Expertin des Monats
Juli 2005
PhD Franziska Michor

Franziska Lucia Michor beeindruckt durch Schnelligkeit: Seit Mai 2005 hat die erst 22jährige ein PhD der Harvard University in Biologie. Michor studierte in Wien Mathematik und Molekularbiologie, schloss sich vor drei Jahren dem Forscherteam des Mathematikers und Biologen Martin Nowak in Princeton und Harvard an und absolvierte in Rekordzeit ihr Doktoratsstudium.

Michor entwickelt mathematische Modelle von Krebsgenetik, um etwa Vorhersagen über chemotherapeutische Behandlungen zu machen. Mit einem Junior Fellowship der Harvard Society of Fellows tritt sie ab Herbst eine Post-Doc Stelle in Harvard an.

Interview

Sie sind 22 und haben bereits ein PhD1 von der Eliteuniversität Harvard. Ein PhD schaffen die meisten Menschen erst mit Mitte dreißig. Wieso sind Sie so schnell?

Ich hab mich in der Schule so gelangweilt. Ich wollte eigentlich eine Schulstufe überspringen, aber das ging nicht, deswegen habe ich oft die Schule geschwänzt. Als ich endlich von diesem starren Rhythmus der Schule, mit den Vorschriften, wann ich was zu lernen habe, befreit war, hatte ich jede Menge Energie und Motivation für das Studium und absolvierte die Prüfungen ganz schnell. Im ersten Jahr ging ich kaum in Vorlesungen, lernte alles aus Büchern, und so ging alles ruckzuck – 27 Prüfungen in einem Jahr. Diese Schnelligkeit habe ich bis heute beibehalten.

Was haben Sie studiert?

Ich schwankte lange zwischen Chemie, Biologie, Astronomie, Mathematik oder Physik. Erst beim Inskribieren entschied ich mich für Molekularbiologie und Mathematik. Nach eineinhalb Jahren in Wien studierte ich ein Semester Molekular- und Biotechnologie in Triest. Das war spannend – denn ich sprach kein Wort Italienisch, und die Professoren seltsamerweise auch nicht Englisch. Aber es hat gut funktioniert: mit Hand und Fuß und dem Zeichnen der DNA Doppelhelix.

Und wie kamen Sie dann nach Harvard?

Im Juni 2002 hielt Martin Nowak, der damals Professor für Mathematik und Biologie in Princeton war, am Erwin Schrödinger Institut in Wien einen Vortrag. Martin kannte ich schon von den Europäischen Wissenschaftstagen in Steyr im Juli 2000. Beim anschließenden Empfang redete ich mit ihm über Cambridge und Oxford – damals wollte ich mein Doktorat in Cambridge machen, und Martin Nowak hatte ja neun Jahre in Oxford gelehrt. Martin sagte, wenn mich Biologie und Mathematik interessiere und ich ins Ausland gehen wolle, könnte ich doch mit ihm forschen.

Ich hab reichlich keck geantwortet, dass sein Forschungsgebiet nicht spannend sei. Er hatte vorher einen sehr abstrakten Vortrag über die Evolution von Sprache gehalten. Ich aber wollte Krebs heilen – das war immer mein Traum. Da erzählte er mir, dass er gerade eine Kooperation mit Bert Vogelstein begonnen habe, einem Darmkrebsforscher an der John Hopkins University in Baltimore. Ich könnte doch mein Doktorat über so ein Thema machen.

FEUER UND FLAMME WEGEN DES VORSCHLAGS? ODER DREI TAGE NACHGEDACHT?

Im Juli bewarb ich mich in Harvard um einen „Special Student“ Status – was so ähnlich wie ein Gaststudent ist. Nun musste ich innerhalb von zwei Monaten meinen ersten Studienabschnitt in beiden Fächern fertigmachen. Mir fehlten noch 14 Prüfungen und 30 Laborstunden. Mein größtes Problem war nun, dass einige Professoren zu verbohrt waren, mir außertourlich einen Prüfungstermin anzubieten. Ich hätte noch Physikalische Chemie gebraucht, doch der Professor weigerte sich, mich zu prüfen. Erst im Dezember gäbe es den nächsten Prüfungstermin. Ich sollte aber schon im September in Harvard sein.

Also machte ich stattdessen die Prüfung über eine fünfstündige Experimentalphysik-Vorlesung statt der zweistündigen physikalischen Chemie – das war natürlich viel mehr Arbeit. Professorin Renée Schröder, die das Molekularbiologiestudium in Wien initiiert hat, hat mich sehr unterstützt und mir diese Prüfung als gleichwertig angerechnet. 24 Stunden vor Abflug hatte ich den Bachelor in der Hand – oder vielmehr das Zeugnis über den ersten Studienabschnitt meines Doppelstudiums. Dann musste ich Harvard erst davon überzeugen, dass das gleichwertig mit einem amerikanischen Bachelor sei.

2002 hatten Sie also den Bachelor. Aber wie schafften Sie in drei Jahren ein PhD? Da braucht man doch mindestens sechs Jahre!

Im ersten Jahr habe ich nur geforscht. Das war das schönste Jahr überhaupt. Wir waren in einem Labor an der Princeton University, wo Martin Nowak noch lehrte. Ich durfte mit sehr interessanten Gastprofessoren, wie dem Japaner Yoh Iwasa, forschen. In diesem Jahr habe ich wohl zehn theoretische Arbeiten publiziert, gemeinsam mit Yoh Iwasa und Martin Nowak. Nach einem Jahr ist das ganze Team nach Harvard umgezogen. Ich begann 2003 mit dem Doktorat – dafür muss man jede Menge Kurse machen und ein ganzes Jahr unterrichten. Im Mai dieses Jahres war ich mit allem fertig.

Franziska: wann haben sie den Master gemacht? Nach einem Jahr Princeton? Andere benötigen dafür sechs Jahre Zeit. Wieso sind Sie so schnell?

Ich weiß nicht warum – es drängt mich einfach, die Dinge rasch zu erledigen. Finanziert wäre das Doktoratsstudium für sechs Jahre gewesen. Ich hab mich aber für eine Post-Doc Finanzierung beworben, dem Junior Fellowship der Harvard Society of Fellows, und es glücklicherweise bekommen. Deswegen machte ich das Doktorat so schnell fertig.

Woran arbeiten Sie, was ist genau Ihre Forschungstätigkeit?

Ich entwickle mathematische Modelle von Krebsgenetik. Einerseits geht es um generelle Vorgänge, Mutationen, die in jeder Krebsart vorkommen, oder die Inaktivierung der Tumorsuppression, andererseits um spezielle Krebsarten, etwa Darmkrebs. Wir entwickeln mathematische Modelle, um Vorhersagen über bestimmte Krebsarten zu machen.

Was können Sie damit vorhersagen?

Wenn ich beispielsweise eine bestimmte Tumorgröße habe, rechne ich aus, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass dieser Tumor Mutationen hervorbringt, die Resistenzen gegen Chemotherapie verursachen. In Abhängigkeit von Mutationsraten und der Stärke der Chemotherapie kann ich ausrechnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung von Resistenzen ist.

Und was ist die Konsequenz so einer Berechnung?

Bei einer multiplen Chemotherapie wird man dann drei Agents nehmen statt nur einen.

Welchen Unterschied sehen Sie bezüglich Forschung in Österreich und in den USA?

Wissenschaftlich hätte ich in Österreich nie so viel erreicht. Vermutlich hätte ich noch nicht einmal zu forschen begonnen. Oder keiner hätte mich ernst genommen. Ich hätte ein bisschen mitforschen können, aber ein vollwertiges eigenes Projekt hätte ich nicht bekommen. Amerika ist da sicher anders. Aber das liegt auch an Martin Nowak. Wenn der mich nicht so gefördert hätte …

Ist Martin Nowak Österreicher?

Ja. Er studierte in Wien Mathematik und Biochemie, ging dann neun Jahre nach Oxford, entwickelte dort die mathematische Beschreibung von Infektionskrankheiten und wurde erst nach Princeton und dann Harvard berufen. Er ist ein ganz toller Förderer und Ratgeber.

In Wien war auch Kim Nasmyth vom IMP, dem Institute of Molecular Pathology, wichtig für mich. Bei ihm arbeitete ich einen Sommer lang an einem Projekt. Mit Kim treffe ich mich regelmäßig, und er berät mich, wie ich wissenschaftlich weitermachen soll.

Sie haben einen Mentor, dem Sie viel verdanken. Wurden Sie auch von Ihrem Vater sehr gefördert?

Mein Vater ist Professor für Differentialgeometrie an der Universität Wien. Als ich fünf war, hat er mir die Möbiusschleife erklärt – das ist eine Schleife, deren Oberfläche man auf beiden Seiten vollständig berühren kann, ohne die Schleife je umzudrehen.

Wollte Ihr Vater, dass Sie in seine Fußstapfen treten?

Er hat uns nie gesagt, was wir machen sollen. Er hat uns halt gezeigt, dass die Mathematik etwas sehr Schönes ist. Ganz wichtig war auch die bedingungslose Liebe von meiner Mutter. Ich war ein rechtes Nesthäkchen, ging nicht in den Kindergarten, weil ich bei der Mama sein wollte, hing ihr am Rockzipfel, bis ich zehn war. Danach wurde ich sehr selbständig. Ab 15 machte ich viele Auslandsreisen.

Eigentlich kombiniere ich bei meiner Forschung den Beruf beider Eltern. Meine Mutter ist Krankenschwester. Ich habe genau die Mitte genommen: Ich entwickle mathematische Modelle von medizinischen Gegebenheiten.

Was sind Ihre Zukunftsvorstellungen? Wollen Sie in den USA bleiben?

Vorausgesetzt, die Wissenschaft hat weiter einen so wichtigen Platz in meinem Leben, werde ich sicher noch einige Zeit in Amerika verbringen. Die Wissenschaft ist viel spannender hier in Amerika. Ich glaube, die Wissenschaftler kommen mit einer anderen Einstellung zur Arbeit – die Begeisterung und Hingabe ist größer. Ob ich zurückkehre, hängt natürlich auch von den Angeboten ab. Vielleicht werden in Wien ein paar Superinstitute gegründet, die genau das machen, was mich interessiert.

In den vergangenen Jahren haben Sie Ihre Energie auf Ihr Studium fokussiert. Fehlt Ihnen eigentlich manchmal, was andere Menschen in Ihrem Alter so treiben?

Das habe ich ja mit 16 schon gemacht. Da hab ich viel Schule geschwänzt, gefeiert, Turniertanz betrieben, dreimal die Woche die halbe Nacht durchgetanzt. Es war wunderschön. Ich habe so viel gefeiert, dass ich nachher nicht mehr so richtig das Bedürfnis dazu hatte. Jetzt mache ich eben die Nacht durch, wenn ich an einem spannenden Projekt arbeite.

Wie entspannen Sie sich?

Wenn ich zuhause in Klosterneuburg bin, gehe ich reiten. Meine Schwester und ich haben zwei Islandpferde – stundenlang ausreiten gehen im Wienerwald ist das Ultimative. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, oder zumindest im Wienerwald, ich brauche viel Wald und Wiesen. In Boston laufe ich gerne den Charles River entlang, oder ich gehe schwimmen. Oder ich sitze vor dem Kamin in meiner Wohnung, das ist auch entspannend.

Wie ist Ihre Arbeitszeit?

Von sieben Uhr morgens bis elf Uhr abends.

Da gehört schon viel Disziplin dazu …

Es ist die Liebe zur Arbeit. Es gibt auch Zeiten, wenn nichts funktioniert – wenn gerade ein Paper abgelehnt wurde, oder ich bringe eine Rechnung nicht zusammen, und vielleicht regnet es noch draußen, oder zuhause ist mit den Pferden etwas passiert, und mir geht alles auf die Nerven – dann arbeite ich auch nicht so viel. Da bin ich vielleicht im Büro, aber verschwende die Zeit mit Internet surfen oder ähnlichem. Aber wenn es ein spannendes Projekt gibt, könnte ich den ganzen Tag und die ganze Nacht arbeiten.

Ich glaube, das liegt auch daran, dass es in der Schule so langweilig war. Dort wurden alle auf derselben Geschwindigkeit gehalten. Keiner durfte schneller oder besser sein, keiner langsamer oder schlechter – alle wurden durch eine Facon gepresst. Ich habe es gehasst, dass man warten muss, bis man etwas machen darf, dass man zurückgehalten, gebremst wird.

Haben Sie auch einmal Diskriminierung als Mädchen oder Frau erlebt?

Dazu möchte ich eine kleine Anekdote erzählen: Ich war 18, es war Zeit für den Führerschein. Meine Schwester und ich überlegten, ob wir auch den LKW-Führerschein machen sollten, da wir ja Pferde haben. Da sagte mein Vater, er finde, zur klassischen Ausbildung eines Mädchens gehöre heutzutage der LKW-Führerschein samt Anhänger. Also sind wir mit diesem 18-Tonnen-Ding durch die Gegend gedonnert, und ich konnte das genauso gut oder sogar besser als die Buben.

Das hat mir so deutlich gezeigt: Es gibt keinen Unterschied zwischen Mädchen und Buben. Es war zwar körperlich schwierig, diesen Riesen-Anhänger anzuhängen. Aber fahren konnten wir genauso gut. Das war ein Schlüsselerlebnis: Alle Türen stehen offen, wenn man sich nur traut, sie aufzumachen.

1 PhD (Doctor of Philosophy) wird zwar meist mit Doktorat übersetzt, entspricht aber einer Habilitation. Sie befähigt zur Lehre auf Universitäten.

Franziska Michor
PhD Franziska Michor

Harvard University

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Letzte Aktualisierung: 05.05.2023