Expertin des Monats
Apr. 2005
Prof.in Mag.a Dr.in Dr.in Claudia Draxl

Claudia Draxl ist Professorin am Institut für Theoretische Festkörperphysik an der Humboldt-Universität zu Berlin, wo sie die Forschungsgruppe "Solid-State Theory" leitet.

Nach dem Studium der Physik und Mathematik promovierte sie in theoretischer Physik. Sie ist Ehrendoktorin der Universität Uppsala (Schweden), wo sie auch als Gastprofessorin tätig war. Im nachfolgenden Interview spricht sie über ihren Spaß an der Forschung und was ihr dennoch die Freude manchmal vergällt, welches Führungsverhalten sie pflegt und was sie ihren jungen Kolleginnen rät.

Interview

Was hat Sie zur Physik gezogen?
Ursprünglich wollte ich ja Pilotin werden! Das ist daran gescheitert, dass Frauen damals nicht zur Ausbildung aufgenommen wurden. Ich habe mich auch nie wirklich zwischen Naturwissenschaften und Musik entscheiden können. Ich habe die Aufnahmsprüfung für die Musikhochschule in Wien gemacht, dann aber beschlossen, in Graz zu bleiben – also studierte ich Physik und Mathematik. Mit Zahlen umzugehen hat mir immer Spaß gemacht – Rechnen konnte ich schon, bevor ich in die Schule ging.

Haben Sie denn später fliegen gelernt?
Nein – es tut mir aber nicht leid. Fliegen ist zwar schön, aber der Beruf einer Pilotin doch nicht so spannend wie Wissenschaftlerin.

Was ist das Spannende an der Wissenschaft?
Die Arbeit ist nie Routine. Sie darf auch nicht zur Routine werden. Wenn man jeden Tag von Graz nach Frankfurt und zurück fliegt, ist das langweilig, keine Herausforderung mehr. In der Wissenschaft kann ich täglich etwas Neues machen. Da steckt auch viel Knochenarbeit dahinter, es ist ja nicht so, dass ich jeden Tag mit den besten Ergebnissen rechnen kann. Aber insgesamt ist es abwechslungsreicher.

Was ist Ihr Arbeitsgebiet?
Ich beschäftige mich mit Dichtefunktionaltheorie. Das ist eine Methode, um Vielteilchenprobleme zu lösen. Ein Festkörper ist ein komplexes System, das aus vielen Teilchen besteht – grob gesprochen, aus Atomkernen und Elektronen. Bei der Dichtefunktionaltheorie setzt man die Kerne auf die entsprechenden Plätze im Kristallgitter und beobachtet, wie sich die Elektronen zwischen den Atomkernen verteilen. Sämtliche Materialeigenschaften – mikroskopische wie makroskopische - hängen nun von dieser Elektronendichte ab. Man kann feststellen, ob das Material hart ist oder weich, metallisch oder halbleitend, was auch immer.

Was ist das Ziel dieser Forschungen?
Erstens ist es die pure Freude am Wissen, zu entdecken, was in einem Festkörper vorgeht. Zweitens sind die Methoden mittlerweile so gut und die Computerprogramme schnell genug, dass auch anwendungsorientierte Fragestellungen behandelt werden können.

Erforschen Sie bestehende Materialien oder entwickeln Sie neue?
Beides. Es ist interessant, bestehende Materialien, etwa Metalle oder Halbleiter, durchzurechnen, um herauszufinden, warum etwas ist, wie es ist. Die Methode wird aber auch verwendet, um Materialeigenschaften vorherzusagen. Am Computer ist es oft einfacher als im Labor, ein Material zu modifizieren – etwa ein Atom zu ersetzen oder das Material hohem Druck auszusetzen und zu beobachten, wie sich das Material dadurch ändert.

Sie könnten also neue Materialien designen?
In gewisser Weise ja. Meistens arbeiten wir aber mit experimentellen Gruppen zusammen, für die wir die theoretische Analyse liefern.

Sie publizieren sehr viel: 16 Publikationen im Jahr 2004, 17 im Jahr 2003 – wie schaffen Sie das?
Es ist viel Arbeit. Meine Gruppe hat aber eine bestimmte Größe, da tragen mehrere Köpfe dazu bei. Und es macht sehr großen Spaß, mit meinem Team zu arbeiten.

Es wird immer wieder behauptet, dass Frauen ein anderes Führungsverhalten als Männer haben. Glauben Sie, dass das generell stimmt, und wie sind Sie als Chefin?
In meiner Gruppe gibt es de facto keine Hierarchie. Natürlich achte ich darauf, dass nichts schief geht, aber wenn man ein natürliches, gutes Verhältnis zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat, ist Hierarchie nicht notwendig.

Glauben Sie, dass das eine weibliche Herangehensweise ist, oder ist es Ihr persönlicher Zugang?
Es ist auf jeden Fall mein persönlicher Zugang. Aber ich glaube, dass es auch eine weibliche Eigenschaft ist, weniger spitze Hierarchien aufzustellen, sondern im Team zu arbeiten. In so einem Team fühlen sich auch Männer wohl, auch die schätzen ein persönlicheres Betriebsklima.

Wie groß ist Ihre Gruppe, und wie viele Frauen sind dabei?
Wir sind zehn Personen, mich eingerechnet, davon vier Frauen.

Sie leiten gemeinsam mit Ihrer Innsbrucker Kollegin Prof. Monika Ritsch-Marte einen Arbeitskreis zu „Frauen und Physik“ innerhalb der Österreichischen Physikalischen Gesellschaft. Was wollen Sie verändern?
Wir sind seit Gründung des Arbeitskreises dabei, geleitet hat diesen allerdings jahrelang ein Mann – der seine Arbeit übrigens sehr gut gemacht hat. Eines unserer wichtigsten Ziele war, Stipendien für Dissertantinnen zu initiieren. Für junge Absolventinnen ist die Zeit nach Studienende kritisch für den Karriereverlauf: Wenn keine Stellen vorhanden sind und keine Möglichkeit, eine Dissertation zu beginnen, werden sie viel schneller vom Karriereweg abgedrängt als ihre männlichen Kollegen. Die Situation hat sich gebessert, seit die Akademie der Wissenschaften die DOC fFORTE-Stipendien an Dissertantinnen vergibt.

Warum brauchen junge Frauen eigene Stipendien? Was läuft da schief?
Ich glaube, dass Frauen eher übersehen werden – und sich auch weniger klar und deutlich artikulieren und sagen, sie würden dies oder jenes gerne machen. Die Universitätsstatistiken zeigen deutlich, dass die Planstellen zum Großteil von Männern besetzt werden, während Frauen meistens über Projekte mitarbeiten – und deshalb viel leichter wieder aus der Karriereschiene fallen können.

Was machen Sie persönlich, um Ihre Mitarbeiterinnen zu fördern?
Das Wichtigste ist, den Frauen regelmäßig zu sagen, dass sie es schaffen können. Das Selbstvertrauen stärken. Frauen neigen dazu, ständig zu hinterfragen, ob sie für eine Stelle geeignet sind, selbst wenn 90 Prozent der Ausschreibung auf sie zutreffen. Das tun Männer nicht. Die bewerben sich, auch wenn die Stelle nur wenig mit ihnen zu tun hat. Ich bemühe mich, meine Mitarbeiterinnen sichtbar machen, auf Konferenzen und zu Vorträgen mitzunehmen.

Wie haben Sie Ihre eigene Karriere geplant? Sie haben ja Mathematik und Physik für das Lehramt studiert.
Ja, aber ich habe mir nie vorstellen können, in der Schule zu unterrichten. Meine Karriere ist irgendwie passiert, sie hat sich ergeben. Mir hat das Studium Spaß gemacht. Ein Professor, bei dem ich meine Diplomarbeit machen wollte, sagte mir, ich solle gleich mit der Dissertation beginnen – zur Theorie der Halbleiter-Supergitter. Weil ich zur sub-auspiciis -Promotion zugelassen war, bekam ich automatisch ein Forschungsstipendium, mit dem ich mir aussuchen konnte, an welchem Institut ich arbeiten wollte. Ich ging an die TU Wien und wechselte auf mein heutiges Fachgebiet. Im Jahr 1990, nach dreieinhalb Jahren in Wien, bekam ich eine Stelle als Assistentin an der Uni Graz. 1996 habilitierte ich mich. Anschließend war ich mehrmals an der Universität Uppsala in Schweden: als Gastforscherin und als Gastprofessorin.

Würden Sie sich als ehrgeizig bezeichnen?
Nein, nicht wirklich. Ich kann zielstrebig arbeiten, weil es Spaß macht. Aber mir fehlt der Ehrgeiz zu sagen, ich will eine bestimmte Position erreichen. Ich habe natürlich nie nein gesagt, wenn sich etwas ergeben hat. Ich möchte Freude an meiner Arbeit haben. Insofern wünsche ich mir auch jetzt eine Veränderung, weil es momentan nicht befriedigend ist, an der Uni zu arbeiten. Es ist sogar sehr demotivierend.

Warum?
Die Arbeitsbedingungen an den Universitäten werden immer schlechter. Angeblich steigt das Forschungsbudget in Österreich, aber an den Universitäten ist nichts davon zu spüren.

Möglicherweise fließt ein wesentlicher Teil der Mittel in ein paar Teams, während der Rest der Forschung komplett liegen gelassen wird. Das ist eine enorme Gefahr. Um vernünftige Forschung zu betreiben, braucht man in vielen Bereichen die kritische Masse – diese fehlt großteils, außer an den paar Zentren, die gut ausgerüstet sind. Der Rest sind Einzelkämpfer. Bei uns wird gekürzt und gekürzt und gekürzt, und das seit Jahren. Ein Kollege ist vergangenes Jahr verstorben – seine Stelle wurde vom Rektor eingezogen. Ein anderer ging letzten Herbst weg: unbesetzt bis jetzt. Andere Stellen sind seit Jahren vakant.

Im Fachbereich Theoretische Physik der Universität Graz waren bis Februar nur neun von 15 Stellen des wissenschaftlichen Personals besetzt, jetzt sind es zehn. Auch in der Lehre müssen wir ständig mit Budgetkürzungen zurande kommen. Es ist für uns alle frustrierend, unter solchen Bedingungen noch etwas Besonderes zu leisten. Ich frage mich schon längere Zeit, warum ich 60 Stunden pro Woche arbeite.

Regelmäßig 60 Stunden?
Im Schnitt ja. Wenn ich auf einer Konferenz bin, unter Umständen noch mehr. Denn die Konferenzen sind oft am Wochenende, da geht es non-stop vom Frühstück bis Mitternacht, wo an der Bar noch über Physik geredet wird.

Wie kommt Ihr Ehemann mit Ihren Arbeitszeiten zurecht?
Mein Mann ist auch Physiker, er hat ein technisches Büro. Es hilft ungemein, einen Partner mit naturwissenschaftlichem oder wissenschaftlichem Background zu haben. Sonst würde das Verständnis fehlen, wenn man bis in die Nacht hinein arbeitet. 90 Prozent aller Physikerinnen sind mit Physikern verheiratet. Wie wichtig dieses Verständnis ist, sehe ich an meinen Studentinnen, wenn sie ihren Partnern klarzumachen versuchen, dass sie für eine Post-Doc-Stelle ins Ausland gehen wollen.

Finden Sie auch Zeit, sich zu entspannen?
Am besten geht es auf langen Reisen – nach drei Wochen wird es richtig schön. Es ist ein herrliches Gefühl, wenn noch eine Ewigkeit – vielleicht weitere drei Wochen – Urlaub vor uns liegen. Mit steigender Verantwortung für mein Team ist es allerdings auch zunehmend schwerer, so lange Zeit wegzubleiben. Ich lese auch gerne, fotografiere, arbeite im Garten, mag körperliche Arbeit.

Haben Sie eigentlich Diskriminierung persönlich erlebt?
Ja. Allerdings ist mir das erst vor eineinhalb Jahren richtig bewusst geworden. Es wäre müßig, das alles jetzt aufzuwärmen. Als es passierte, war ich blauäugig und habe es nicht realisiert.

Was würden Sie denn Ihren jungen Kolleginnen empfehlen?
Lasst Euch nicht einschüchtern. Fachliche Kritik soll man natürlich ernst nehmen – aber nicht persönlich. Dasselbe gilt für Diskriminierung. Wenn man sie zu persönlich nimmt, hindert sie einen daran weiterzukommen. Wer eine gewisse Sensibilität entwickelt hat, wird Diskriminierung natürlich wahrnehmen. Dennoch hilft es, nicht zu genau hinzuschauen, notfalls etwas blauäugig zu tun und einfach zielstrebig den eigenen Weg gehen.

Das Interview führte Margarete Endl von der ÖGUT - Österreichische Gesellschaft für Umwelt und Technik.

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