FEMtech Netzwerktreffen vom 8. Mai 2023

08.05.2023 Sky Stage im Tech Gate Vienna, Donau-City-Straße 1, 1220 Wien

Von den Besten lernen – Kulturwandel als Erfolgsfaktor?

Der Wettbewerb um Expertise und Talente wird sich in naturwissenschaftlich-technischen Bereichen weiter verschärfen. Bis 2030 rechnet die österreichische Industrie mit über 50.000 zusätzlichen MINT- und Hightech-Jobs. Parallel sinkt das Angebot merklich durch den demografischen Wandel. Besonders schwer wiegt die geringe Attraktivität von MINT-Karrieren für Frauen. Zur Stärkung der Arbeitgeber-Attraktivität und Innovationsfähigkeit sieht die Managementliteratur einen tiefergehenden Wandel der Führungs- und Organisationskultur als notwendig an. Aktuelle Ergebnisse zu den Entwicklungen der Personalpolitik in den außeruniversitären naturwissenschaftlich-technischen Forschungseinrichtungen liegen vor und wurden beim FEMtech Netzwerktreffen in Wien präsentiert. In einem hochwertigen Panel diskutierten Führungskräfte und Forscher:innen anschließend ihre Erfahrungen mit Kulturwandel, Gestaltungsmöglichkeiten auf Arbeits- und Führungsebene sowie Auswirkungen auf die Organisationen. Spannende Aspekte und Fragen aus dem Publikum wurden beleuchtet und angeregt debattiert.

Eröffnet wurde das FEMtech Netzwerktreffen von Beate El-Chichakli, Leiterin der Abteilung III/1- Grundsatzangelegenheiten in der Sektion Innovation und Technologie des BMK. Sie nannte als eines der zentralen Ziele die Erreichung des Wirkungsziels zur Steigerung der Beschäftigung und insbesondere des Frauenanteils im Forschungs- und Innovationsbereich. Vor dem Hintergrund des sich verschärfenden internationalen Wettbewerbs um die besten Köpfe und Talente verwies sie auf die Wichtigkeit, die Standortattraktivität zu stärken und auf Arbeitgeberebene neue Zielgruppen zu erschließen. Dabei stellte sie das „Wie“ zur Diskussion. Demnach sollten sich Frauen nicht noch mehr „ändern“, „optimieren“ oder „verbessern“ müssen, vielmehr sei ein struktureller Wandel notwendig. Wichtig sei insbesondere eine Modernisierung und Öffnung von Führungs- und Organisationskulturen. Dies erfordere ein Verständnis für verschiedene Zielgruppen und deren Bedürfnisse und Erwartungen an ein attraktives Arbeitsumfeld. 

Silvia Laimgruber, Leiterin des Bereichs Strukturprogramme der FFG, verwies in ihren Begrüßungsworten ebenso auf die Notwendigkeit eines Wandels, den es in der Führungs- und Unternehmenskultur voranzutreiben gelte und auf den langen Atem, den es im Prozess brauche, um mehr Frauen in Forschung und Technik zu bringen und zum Bleiben zu motivieren. 
Die FFG setzt eine Reihe von Maßnahmen, um die Gleichstellung der Geschlechter in Forschung, Entwicklung und Innovation zu fördern. Spezielle Förderangebote liefern wichtige Impulse und Anreize. Passend zum Thema der Veranstaltung unterstützt beispielsweise FEMtech Karriere Organisationen dabei, Chancengleichheit in die Praxis umzusetzen sowie gute und faire Rahmenbedingungen für alle Mitarbeitenden zu schaffen (z.B. Herstellung der Work-Life-Balance, variable Arbeitszeitmodelle, Karenzmanagement, usw.). 

Florian Holzinger, wissenschaftlich tätig bei Joanneum Research, POLICIES, präsentierte in seiner Keynote die wichtigsten Ergebnisse der Gleichstellungserhebung 2022 in der außeruniversitären naturwissenschaftlich-technischen Forschung in Österreich. Er beleuchtete außerdem die COMET-Zentren und sprach über die Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten der außeruniversitären Forschungseinrichtungen bei der Förderung von Gleichstellung. Seine wichtigsten Aussagen:

  • Gleichstellung in der außeruniversitären naturwissenschaftlich-technischen Forschung in Österreich – gemessen an der Partizipation von Frauen am wissenschaftlichen Personal, wächst langsam, aber kontinuierlich – zwischen 2004 und 2021 von 20 0% auf 29 %. Allerdings zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Im Vergleich der Forschungseinrichtungen liegen beispielsweise die COMET Zentren deutlich vor dem AIT, Joanneum Research oder Salzburg Research.
  • Während die Frauenanteile in den niedrigeren Beschäftigungsgruppen (bspw. Junior Scientists) in den letzten Jahren deutlich angestiegen sind und überdurchschnittlich hoch sind, bleiben Frauen in Führungspositionen nach wie vor deutlich unterrepräsentiert. 
  • Die außeruniversitäre Forschung ist durch eine relativ dicke Gläserne Decke gekennzeichnet, die anzeigt, dass Frauen relativ geringe Aufstiegschancen haben. Die Gründe dafür können einerseits an der deutlich jüngeren Altersstruktur beim hohen Anteil an Wissenschaftlerinnen, die Teilzeit arbeiten – oftmals verbunden mit Kinderbetreuung – liegen, die dadurch keine Führungsverantwortung übertragen bekommen oder übertragen bekommen wollen. Denn Führungsverantwortung, so zeigen Ergebnisse einer Mitarbeiter:innen Befragung in der außeruniversitären Forschung, ist oft mit vergleichsweise hohen Überstunden und Arbeitsbelastungen verbunden. 
  • Es braucht daher eine neue, inklusive Arbeitskultur, die Personen mit unterschiedlichen Arbeits- und Lebenskonzepten gleichermaßen Teilhabe und Aufstiegschancen ermöglicht. Teilzeitarbeit kann Ausdruck eines derartigen Kulturwandels sein, darf aber nicht zur Karrieresackgasse werden. Neue Führungsmodelle wie geteilte Führung oder Führung in Teilzeit müssen daher zentraler Bestandteil einer neuen zukunftsorientierten und inklusiven Arbeitskultur in der außeruniversitären Forschung in Österreich sein.

Josipa Basta, Gruppenleiterin für Recruiting und Personalmarketing bei Bosch Österreich, sprach in ihrer Keynote aus Unternehmenssicht über „Vielfalt, Chancengerechtigkeit und Teilhabe bei Bosch“, im Englischen Diversity, Equity and Inclusion (DEI). In der Vision für DEI bei Bosch ist die Einzigartigkeit aller stark verankert, Vielfalt wird als Schlüssel für den Unternehmenserfolg verstanden. Die Sicherstellung von Chancengerechtigkeit und die Förderung von Teilhabe sind ebenso Teil der Vision. „We LEAD Bosch“ ist fester Bestandteil der Unternehmenskultur und des Unternehmensleitbildes. Auch bei Bosch habe es einen Kulturwandel gegeben. Basta betonte in ihren Ausführungen die Wichtigkeit der Balance von Prozessen und Richtlinien einerseits und der Weiterentwicklung der Unternehmenskultur andrerseits. Eine Toolbox für Kulturwandel wurde entwickelt, die für Führungskräfte und Mitarbeitende auf allen Ebenen Tools und Maßnahmen in den Feldern Verhalten, Work-Life-Balance, Bewusstsein und Kommunikation, Sicherheit und unbewusste Denkmuster bereithält. Eine offene und flexible Arbeitskultur könne damit gelebt werden. Als Beispiele wurden „Working abroad-Tage“, Sabbatical- Möglichkeiten, die sehr flexible Homeoffice-Regelung und das Top-Sharing-Modell genannt, indem sich in einem konkreten Fall bei Bosch Wien, zwei Frauen die Position der Gruppenleitung in der Softwareentwicklung teilen. In monatlichen „Brain-Snacks“ werden Impulse und Denkanstöße gesetzt und einmal jährlich findet die Diversity-Week statt. Als Unternehmen vielfältig zu sein, sei keine große Herausforderung, sondern eine Chance, um das volle Potenzial nützen zu können. Es dauere, alle Mitarbeitenden auf allen Ebenen auf den Kulturwandel einzustimmen und diesen zu leben, aber es funktioniere und die Ergebnisse seien besser, so Basta mit Überzeugung.

Neben Josipa Basta nahmen Sonja Sheikh, Geschäftsführerin der ACR – Austrian Cooperative Research und Mitglied im Rat für Forschung und Technologieentwicklung (RFTE), Gerd Hesina, Geschäftsführer von VRVis – Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung Forschungs-GmbH und Wolfgang Kern, wissenschaftlicher Geschäftsführer von PCCL – Polymer Competence Center Leoben GmbH an der Podiumsdiskussion teil. Es folgten Erfahrungsberichte aus den unterschiedlichen Unternehmensbereichen und eine angeregte Diskussion über zielführende Maßnahmen und Herausforderungen. Einigkeit gab es im Podium, dass man neue oder kreative Wege denken und gehen müsse und wolle, um Gleichstellung und Diversität in naturwissenschaftlich-technischen Bereichen zu ermöglichen. Fakt sei, dass es kompetente Frauen gäbe und Arbeitgeber:innen gezielter nach ihnen suchen müssten. Jemanden für Gleichstellung & Diversität zu beauftragen oder einen Gleichstellungsplan sowie einen Verhaltenskodex umzusetzen zeigten positive Wirkung. Kommunikation mit den Beschäftigten – insbesondere auch den Zweifelnden – sei ein wesentlicher Erfolgsfaktor.

Bei den Jüngsten beginnen, MINT-Berufe schon in Schulen spannend präsentieren, flexible Arbeitszeitmodelle und Verständnis für die Vielfalt an Bedürfnissen, Training on the job sowie die Sichtbarmachung von Frauen auf allen Ebenen, die bereit sind in MINT Berufen tätig zu sein, wurden in der Abschlussrunde am Podium als einfache und schnell umsetzbare Maßnahmen für das Gelingen des so wichtigen und vielfach geforderten Kulturwandels genannt.