Expertin des Monats
Jan. 2022
Dlin Nilüfer Cipa

Ich glaube, einer der wichtigsten Gründe dafür, dass nur wenige Frauen naturwissenschaftliche oder technische Studiengänge absolvieren, liegt in der "Pinkification" der Mädchen im frühen Alter. Typisches Spielzeug und Kleidung nach Geschlechterstereotypen sind zugeordnet und sind allgegenwärtig in unserer Gesellschaft. Woran es jedoch mangelt, sind Vorbilder – beider Geschlechter – die den Mädchen der nächsten Generation, die Begeisterung und Faszination von Technik und Naturwissenschaft vorleben. Zu wird gesagt „Das ist nichts für Mädchen“, anstatt ihre Neugierde zu fördern.

Interview

Interview mit Nilüfer Cipa

Was steht auf Ihrer Visitenkarte?  
Nilüfer Cipa, ms.GIS – Geospatial & IoT Solution

Was macht die ms.GIS Informationssysteme GmbH genau?
ms.GIS hat 2 Schwerpunkte:

  • Geospatial Solutions – ms.GIS erstellt Geodatenbanken, Geographic Information System (GIS)-Software Lösungen und Apps, Workflow Lösungen und Routenführungslösungen für den professionellen Einsatz.
  • ms.GIS entwickelt ebenso SmartHome Lösungen und Anwendungen im Bereich Energiedatenmanagement.

Sie sind Senior Geographic Information System Specialist. Was machen Sie da genau?
In meinem Arbeitsalltage beschäftige ich mich mit der Verarbeitung und Darstellung räumlicher Daten. Hierbei gibt es grob zwei Kategorien. Rasterdaten sind im AllgemeinenSatelliten- und Luftbilder. Daraus lassen sich computerunterstützt digitale Höhenmodelle erzeugen. Vektordaten sind im Alltag zum Beispiel Straßenkarten. Generell gesprochen, sind diese ein Datenmodell zur Abbildung räumlicher Objekte wie eben Messpunkte, Straßen oder Verwaltungsgrenzen. Zur Datenverarbeitung gehört auch, dass ich Erkenntnisse aus vorhanden Daten generiere. Beispielsweise lässt sich aus Satellitenbildern das Gefälle von Berghängen berechnen – eine wesentliche Aufgabe in einem gebirgigen Land wie Österreich. Andererseits sollen bestehende oder auch generierte Daten in eine für Menschen verständliche, räumliche Darstellungsform gebracht werden. So lassen sich Steinschläge als Vektordatenobjekte auf einer Karte, die das zuvor berechnete Gefälle zeigt, eintragen und sich daraus Zusammenhänge ableiten.
Die Kund:innenprojekte, an denen ich aktiv arbeite, betrachten sehr unterschiedliche Aspekte räumlicher Daten. Es sind ihnen aber einige typische Arbeitsschritte gemeinsam. So führe ich üblicherweise eine Datenbereinigung und -aufbereitung durch, um die Daten in die gewünschte Form zu bringen beziehungsweise diese in eine Datenbank zu importieren. Dies kann auch die Erstellung von Validierungsprogrammen beinhalten, die die Integrität der Daten entsprechend der Kund:innenspezifikation sicherstellen. Zur Datenverarbeitung verwende ich hier im Normalfall die Programmiersprache Python in Kombination mit Shell-Skripten. Der nächste Arbeitsschritt in einem Projekt beinhaltet die Modellierung und Analyse der räumlichen Daten. Dies kann so vielfältig sein, wie zum Beispiel die automatisierte Berechnung hydrologischer Prozesse, die Analyse digitaler Höhenmodelle oder die Berechnung in Verkehrsnetzen sein. Um aus den Modellergebnissen sinnvolle Erkenntnisse gewinnen zu können, bereite ich diese in Form von automatisiert erstellten Berichten auf. Die Auswertung in Tabellenform aber insbesondere die Kartendarstellung und ansprechend gestaltete Datenvisualisierung sind für mich Teil meines kreativen Alltags. Für all diese Arbeitsschritte gelangen häufig OpenSource-Werkzeuge wie Quantum Geoinformationssystemssoftware (QGIS) und Geospatial Data Abstraction Library (GDAL) zum Einsatz.
Eines meiner Kund:innenprojekte beschäftigte sich mit den Einzugsgebieten österreichischer Gewässer. Hierfür durfte ich eine breite Palette unterschiedlicher Datenquellen verarbeiten. Aus diesen habe ich eine Vielzahl an Kenngrößen extrahiert und in Berichtsform automatisiert aufgearbeitet. Das Programm dazu wurde von mir entwickelt und berechnet beispielsweise Gewässerlänge, Oberflächenabfluss, maximale Hangneigung und die prozentuellen Anteile geologischer Schichten. Die so dargestellte Information dient dabei als Hilfsmittel im Umweltschutz und auch als Entscheidungsgrundlage für das Naturgefahrenmanagement. In Zeiten des Klimawandels kommt diesen Arbeiten zunehmende Bedeutung zu, vor allem auch zur Wissensvermittlung in der Bevölkerung. Ich hoffe, dass ich dadurch auch einen kleinen Beitrag zur Bewältigung dieser Herausforderung leisten kann.

Was fasziniert Sie an Ihrem Job?
Die Vielseitigkeit der Problemstellung, der Tätigkeiten und Arbeitsabläufe sowie der Lösungen, die ich dazu erarbeiten kann. Das Schöne ist, dass es hier immer etwas Neues zu Lernen gibt. Besonders gut funktioniert das natürlich bei Arbeiten in einem hervorragenden Team, das ich glücklicherweise bei ms.GIS gefunden habe.

Wie hoch ist der Frauenanteil bei der ms.GIS Informationssysteme GmbH?
Von aktuell 29 Mitarbeiter:innen sind 9 Frauen, also 31%. Interessant ist aber, dass von 8 im Zeitraum 2018-2021 neu aufgenommen Kolleg:innen, 5 Frauen waren … 63% !
Im gleichen Zeitraum konnten wir 4 Karenzrückkehrerinnen wieder ins Team integrieren und teilweisemit verantwortungsvolleren Positionen betrauen.

Was unternimmt die ms.GIS Informationssysteme GmbH zur Förderung von Chancengleichheit in der Organisation?
Alle Positionen und Aufgaben werden vollkommen gender-neutral vergeben.
Die ausschlaggebenden Kriterien sind: technische, persönliche und soziale Kompetenz

Sie haben Geodäsie und Geoinformation an der Technischen Universität Wien studiert. Wie kam es dazu?
Schon als Kind, habe ich mich für Karten interessiert. Während unserer vielen Familienausflüge saß ich immer hinter meinem Vater und versuchte die Route zu verfolgen, die wir fuhren (damals gab es noch kein Navifationsgerät). Seit der Schule wusste ich, dass ich Ingenieurin werden wollte und so wählte ich zunächst das Bachelorstudium Geodäsie und Vermessungswesen in Istanbul. Bei meinem anschließenden Masterstudium entschied ich mich inspiriert durch mein Umfeld ein Auslandssemester zu absolvieren. Ich kann also sagen, dass es mich durch das Erasmusprogramm nach Wien verschlagen hat. Die Stadt und die Technische Universität Wien haben mir dabei so gefallen, dass ich beschloss, statt in der Türkei in Wien ein Masterstudium zu absolvieren. Nach einem Jahr Vorstudienlehrgang Deutsch konnte ich dann Geodäsie und Geoinformation an der TU Wien inskribieren und auch erfolgreich abschließen.

Was braucht es Ihrer Meinung nach noch, damit mehr Mädchen und Frauen in Naturwissenschaft und Technik Fuß fassen?
Ich glaube, einer der wichtigsten Gründe dafür, dass nur wenige Frauen naturwissenschaftliche oder technische Studiengänge absolvieren, liegt in der "Pinkification" der Mädchen im frühen Alter. Typisches Spielzeug und Kleidung nach Geschlechterstereotypen sind zugeordnet und sind allgegenwärtig in unserer Gesellschaft. Woran es jedoch mangelt, sind Vorbilder – beider Geschlechter – die den Mädchen der nächsten Generation, die Begeisterung und Faszination von Technik und Naturwissenschaft vorleben. Zu wird gesagt „Das ist nichts für Mädchen“, anstatt ihre Neugierde zu fördern.


Wordrap mit Nilüfer Cipa

Womit ich als Kind am Liebsten gespielt habe:
Ich habe gern mit meinem Teddybären und meiner Puppe gespielt. Aber am Liebsten habe ich meine Zeit draußen auf der Straße in Istanbul mit meinen Freund:innen verbracht und Hüpfspiele (Himmel und Hölle oder mit Schnüren) und Ballspiele (Esel in der Mitte) gespielt.

Dieses Studium würde ich jetzt wählen:
Derzeit bin ich ziemlich fasziniert davon, wie das Immunsystem funktioniert. Wenn man mir diese Frage vor der Coronakrise gestellt hätte, hätte ich sicher Informatik gesagt, aber ich denke, ich würde jetzt Molekularbiologie wählen. In meiner naiven Vorstellung ist es die Ingenieur:innenwissenschaft der Biologie.

Mein Vorbild ist:
Ich hatte nie ein bestimmtes Vorbild in meinem Leben. Der Blick auf die Welt änderte und erweiterte sich in jeder Phase meines Lebens und mit ihm die Personen, die mich inspirierten. Als ich ein Kind war, waren meine studierenden Cousinen meine Vorbilder. Danach war es mein Ziel, im Ausland zu studieren und meine Karriere außerhalb der Türkei fortzusetzen, und da waren natürlich die Leute, die das geschafft haben, meine Idole. Da die letzten zwei Jahre für alle sehr hart waren – geprägt von Negativität, Pessimismus und mangelnder Empathie - sind meine Vorbilder jetzt Freund:innen, Familie und Kolleg:innen, die optimistisch, kämpferisch und mit positiver Einstellung durchs Leben gehen!

Was ich gerne erfinden würde:
Da ich getrennt von meiner Familie in der Türkei lebe, möchte ich gerne das Beamen erfinden, um sie spontan besuchen zu können.

Wenn der Frauenanteil in der Technik 50 Prozent beträgt …
… würden wir von der Innovationskraft der ganzen Bevölkerung profitieren.

Wenn der Frauenanteil in Führungspositionen 50 Prozent beträgt …
… würde sich eine größere Vielfalt an Führungsstilen im Wettbewerb der Ideen befinden und langfristig positiv auf Arbeitsklima und Unternehmenserfolge auswirken.

Was verbinden Sie mit Innovation:
Ich verbinde Innovation mit originellen und kreativen Ideen, die umsetzbar sind und als Ergebnis unser Leben verbessern.

Warum ist Forschungsförderung in Österreich wichtig:
Österreich ist ein Land, das keine natürlichen Ressourcen außer seiner Umwelt, Geschichte und Kultur und den Fähigkeiten seiner Einwohner:innen hat. Um den Wohlstand hier zu erhalten, müssenwir  daher in Wissenschaft, Know-How und Innovation investieren. Kleinen und mittelständischen Betrieben, die lokal verankert, aber global erfolgreich im Wettbewerb stehen, kommt dabei eine besondere Bedeutung zu.

Meine Leseempfehlungen lauten:
Nonviolent Communication: A Language of Life - Marshall B. Rosenberg
The 7 Habits of Highly Effective People - Stephen R. Covey
Lean in - Sheryl Sandberg
Blindness - Jose Saramago

Nilüfer Cipa
Dlin Nilüfer Cipa

Lebenslauf (pdf, 150,00 KB)

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Letzte Aktualisierung: 08.01.2022