das nur die anderen sehen, die Person, die diskriminiert, selbst nicht. Jede Person wird verschiedenen Diversitätsdimensionen zugeordnet z.B. ist sie nicht nur Mann und Frau, sondern jung bzw. alt, hat eine bestimmte Herkunft etc. Dadurch entsteht Komplexität und dies ist die Herausforderung der Intersektionalität. Um diese Komplexität zu reduzieren, gibt es in Organisationen verschiedene Strategien:

  1. Frauenförderung bzw. Fokus auf nur eine Dimension. Risiko: Dimensionen, die relevant sind, werden aus dem Blickwinkel verloren.
  2. Gender Mainstreaming statt Frauenförderung - Hier spielt der Kontext, in welchem dies stattfindet, eine große Rolle. Im technischen Kontext ist diese Herangehensweise nicht empfehlenswert.
  3. Diversitätsmanagement statt Gender Mainstreaming - Diversitätsmanagement macht es nicht einfacher, sondern komplexer. Und Gender Mainstreaming muss dabei einen wichtigen Platz einnehmen.
  4. Gender Mainstreaming unter dem Dach von Diversitätsmanagement bzw. Diversitätsmanagement unter dem Dach von Gender Mainstreaming. Risiko: Gender- bzw. Diversitätsaspekte werden nicht angemessen berücksichtigt.
  5. Gender und Diversity Management - Sind ausreichend Ressourcen vorhanden?

Best Case ist die Triple Strategie "Frauenförderung, Gender Mainstreaming und Diversitätsmanagement". Dafür müssen alle drei Strategien gut verankert werden und bestenfalls durch mehrere Personen oder ein Gender- & Diversity Council oder - Board vertreten sein.

Zentrale Aspekte, die in einer Gleichstellungsstrategie für eine Organisation beachtet werden sollten, sind neben der Basis der Organisation (Geschichte, Kontext, Branche, Image etc.), die Organisationskultur und -struktur. Ein weiterer Aspekt ist die Vielfalt der Belegschaft, die dort vorherrschende Norm, und wie mit dieser umgegangen wird. Was beschäftigt die MitarbeiterInnen? Wie sieht die Entwicklung von Gleichstellung in der Organisation aus und welche Gleichstellungsstrukturen und Gender- und Diversitätsexpertise gibt es bereits?

Für den Entscheidungsprozess gibt es einige wichtige Empfehlungen:

  • MitarbeiterInnen müssen wissen, warum sie etwas tun sollen.
  • Um Akzeptanz aufzubauen, braucht es Partizipation.
  • Die Umsetzung muss glaubwürdig sein. Wenn Gender draufsteht, muss Gender drinnen sein.
  • Kommunikation von Beginn an ist wichtig.
  • Die Maßnahmen sollen sich am Potenzial und an den Ressourcen orientieren.

In der anschließenden Podiumsdiskussion wurden die unterschiedliche Meinungen und Erfahrungen gut repräsentiert und im Austausch der Podiumsgäste respektvoll und angeregt diskutiert.

Surur Abdul-Hussain sieht in der letzten Zeit einen Back Lash in Bezug auf die angesprochenen Themen. Alte Normen verfestigen sich erneut, obwohl die gesetzliche Gleichstellung weit fortgeschritten ist und daraus der Anschein entsteht, dass Gleichstellungsmaßnahmen nicht mehr gebraucht werden. Jedoch gibt es auch positive, entgegengesetzte Entwicklungen, z.B. setzen sich Männer vermehrt für Frauen ein. Sie sieht gendergerechte Sprache als Möglichkeit, neue Bilder entstehen zu lassen. Diversität wird in Organisationen oft als einfache Alternative wahrgenommen. Es wird aber nicht leichter, sondern mündet in Überforderung, vor allem dann wenn es nur Anforderungen an die MitarbeiterInnen gibt, aber keine Akzeptanzbildung durch Partzipation passiert. Das Modell des Diversity Wheel muss für die jeweilige Organisation mit Leben gefüllt , und passende Kategorien ausgewählt werden. Am Beispiel Elternschaft zeigt sich, dass es strukturelle Lösungen auch in der Gesellschaft braucht und nicht jeder individuell Lösungen finden muss. Ein unterstützendes Angebot von Firmen kann z.B. Coaching sein. Coaching nicht erst bei Wiedereintritt anzubieten, sondern bereits Monate davor. Auch verschiedene Arbeitszeitmodelle können hier eine Lösung darstellen. Aus der Sicht von Surur Abdul- Hussain sind Netzwerke und wechselseitiger Austausch für Frauen wichtig.

Manuel Bräuhofer (brainworker) nennt als wichtiges Element der Entwicklung hin zu Gleichstellung in Organisationen, dass Führungskräfte Ziele definieren und diese dann auch umsetzen. Eine der größten Veränderungen und auch Herausforderungen für MitarbeiterInnen bringt Mutterschaft oder Vaterschaft mit sich. Hier sind die Auswirkungen auch abhängig vom Wohnort, da Angebote unterschiedlich verfügbar sind. Generell von Bedeutung sei, dass Umsetzungsmaßnahmen zur Gleichstellung an die Organisation, deren Belegschaft und an deren Bedürfnisse angepasst sind. Er bezeichnet diese Anforderung als radikale Individualität. Als Lehrender an Hochschulen merkt Manuel Bräuhofer an, dass Gender und Diversität als Querschnittsthemen verankert sind. Die Organisationen verlagern die Verantwortung zu den Lehrenden und nur jene, die sich mit dem Thema auseinandersetzen, implementieren es auch in ihre Lehrveranstaltungen. In einigen Studienrichtungen findet man Gender und Diversität auch in den Curricula der Studien.
Geschlechtergerechte Sprache sieht Manuel Bräuhofer als unerlässlich, da Rollenmodelle auch über Sprache etabliert werden. Aus einer Publikumsmeldung, dass jede und jeder etwas tun kann, greift er die Idee auf, dass er vielleicht in Zukunft nicht nur Aktivitäten für Führungskräfte anbietet, sondern auch für die PartnerInnen.
Außerdem sollte man vermehrt Männer fragen "Wie vereinbaren Sie Familie und Beruf?"

Aus dem Publikum wird angemerkt, dass eine globale Gegenbewegung zur Gleichstellung beobachtet wird. Früher war klar, dass niemand offen gegen Gleichstellung Stellung nimmt. Dies hat sich mittlerweile geändert. Manuel Bräuhofer bringt seine Erfahrungen mit Unternehmen ein. Große internationale Unternehmen befinden sich in einem politikfreien Raum. Für diese ist Gleichstellung ein ökonomischer Faktor und das Potenzial, das dabei entsteht, wird gesehen und genutzt. Bei regionaleren KMUs überwiegt oftmals der Konformitätsdruck in den Gruppen und daher kann auch Entsolidarisierung beobachtet werden. Auch als Berater gab es Situationen, in denen es an Wertschätzung, Toleranz und Solidarität gefehlt hat und hier sollte man auch offen zum Scheitern stehen.

Christian Becskei (Knapp) berichtet als Personalchef, dass bei der Personalauswahl ausschließlich zählt, wer die besten Köpfe für die ausgeschriebene Stelle sind. Die Belegschaft des Unternehmens ist ein "bunter Haufen". Ein Gender- oder Diversitycouncil oder Frauen- bzw. Gender & Diversity Beauftragte gibt es nicht, trotzdem ist aus seiner Perspektive Gleichstellung aller MitarbeiterInnen gelebte Praxis. Die Anzahl an Frauen in der Technik wächst stetig. Die Führung ist noch rein männlich, aber im Aufsichtsrat wächst die Anzahl an Frauen. Es gibt viele langjährige MitarbeiterInnen und das Unternehmen versucht die bestmöglichen Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen. Es bietet Angebote zur Kinderbetreuung und breite Arbeitsplatzsicherheit. Vor allem ist auch die Haltung des Unternehmens sehr relevant. Christian Becskei berichtet von zwei Beispielen aus der Firma: Einer Mitarbeiterin wird eine Führungsposition angeboten und sie erzählt in Folge dessen, dass sie schwanger ist. Sie hat den Führungsposten übernommen und das Unternehmen hat die Herausforderungen in der Zeit des Mutterschutzes und der Karenz getragen. Bei Knapp ist es mittlerweile auch Standard, dass Väter, meist zwei Monate, in Karenz gehen. Jene, die diese Möglichkeit nicht in Anspruch nehmen, werden von Ihren KollegInnen mittlerweile gefragt, warum nicht.
Trotzdem sieht er, dass das Unternehmen noch nicht am Ziel angekommen ist, es muss noch viel getan werden. Er sieht den Handlungsbedarf auch in der Gesellschaft, nicht nur im Unternehmen. Ein Thema, das für ihn sehr relevant ist, sind Flüchtlinge als Lehrlinge in Unternehmen. Die Unsicherheit, wie lange diese noch im Land sind, ist für Unternehmen problematisch, hier sollten alle gemeinsam aufstehen, dass das so nicht gehe.

Florian Huber arbeitet als Soziologe in einem IT affinen Unternehmen mit ca. 25 MitarbeiterInnen, wovon 50 Prozent der MitarbeiterInnen Frauen sind. Das Team ist sehr divers, insbesondere in der geografischen Herkunft der Belegschaft, wohingegen die Altersstruktur eher jung ist. Er leitete ein FEMtech Karriere Projekt, dessen Ziel die Schaffung von nachhaltigen Karrieremöglichkeiten für Frauen war. Wichtiges Instrument zur Gleichstellung ist für das Unternehmen auch die Transparenz der Gehälter. Generell ist das Konfliktpotenzial bei Synyo gering, da die MitarbeiterInnen trotz unterschiedlicher Herkunft aus einem ähnlichen Milieu kommen. Positives trägt auch die Firmensprache Englisch bei. Als Soziologe mit Spezialisierung in der Ungleichheitsforschung sieht er einen blinden Fleck in der sozialen Herkunft, die er auch im Diskurs vernachlässigt sieht. Hier nimmt er einen Rückschritt wahr. Er stellt sich diesbezüglich die Frage, wie können Rahmenbedingungen geschaffen werden, die gleiche Chancen für alle garantieren. Überraschend findet er den Umgang mit gendergerechter Sprache vor allem in technischen Branchen. Sogar Frauen mit technischem Studium sprechen von sich selbst in der männlichen Form. Da jede/r etwas tun kann, versucht er auch privat Gleichstellung zu leben.

Gabriele Schwarenthorer erzählte, dass für IBM vor allem der Business Case von Gender & Diversität als Argument zählt. Und damit einhergeht, dass die geeigneten Personen gefunden und gehalten werden und auch keine Energie in "Covering" gesteckt wird. Zu "Uncovering", dem offenen Umgang mit verschiedenen Themen, werden auch Schulungen angeboten, denn das sich öffnen, setzt Ressourcen frei und dies ist sehr positiv für den Erfolg des Unternehmens. IBM war ein Vorreiter in der Frauenförderung und will es auch heute noch sein. Ein Beispiel ist die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, bereits vor der gesetzlichen Verpflichtung. Zu Frauenförderung bietet das Unternehmen verschiedene Programme an und auch ein Gender & Diversity Council ist im Betrieb etabliert. Die Themen Frauenförderung, Gender & Diversität befruchten sich gegenseitig. Im Diversity Management stehen sechs Dimensionen im ständigen Fokus und es gibt dazu klare Ziele. Diese Zielvorgaben sind auch notwendig, denn der Fortschritt zur Gleichstellung ist viel zu langsam. Der Frauenanteil sollte ihrer Meinung nach dem repräsentativen Anteil der Bevölkerung entsprechen. In der beruflichen Praxis beobachtet sie die Entwicklung, dass vor allem junge Frauen nicht wissen, warum sie gefördert werden sollen. Sie erkennen keine Benachteiligung. Die Benachteiligungen werden wahrscheinlich erst nach 3-5 Jahren Berufstätigkeit sichtbar, spätestens dann, wenn sie an die Gläserne Decke stoßen oder Familie gründen.

Fotos: © www.nadine-studeny.at / Nadine Studeny

© Nadine Studeny