Expertin des Monats
Mai 2005
Dr.in Rumi Nakamura

Rumi Nakamura ist seit 2001 als Arbeitsgruppenleiterin am Institut für Weltraumforschung der österreichischen Akademie der Wissenschaften in Graz tätig. Zuvor hatte die studierte Geophysikerin aus Japan für die NASA und das Max-Planck-Institut in München gearbeitet. Zu ihrem Hauptfachgebiet gehören die Magnetosphärenphysik und die Weltraumplasmaphysik.

Durch die Auswertung und physikalische Interpretation von Messungen im erdnahen, interplanetaren und planetaren Weltraum ist sie an mehren Satellitenmissionen von ESA, NASA und JAXA als Co-Investigator beteiligt. Im Institut leitet sie die Datenauswertungsgruppe einer Europäischen Mission (Cluster). Im Mai 2005 erhält die Forscherin den in Japan vergebenen, renommierten Wissenschaftspreis "Tanakadate Award" von der Society of Geomagnetism and Earth, Planetary and Space Sciences und wird anlässlich der Preisverleihung zu einem Vortrag nach Japan reisen.

Interview

Wie ist Ihr beruflicher Werdegang?
Ich ging in Japan in die Schule. Dass ich jetzt deutsch spreche, hängt mit meinem Vater zusammen. Er ist Kernphysiker. Als ich sechs war, ging er für ein Forschungsprojekt zwei Jahre nach München und nahm die Familie mit. Ich besuchte also in München einen Monat lang den Kindergarten und dann die erste und zweite Klasse Volksschule. Als ich wieder zurück in Tokio war, schrieb ich einer deutschen Schulfreundin ab und zu Briefe. Im Gymnasium fing ich dann an, Deutsch im Goethe-Institut zu lernen. Auf der Uni in Tokio belegte ich zuerst allgemeine naturwissenschaftliche Fächer und spezialisierte mich dann auf Geophysik.

Nach dem ersten Studienabschluss, dem Bachelor, ging ich zwei Semester nach München, dann wieder zurück nach Tokio, um den Master und dann das Doktorat in Geophysik zu machen - das war 1990. Während meiner Dissertation hatte ich viel mit einem amerikanischen Forscher zu tun, der im NASA Goddard Space Flight Center in Maryland, nahe Washington D.C., arbeitete. Dadurch bekam ich in Goddard eine Post-Doc Stelle und war dort 1991 bis 1993. Dann ging ich wieder nach Japan zurück und wurde Assistant Professor an der Nagoya University.

Sie waren also auf dem besten Wege, in Japan Professorin zu werden?
Es war bereits der Weg zu einer ordentlichen Professur - dennoch wäre ich wohl nicht ewig geblieben, da ich es besser finde zu wechseln und Neues kennen zu lernen. Aber schließlich lernte ich dort meinen Mann, den ich als Kollegen schon länger kannte, näher kennen. Er ist Deutscher. Als wir beschlossen zusammenzubleiben, versuchte er erst, einen Job in Japan zu bekommen - aber als Ausländer ist es noch immer nicht einfach, in Japan eine Top-Position zu erhalten. Also gingen wir erst einmal nach Deutschland - das war 1998. Er arbeitete bereits am Max Planck-Institut, und ich konnte dort einsteigen.

Dann bekam er ein Angebot aus Österreich, Abteilungsleiter am Institut für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Graz zu werden. Die Akademie hat uns keinen "package deal" angeboten, wie das in den USA oft üblich ist - was ich aber auch gar nicht gewollt hätte. Sondern ich bewarb mich um eine Position, die Akademie machte eine ganz normale Evaluierung, und ich bekam die Stelle. Derzeit ist mein Mann geschäftsführender Direktor.

Ihr Mann ist Direktor des Instituts? Wie gut, dass Sie Ihren Namen nicht geändert haben!
Wir haben in Deutschland geheiratet, so konnte ich meinen Namen behalten. Auch die Akademie hat die Sache sehr gut geregelt: Es wurde darauf geachtet, dass ich nicht in der Abteilung meines Mannes arbeite, und wenn ich eine Unterschrift brauche, unterzeichnet der stellvertretende Direktor. Ich habe im April 2001 hier zu arbeiten begonnen, und jetzt im Juni werde ich noch eine weitere Evaluierung durchlaufen, erst dann könnte mein Vertrag unbefristet werden.

Was ist Ihr Arbeitsgebiet im Institut für Weltraumforschung?
Ich mache Magnetosphärenphysik. Die Magnetosphäre wird durch das Magnetfeld der Erde gebildet: sie reicht weit über die Atmosphäre hinaus und bildet eine Art Schutzschild vor dem Sonnenwind, einem Strom aus überschallschnellen geladene Teilchen. Das Institut für Weltraumforschung kooperiert mit der ESA - der European Space Agency, der NASA und anderen Weltrauminstituten.

Konkret arbeite ich im "Cluster"-Programm der ESA: Die ESA hat im Jahr 2000 vier identische Satelliten in den Weltraum geschickt, die die Erde auf eng benachbarten Erdumlaufbahnen umkreisen und einen so genannten "Cluster" bilden; diese Satelliten untersuchen die von der Sonne ausgehenden magnetischen Stürme und ihre Auswirkungen auf das Erdmagnetfeld. Alle vier Satelliten messen dieselben Phänomene, aber aus verschiedenen Blickwinkeln, was die Sache so besonders spannend macht.

Es ist wie bei einem Kuchen - wenn man nur einen kleinen Krümel sieht, weiß man nicht, wohin der gehört und wie der ganze Kuchen aussieht. Mit dem Satelliten-Cluster können wir den "Kuchen" - in dem Fall die Auswirkungen der Sonnenaktivitäten auf unseren Planeten - viel besser vermessen und analysieren. Ich habe bereits im Max Planck-Institut an diesen Satelliten gearbeitet, und in Graz nun ebenfalls. Ich bin Co-Investigator für eine Reihe von Instrumenten der Cluster-Satelliten - das heißt, ich werte die Daten von Instrumenten zur Messung des elektrischen und des magnetischen Feldes und zur Bestimmung der Verteilungsfunktion der Ionen aus.

Ich nutze auch die Instrumentendaten von anderen Satelliten, beispielsweise von Double Star, einer Kooperation zwischen der ESA und CNSA, Chinas Weltraumbehörde, und Geotail, einer Mission von JAXA, Japans Weltraumbehörde, und NASA.

Was genau erforschen Sie mit diesen Instrumenten?
Wir erforschen die Wirkung der Sonne auf die Magnetosphäre unseres Planeten, der Erde. Dabei ist nicht so sehr das Sonnenlicht, sondern das ständig von der Sonne ausgestoßene Sonnenwindplasma, ein Strom überschallschneller geladener Teilchen, von Bedeutung. Wenn die Sonne starke Gaseruptionen hat, geschehen sehr dynamische Prozesse in der Magnetosphäre, wie z. B. die Beschleunigung von geladenen Teilchen. Dies wirkt sich auf die Erde aus - am schönsten durch das Polarlicht, das entsteht, wenn schnelle geladene Teilchen von der Magnetosphäre auf die atmosphärischen Moleküle und Atome stoßen, ähnlich wie in einer Neonröhre. Die damit verbundenen Magnetfeldstörungen können aber auch Auswirkungen auf unsere Kommunikation haben, beispielsweise auf das Handynetz.

Wie sind Sie zur Geophysik gekommen? War diese Wahl durch Ihren Vater beeinflusst?
Mein Vater ist Kernphysiker! Das ist ein bisschen anders!

Physik ist Physik ...
Es stimmt, dass Physik in unserer Familie etwas Natürliches ist - wahrscheinlich natürlicher, als wenn mein Vater kaufmännischer Angestellter gewesen wäre. Und ich mochte Naturwissenschaften immer gerne, viel lieber als Literatur. Auf der Uni machte ich ein Praktikum bei einem interessanten Professor, der das Polarlicht untersuchte, in der Antarktis viel unterwegs war und uns wunderschöne Bilder davon zeigte. Durch diesen Zufall bin ich auf die Geophysik gekommen.

Hat sich Ihr Vater sehr um Sie gekümmert?
Nein, er hat sich immer um sich selbst gekümmert! Er lebte sein eigenes Leben. Vielleicht fand ich seinen Lebensstil irgendwie gut. Dieses freie Leben. Seine Arbeit ist sein Hobby - er arbeitet auch seit seiner Pensionierung weiter. Das habe ich wohl von ihm mitbekommen, wie viel Spaß ihm die Sache macht - und tatsächlich macht mir die Arbeit auch viel Spaß.

Welche Karrierevorstellungen hatten Sie, als Sie zu studieren begannen?
Ich habe mit dem Studium der Naturwissenschaften begonnen, weil es mir Freude machte. Dass ich aber immer weiter studierte, vom Bachelor zum Master zum Doktor - da gab es auch noch einen anderen Grund. Der erste Studienabschluss in Japan ist ein Bachelor, und, anders als in Österreich, werden alle Studierenden eines Jahrgangs gleichzeitig im März fertig. Alle meine männlichen Studienkollegen bekamen eine Unzahl von Jobangeboten - und ich bekam keinen einzigen Brief! Das war ein Schock für mich.

Da habe ich gemerkt: Als Frau brauche ich etwas in der Hand, um beweisen zu können, was ich kann. Ich habe gesehen, welche unterschiedliche Behandlung es gibt. Ein einziges Diplom genügt nicht für eine Frau. Also machte ich den Master. Und da es mir Spaß gemacht hat, wollte ich auch das Doktorat machen - das Ticket für die Wissenschaftskarriere. Und es ist gelungen.

Haben Sie auch später noch Diskriminierung erlebt?
Nein, eigentlich nicht. Im Institut hier sind wir alle Wissenschaftler, da gibt es keinen Unterschied zwischen Mann und Frau. Auch auf einem wissenschaftlichen Paper steht nicht oben, ob Mann oder Frau.

An Österreich gefällt mir, dass Frauen ihre Arbeitszeit reduzieren können, wenn sie Kinder bekommen, und so leichter Beruf und Familie vereinbaren können. Wenn eine Frau in Japan beschließt, Kinder zu bekommen und weiterzuarbeiten, muss sie dennoch 200 Prozent leisten. Es wird verlangt, dass sie ganz da ist - oder gar nicht.

Sie publizieren sehr viel - 26 Aufsätze seit Anfang 2004, und 11 weitere sind eingereicht.
Die Daten von einer neuartigen Satellitenmission sind da - es ist eine gute Zeit, wo man viel ernten kann. Wir sind ein gutes Team im Institut, diskutieren viel, helfen uns gegenseitig, dadurch entstehen auch mehr Papers.

Was wäre eigentlich Ihr Traumjob? Wenn alle Türen offen stünden - wohin möchten Sie beruflich?
Wenn alle Türen offen stünden? Ich bin eigentlich ziemlich zufrieden in Graz! Ich habe in Japan gearbeitet, in den USA, in Europa. Ich genieße das Leben hier. Ich möchte zum Beispiel nicht in den USA arbeiten. Dort kann man sehr schlecht langfristig planen - ständig muss man Proposals schreiben, um neue Forschungsgelder aufzutreiben. Wenn man Forschungsgelder bekommt, ist es viel - aber wenn man sie nicht bekommt, wird es schwierig.

Hatten Sie einmal den Wunsch, selber in den Weltraum zu fliegen?
Ja, das hab ich mir tatsächlich gewünscht. Ich war sehr sportlich als Studentin und dachte mir, dass ich mich mal bewerben könnte. Mein Problem war, dass ich nicht so gute Zähne habe. Um die Druckbelastung auszuhalten, muss man sehr gute Zähne haben.
Ich wäre auch gerne in die Antarktis gegangen. Gleich nach dem Doktorat, 1990 bis 1991, habe ich im National Institute of Polar Research in Tokio gearbeitet. Aber damals hat es geheißen, es sei noch zu früh, Frauen in die Antarktis zu schicken.

Mögen Sie Science Fiction?
Ja, ein bisschen. Als ich in Goddard arbeitete, war Star Trek sehr in, das haben alle gesehen. Das Team in Goddard war sehr international. Das ist einer der Aspekte, die mir so gut an meinem Beruf gefallen: die Internationalität. Ich habe an vielen Instituten gearbeitet, aber der Job war immer derselbe, und man versteht sich immer gut mit den Leuten. Das finde ich sehr schön. Es ist egal, ob man aus Japan kommt, aus den USA oder Europa - man spricht eine ähnliche Sprache.

Aber wie ist es mit der Konkurrenz zwischen den Staaten? Wer ist schneller bei einem Planeten, wer hat den besseren Satelliten? Oder ist das unter Wissenschaftlern nicht so? Ist das eher eine Sache der Politiker?
Jaja, genau so ist es. Es ist eine Sache der Politiker. Wir - die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen - arbeiten mit allen, mit der NASA genauso wie mit Leuten aus China. Uns interessiert nicht, welches Land besser ist. Deshalb ist die Zusammenarbeit einfach, weil wir nicht beweisen müssen, wer mehr Macht hat. Uns geht es um den Inhalt. Ich arbeite viel mit anderen zusammen - das führt auch dazu, dass ich noch mehr Papers schreibe.

Aber vielleicht ist das auch meine Sicht als Frau. Für mich als Wissenschaftlerin ist es wichtig, gute Arbeit zu leisten. Mir geht es nicht darum, die Konkurrenz zu gewinnen. Gewinnen wollen ist eher eine männliche Herangehensweise.

Das Interview führte Margarete Endl von der ÖGUT - Österreichische Gesellschaft für Umwelt und Technik.

Links:

Rumi Nakamura
Dr.in Rumi Nakamura

Institut für Weltraumforschung

Lebenslauf (pdf, 71,24 KB)

Zum Profil

Kontakt

Letzte Aktualisierung: 14.05.2018