Expertin des Monats
Mai 2023
Dr.in Christina Schmidbauer

Ein wichtiger Punkt ist meines Erachtens die Bewusstseinsbildung. Die Klischees, dass Männer besser in MINT-Fächern und die besseren Techniker seien, leben. Ich war mit vielen solchen Situationen konfrontiert. In einer Beispielsituation saß ich, mit meinen mehreren Jahren Berufserfahrung in der Automobilindustrie, zusammen mit einem sehr kompetenten Kollegen, der jedoch über viel weniger Erfahrung in dieser Industrie verfügte, in einer Besprechung. Ein zweiter Kollege befragte ihn zu den Automobilindustrie-Themen, nicht mich. Ich war sprachlos, dass er nicht einmal daran dachte, mich zu fragen. Mehr Bewusstseinsbildung bei Schüler:innen, Studierenden, aber auch Eltern, Großeltern, Lehrer:innen und Berufstätigen könnte hier helfen.

Ein weiterer, damit verbundener, Punkt ist die Kultur in den Unternehmen. Als Frau in Unternehmen, wo überwiegend Männer arbeiten, fühlt man sich oft als würde „frau“ nicht dazugehören. Hier sollte es ein Augenmerk auf die Integration von Frauen geben.

Interview

Interview mit Christina Schmidbauer

Was steht auf Ihrer Visitenkarte?  

Dr.in techn. Christina Schmidbauer, MSc, BSc

Senior Project Manager Engineering

Steyr Automotive GmbH      

Schönauerstraße 5, 4400 Steyr / Austria

M +43 664 88923118

E  Christina.Schmidbauer@steyr-automotive.com

W  www.steyr-automotive.com

Was macht die Steyr Automotive GmbH genau?

Steyr Automotive GmbH ist Auftragsfertigerin, Entwicklungsdienstleisterin und zukünftig auch Original Equipment Manufacturer (OEM) im Nutzfahrzeugsegment. Steyr Automotive ist erfolgreiche Auftragsfertigerin für unter anderem die MAN Truck & Bus SE, Volta Trucks AB und Palfinger AG.

Steyr Automotive entwickelt und forscht als Komplettanbieterin vom Konzept bis zur Serienreife. Technologieoffenheit ist Voraussetzung, wobei nachhaltige, alternative Antriebsformen, Materialien, Bauteile und Verfahren im Zentrum der Aktivitäten stehen. Die Verbindung von Engineering- und Produktionskompetenz am selben Standort gewährleistet, dass Projektziele nicht nur erreicht, sondern auch zu geplanten Kosten und Terminen umgesetzt werden können. Zudem verfügt Steyr Automotive über ein breites Netzwerk, um auch jedes Spezialthema koordiniert aus einer Hand anbieten zu können.

Parallel entwickelt Steyr Automotive eigene Fahrzeuge unter der Marke STEYR sowohl im Kleintransporter - als auch im Stadtbus-Segment.

Sie sind Senior Projektmanagerin. Was machen Sie da genau?

Ich bin Senior Projektmanagerin in der Entwicklung der Steyr Automotive. Dort leite ich das Projekt „eDrive“ zur Entwicklung eines batterieelektrischen Kleintransporters. Im Zuge dessen akquiriere und koordiniere ich unternehmensweit die Forschungsförderungen. Zudem sorge ich für die Etablierung von Projektmanagementstandards im Unternehmen und unterstütze andere Projektleiter:innen bei ihren Aufgaben. Darüber hinaus gestalte ich mit meinen Kolleg:innen den Produktentwicklungsprozess nach dem V-Modell. Das V-Modell ist eine Vorgehensweise, bei welcher die Entwicklungsphasen den Validierungsphasen gegenübergestellt werden. Ausgehend von den Anforderungen an ein Produkt werden zunächst auf Gesamtproduktebene die Funktionen und die Produktarchitektur abgeleitet. Parallel werden die Tests, um das Produkt abzusichern, definiert. Im Anschluss werden die Anforderungen für die nächste Phase der Entwicklung abgeleitet, z.B. die Entwicklung der Subsysteme des Produkts usw.

Was fasziniert Sie an Ihrem Job?

Meine Erfahrungen als Projektleiterin in der Forschung kann ich bei der Steyr Automotive bei Fahrzeugprojekten anwenden und erweitern. Obwohl die Projektmanagementmethoden die gleichen sind, sind die Herausforderungen durch die spezifischen Marktanforderungen andere. Im Speziellen leite ich im Fahrzeugprogramm für einen batterie-elektrischen Kleintransporter das Projekt „eDrive“. Dabei sind der elektrische Antrieb, die Batterie, das Batteriemanagementsystem und die Hochvolt-Leitungen und -Systeme zu berücksichtigen. Fahrzeugprojekte sind besonders spannend, da die technische Komplexität hoch ist und gleichzeitig ein hoher Wettbewerb zu einem Kosten- und Zeitdruck im Projekt führt.

Ich arbeite gerne bei Steyr Automotive, weil ich dort nachhaltige Nutzfahrzeuge mitentwickeln und beim Aufbau des jungen Unternehmens unterstützen kann. Die Aufgaben sind vielfältig und es bedarf eines hohen Verantwortungsbewusstseins.

Wie hoch ist der Frauenanteil bei der Steyr Automotive GmbH?

Der Frauenanteil bei der Steyr Automotive GmbH liegt derzeit bei 12,8%. Dieser liegt nur leicht unter dem Referenzwert in der Automobilindustrie in Österreich von 14,8% (lt. WKO Beschäftigungsstatistik Stand 2019).

Was unternimmt die Steyr Automotive GmbH zur Förderung von Chancengleichheit in der Organisation?

Die Gleichstellung hinsichtlich Vergütung bei Frauen und Männern ist für die Steyr Automotive GmbH selbstverständlich. Darüber hinaus forciert die Steyr Automotive GmbH Mitarbeiter:innen [NS1] im Rahmen der Nachfolgeplanung bei der Besetzung offener Stellen. Außerdem bietet das Unternehmen bei Bedarf individuell angepasste Arbeitszeitmodelle für Mitarbeiter:innen in Teilzeit an, um Beruf und Familie besser vereinbaren zu können. Auch die Ausübung von Führungsfunktionen in Teilzeit wird im Unternehmen gelebt und unterstützt.

Sie haben zunächst High Tech Manufacturing an der Fachhochschule Campus Wien studiert und danach in Wirtschaftsingenieur:innenwesen – Maschinenbau an der Technischen Universität Wien promoviert. Wie kam es dazu?

Wie wird aus einem Blech eine Fahrzeugkarosserie oder eine Konservendose? Wie arbeiten hunderte Angestellte und Arbeiter:innen effizient an einem Produkt zusammen? Die Beantwortung dieser Fragen hat mich stets interessiert – sowohl aus technischer als auch aus wirtschaftlicher Sicht. Insbesondere die Gestaltung von den Abläufen im Unternehmen, seien es technische Fertigungs- und Montageprozesse oder administrative Abläufe, hat mich immer begeistert. Durch mein Bachelorstudium „Produktion und Management“ habe ich einen guten Überblick über die Prozesse in Unternehmen erhalten. Im Studium „High Tech Manufacturing“ konnte ich mein Wissen im Bereich der Fertigungstechnik mit Fokus auf innovative Methoden wie die additive Fertigung (3D-Druck) vertiefen. Das Doktorat in „Wirtschaftsingenieur:innenwesen – Maschinenbau“ hat mir ermöglicht mich auf innovative Montageprozesse zu fokussieren. Dabei werden die Menschen durch industrielle Assistenzsysteme, wie zum Beispiel kollaborationsfähige Roboter, bei ihrer Arbeit unterstützt.

Sie haben letztes Jahr von der Universität zur Industrie gewechselt. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Ich habe schon während meiner Schulzeit, meinem Bachelor- und Masterstudium als Werkstudentin und Praktikantin in der Industrie gearbeitet. Nach meinem Masterstudium habe ich als Angestellte für Fahrzeugkonfigurationen im Auftragsmanagement der Mercedes Benz G GmbH gearbeitet. Nach über zwei Jahren in diesem Job wollte ich etwas Neues lernen. Ich machte einige Monate ein Sabbatical und bewarb mich an der Technischen Universität Wien für das Doktoratskolleg „Trust Robots“. Während dieser Zeit in der Forschung und Lehre machte ich viele neue Erfahrungen und erweiterte mein Wissen enorm. Nach Abschluss meines Doktorats war ich jedoch an einem Punkt angelangt, an dem ich wieder neue Eindrücke benötigte. Ich bewarb mich bei vielen Unternehmen und hatte einige gute Angebote. Die Möglichkeit bei Steyr Automotive neben Produktprojekten auch Prozesse mitgestalten zu können, faszinierte mich jedoch am meisten.

Die Entscheidung in die Industrie zu wechseln war jedoch keine Entscheidung gegen die Forschung und Lehre. Die Möglichkeiten und Angebote sind jedoch in der Industrie weit einfacher zugänglich als im universitären Umfeld.

Was braucht es Ihrer Meinung nach noch, damit mehr Mädchen und Frauen in Naturwissenschaft und Technik Fuß fassen?

Ein wichtiger Punkt ist meines Erachtens die Bewusstseinsbildung. Die Klischees, dass Männer besser in MINT-Fächern und die besseren Techniker seien, leben. Ich war mit vielen solchen Situationen konfrontiert. In einer Beispielsituation saß ich, mit meinen mehreren Jahren Berufserfahrung in der Automobilindustrie, zusammen mit einem sehr kompetenten Kollegen, der jedoch über viel weniger Erfahrung in dieser Industrie verfügte, in einer Besprechung. Ein zweiter Kollege befragte ihn zu den Automobilindustrie-Themen, nicht mich. Ich war sprachlos, dass er nicht einmal daran dachte, mich zu fragen. Mehr Bewusstseinsbildung bei Schüler:innen, Studierenden, aber auch Eltern, Großeltern, Lehrer:innen und Berufstätigen könnte hier helfen.

Ein weiterer, damit verbundener, Punkt ist die Kultur in den Unternehmen. Als Frau in Unternehmen, wo überwiegend Männer arbeiten, fühlt man sich oft als würde „frau“ nicht dazugehören. Hier sollte es ein Augenmerk auf die Integration von Frauen geben.


Wordrap mit Christina Schmidbauer

Womit ich als Kind am Liebsten gespielt habe:

Mit meinem Hund – einem Collie-Mischling

Dieses Studium würde ich jetzt wählen:

Technische Physik oder einen Master of Business Administration (MBA)

Mein Vorbild ist:

Jede:r kann ein Vorbild sein. Die eine hat ein vorbildliches Durchhaltevermögen, der andere ein ausgeprägtes Verkaufstalent. Jede:r hat eine Eigenschaft, die sich ein:e andere:r aneignen möchte.

Was ich gerne erfinden würde:

Robotik-Anwendungen, um das Leben der Menschen zu erleichtern und eine transparente Fahrzeugwerkstatt, in der Ersatzteilkosten wie auch Reparaturkosten für Kund:innen transparent berechnet werden.

Wenn der Frauenanteil in der Technik 50 Prozent beträgt …

… können mehr Potentiale ausgeschöpft werden. Hier verpassen die heutigen Forschungs- und Entwicklungsinstitute und -abteilungen noch sehr viele Möglichkeiten.

Zusätzlich könnten viele geschlechtsbezogene Verzerrungseffekte (Gender Bias) verhindert werden und Produkte würden für Frauen und Männer gleichermaßen passend entwickelt werden können. Folglich könnte auch ein höherer Absatz generiert werden.

Wenn der Frauenanteil in Führungspositionen 50 Prozent beträgt …

…verbessert dies die Unternehmensperformance und erhöht die Attraktivität als Arbeitgeber:in (Studie ILO, 2019)

Was verbinden Sie mit Innovation:

Fortschritt und etwas zum Positiven verändern.

Warum ist Forschungsförderung in Österreich wichtig:

Durch die Forschungsförderung kann die langfristige Ausrichtung der Forschung und Entwicklung im Land maßgeblich beeinflusst werden. Dies bietet Unternehmen und Forschungseinrichtungen auch einen Wegweiser, welche Bereiche zukünftig verstärkt und welche weniger erforscht werden sollen.

Meine Leseempfehlung lautet:

Fredmund Maliks „Führen, Leisten, Leben“ und für den Alltag das Magazin „Brand Eins“