Expertin des Monats
Aug. 2005
Univ.-Prof.in DDr.in Mag.a Phil. Eva Schernhammer

Eva Schernhammer ist Krebsforscherin im Channing Laboratory des Brigham and Women´s Hospital, das zur Harvard University in Boston gehört. In einer bahnbrechenden, 2001 veröffentlichten Studie entdeckte sie einen Zusammenhang zwischen Nachtdiensten und Brustkrebshäufigkeit. Dass Licht bei Nacht die Produktion des Hormons Melatonin beeinträchtigt und auch die Darmkrebshäufigkeit erhöht, stellte sie in weiteren Studien fest.

Ab Herbst leitet Schernhammer zwei vom National Institute of Health finanzierte Forschungsprojekte zu diesem Themenbereich. Schernhammer studierte Medizin an der Universität Wien, begann eine Ausbildung zur Onkologie-Fachärztin und ging 1999 nach Harvard, um über Krebsprävention zu forschen.

Interview

Sie sind Ärztin und Krebsforscherin. Warum haben Sie diesen Beruf gewählt?

Ich habe mit vier Jahren lesen gelernt, gemeinsam mit meinem zwei Jahre älteren Bruder. Da konnte ich nun die Zeitung lesen - und was las ich? Von einer kommenden Katastrophe, einer Geisel der Menschheit: In den nächsten Jahrzehnten würden viele Millionen Menschen an Krebs sterben. Da habe ich beschlossen: Wenn ich einmal groß bin, werde ich diese schreckliche Krankheit heilen.

Als Vierjährige haben Sie das bereits gedacht?

Ja, ich kann mich noch genau daran erinnern. Dieser Gedanke hat mich in den nächsten Jahren begleitet, auch wenn er in der Schulzeit nicht so im Vordergrund stand. Aber als es Zeit wurde, mich für ein Studium zu entscheiden, war ganz klar, dass ich Medizin studieren würde, da ich ja Krebs heilen wollte. Nach dem Studium, während ich auf einen Turnusplatz wartete, forschte ich zwei Jahre lang in der onkologischen Ambulanz der Rudolfstiftung in Wien.

Das hat mir großen Spaß gemacht und mich noch mehr beflügelt, diesen Berufsweg zu verfolgen. Dann absolvierte ich den Turnus im Kaiser Franz Josef Spital und begann anschließend eine Fachärztinausbildung für Onkologie. Und schließlich ging ich nach Harvard, um eine zusätzliche Ausbildung in Krebsprävention zu machen.

Was bewog Sie, nach Harvard zu gehen?

Die Hauptmotivation war meine Unzufriedenheit in Wien. Ich hatte noch immer diese Wunschvorstellung, Krebs zu heilen. Doch offensichtlich ließ sich das nicht leicht in die Tat umsetzen. Ich war die meiste Zeit auf der Krankenstation, und dort sterben täglich zwei bis drei Patienten. Da ist man eher mit dem Versagen der Medizin konfrontiert als mit den Erfolgen. Außerdem stieß ich mit der Arbeit an meine körperlichen Grenzen. Die Onkologie ist eine der körperlich anstrengendsten Disziplinen.

Man hat sehr viele Nachtdienste, arbeitet meistens die ganze Nacht durch, mit höchstens einer Stunde Schlaf, und am nächsten Tag ist man wieder bis zum Abend in vollem Einsatz. Ich war ständig ausgelaugt, hatte keine Kraft und Lust mehr für Sport. In dieser unbefriedigenden Arbeitssituation hörte ich von einem Harvard-Forschungsprogramm über Krebsvorbeugung und bewarb mich sofort.

Was war das für ein Forschungsprogramm?

 Ein Master-Programm an der Harvard School of Public Health, zu der auch das Center for Cancer Prevention gehört. 1999 ging ich nach Boston, machte den Master in einem Jahr und hängte ein zweites Jahr Forschung an. Weil das so gut lief, beschloss ich, auch noch das Doktorat zu machen. 2003 hatte ich den Doktor in Public Health. Auch die Finanzierung klappte nahtlos: Ich erhielt für zwei Jahre ein Stipendium vom Wissenschaftsministerium, dann ein Dissertationsstipendium vom Austrian Research Center Seibersdorf und von Harvard selber ebenfalls ein Stipendium.

Nach dem DrPH beriet ich mich lange mit meinem Wiener Mentor Professor Christian Dittrich, dem Vorstand der Onkologieabteilung im Kaiser Franz Josef Spital, ob ich mit der klinischen Arbeit weitermachen oder lieber in der Forschung bleiben sollte. Gefühlsmäßig war es aber ohnehin schon klar: Ich verschreibe mich vorläufig ganz der Wissenschaft. Jetzt arbeite ich im Channing Laboratory des Brigham and Women‘s Hospital, das zur Harvard University gehört, und leite meine Forschungsprojekte.

Ihre erste Studie hat große mediale Aufmerksamkeit erregt. Sie haben einen Zusammenhang zwischen Nachtdiensten und der Häufigkeit von Brustkrebs festgestellt. Wie kamen Sie zu dieser Studie?

Das ist eine lustige Geschichte - ein Beweis dafür, wie Zufall und Intuition die Wissenschaft vorantreiben. In meinem ersten Harvard-Jahr musste ich bei einem Seminar über das Schreiben von Projektanträgen innerhalb von fünf Minuten ein Thema für einen fiktiven Forschungsantrag finden. Ich konzentrierte mich und dachte scharf nach: Krebs war ohnehin klar - da fielen mir die Nachtdienste ein, die ich als so kräfteraubend erlebt hatte. Das kann nicht gesund sein, dachte ich - und entwickelte eine Hypothese über einen Zusammenhang zwischen Nachtdiensten und Krebs.

Fast alle meine Kollegen im Seminar lachten mich aus. Bei der Literaturrecherche aber fand ich Studien über das Hormon Melatonin, das den Tag-Nacht-Rhymthmus regelt. Bei Versuchen an Ratten hatte man festgestellt, dass fehlendes Melatonin zu Tumoren und Krebswachstum führte. Melatonin war 1999 ein Modethema: Viele Leute glaubten, die Einnahme von Melatonin könnte Jetlag verhindern oder gar das Altern verzögern. Bei einem Statistik-Seminar bearbeitete ich das Thema wieder, und schließlich schrieb ich ein Konzept für ein richtiges Forschungsprojekt. Mein Mentor in Harvard, Graham Colditz, war beeindruckt und sagte, ich solle es machen, wenn ich eine Finanzierung dafür bekäme.

In meinem zweiten Harvard-Jahr machte ich die Studie - und siehe da: Ich fand tatsächlich einen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Nachtdiensten und Brustkrebs. Meine Ergebnisse erregten großes Aufsehen, sowohl in der wissenschaftlichen Community als auch in den Medien.

Welche Daten haben Sie verwendet, und zu welchen Ergebnissen kamen Sie genau?

Wir arbeiteten mit der Nurses‘ Health Study, einer Langzeitstudie mit ungefähr 120.000 Krankenschwestern, die seit 1976 in den USA läuft. Alle zwei Jahre werden neue Daten zu Krankheiten, Ernährung und Lebensstil der Frauen mittels detaillierter Fragebögen erhoben. 1988 wurden die Krankenschwestern erstmals zu Nachtarbeit befragt, und rund 85.000 beantworteten die Fragen. Davon wählten wir 78.562 Frauen aus, die zu diesem Zeitpunkt keine Krebserkrankung hatten, und analysierten deren Gesundheitsdaten der folgenden zehn Jahre.

Von Juni 1988 bis Mai 1998 entwickelten 2.441 dieser Frauen Brustkrebs. Unter Berücksichtigung aller anderen bekannten Risikofaktoren hatten jüngere Frauen vor der Menopause, die 1-14 Jahre lang zumindest drei Nächte im Monat Nachtdienst geleistet hatten, ein um 23 Prozent höheres Risiko, an Brustkrebs zu erkranken als Frauen ohne Nachtdienst. Bei den älteren Frauen mit mehr als 30 Jahren Nachtdienst war das Risiko um 36 Prozent höher.

Die Ergebnisse dieser Studie publizierten wir im Oktober 2001 im Journal of the National Cancer Institute. Daraufhin untersuchte ich weitere Krebsarten und konnte auch bei Darmkrebs einen statistisch relevanten Zusammenhang herstellen: 602 Frauen entwickelten zwischen 1988 und 1998 Darmkrebs; mehr als 15 Jahre Nachtdienst erhöhten das Darmkrebsrisiko um 35 Prozent. Diese Studie wurde im Juni 2003 veröffentlicht. Ich analysierte die Nurses‘ Health Study auch unter anderen Aspekten, etwa ob starker Stress ein Brustkrebsrisiko sei, aber da fand ich keinen Zusammenhang.

Am 20. Juli wurde übrigens im Journal of the National Cancer Institute eine weitere Studie von uns veröffentlicht, die erstmals direkt beweist, dass niedrige Melatoninwerte, die im Urin gemessen wurden, das Krebsrisiko erhöhen. In den früheren Studien konnten wir das nur indirekt nachweisen, indem wir Nachtdienste als Ersatzvariable nahmen und daraus schlossen, dass das Licht bei Nacht die Melatoninproduktion hemmt.

Was bedeutet das konkret? Keine Nachtdienste mehr?

Wir machen weitere Forschungen zu dem Thema. Das National Institute of Health (NIH) informierte mich Ende Juni, dass zwei große Forschungsprojekte mit einer Gesamtförderung von zwei Millionen Dollar bewilligt wurden. Bei einer Studie werden wir Krankenschwestern mit einem zirkadianen Lichtmeter ausrüsten, um zu messen, welche Lichtquellen wie genau auf die Melatoninausschüttung wirken. Bläuliches Licht wie etwa Neonlicht unterdrückt Melatonin nämlich stärker als gelbes Licht, ist also schädlicher bei Nachtarbeit.

Angenommen, Ihre Studie bestätigt dies - sollten dann alle Neonlampen verbannt werden?

Das wäre natürlich ein Riesengeschäft für die Lichtindustrie. Man könnte aber auch orange Brillen tragen, die das Licht herausfiltern. Vorerst bleibt aber abzuwarten, was die Ergebnisse unserer Studie bringen werden.

In der zweiten Studie möchte ich klären, ob es genetisch bedingt ist, wie geeignet jemand ist, Nachtdienste zu machen, im Hinblick auf die Melatoninproduktion als auch auf das möglicherweise assoziierte Brustkrebsrisiko.

Das wäre ja gefährlich. Das könnte zu Screening von Menschen führen, ob sie für Nachtdienste geeignet sind, und mit Nachtdienstverboten oder gar Berufsverboten enden.

Oder diese Menschen könnten Melatonin einnehmen und sich anderswie vor den für sie negativen Auswirkungen schützen. Es ist wichtig, die eigene Gefährdung zu kennen. Jemand mit roten Haaren und sehr heller Haut - also jemand mit wenig Melanin in der Haut - sollte ja auch nicht Bademeister werden.

Wie lange laufen die neuen Forschungsprojekte?

Vier Jahre. Sie sind eine große Herausforderung für mich, auf die ich mich sehr freue. Mit der zur Verfügung gestellten Projektförderung werde ich ein eigenes Forschungsteam finanzieren und die beiden Projekte managen. 

Sie erwähnten einen Mentor in Wien und einen in Harvard. Wie wichtig war Mentoring für Ihre Karriere?

Sehr wichtig. Professor Christian Dittrich in Wien unterstützte mich in meiner Entscheidung, nach Harvard zu gehen - und letztlich auch darin, die Klinik vorerst an den Nagel zu hängen und mich ganz der Forschung zu widmen. Auf amerikanischen Universitäten ist Mentoring institutionalisiert: Es ist Bestandteil des Jobprofils. Im Lebenslauf eines Professors steht, für wen er Mentor war und was aus der Person später geworden ist - so hat der Professor einen Anreiz, sich wirklich für einen einzusetzen. Wenn man etwa den Job wechseln will, schreibt er einen Referenzbrief und lässt seine Kontakte spielen.

Ich habe mir Graham Coldlitz selber als Mentor gewählt - man soll sich den aussuchen, der in dem Bereich, wo man arbeiten möchte, am mächtigsten ist. Daneben gibt es noch andere, deren Rat und Unterstützung ich regelmäßig einhole, wie etwa Walter Willett, den „Ernährungspapst“ - er ist in allen meinen Projekten an Bord. Wenn überhaupt vergleichbar, gibt es auch in Österreich gut funktionierendes Mentoring, aber meist nur für Männer: nämlich die klassischen Burschenschaften.

Wie war Ihre Kindheit? Haben Sie von Ihrem Vater Unterstützung bekommen?

Meine Eltern sind Nachkriegskinder und stammten aus bescheidenen Verhältnissen. Mein Vater hatte neun Geschwister - da musste man mit 13 oder 14 Jahren arbeiten gehen, um die Familie zu unterstützen. Beide Eltern waren sehr gut in der Schule und hätten gerne weiter gelernt, nur war das damals nicht möglich. Deshalb war es das Allerwichtigste für sie, meinem Bruder und mir jede Ausbildung zu ermöglichen. Lernen ist ihre Priorität, dafür zahlt es sich aus zu investieren.

Haben Ihre Eltern Sie immer ermutigt?

Ja, vor allem mein Vater. Er hat mir von klein auf diese positive Verstärkung, die in Amerika gang und gäbe ist, gegeben. Ich hab immer gewusst, dass ich die Beste bin, das hat er mir so vermittelt. Und das ist irrsinnig wichtig! Die Amerikaner sagen ihren Kindern ständig: „Du bist so großartig. Du bist speziell.“  Durch den Glauben an sich selber kann man etwas wirklich durchsetzen, weil man innerlich weiß, dass man es schafft. Das ist das Kostbarste, was mir mein Vater mitgegeben hat.

Meine Mutter war sehr konsequent in der Erziehung - genau das, was ein Kind auch braucht: Alles fand immer zur selben Zeit statt, vor allem in den ersten Jahren. Von ihr habe ich wahrscheinlich meine Disziplin. Meine Mutter hätte Generalin sein können.

Mein Vater war spielerischer, vor allem mit mir. Er wollte unbedingt ein Mädchen. Es war der schönste Tag seines Lebens, als ich auf die Welt kam -  das sagt er mir heute noch. Am Wochenende verbrachte er die ganze Zeit mit mir und meinem Bruder. Das war wunderschön. Unsere Gespräche waren so philosophisch - wie das Leben nach dem Tod ausschauen könnte und solche Sachen. Wir haben irrsinnig interessante Phantasien entwickelt. Mein Vater war meine größte Inspiration, und von ihm bekam ich auch diese bedingungslose Liebe. Wir haben noch immer eine wunderbare Beziehung - wenn ich in Wien bin, gehen wir öfter alleine miteinander weg.

Wichtig war wohl auch, dass ich ohne Fernseher aufgewachsen bin. Mein Bruder und ich haben stattdessen die Bibliothek ausgelesen. Ich hab mit meinem Bruder auch die seltsamsten Gespräche geführt. Wir haben eine Sprache erfunden! Esperanto war damals in Mode, aber wir haben eine ganz neue Sprache erfunden und richtige Wörter in ein Vokabelheft geschrieben.

Wie alt waren Sie damals?

Ich war wahrscheinlich 5 und er 7. Ich war von klein auf eher intellektuell.

Haben Sie einmal Diskriminierung als Frau erlebt?

Ob es richtige Diskriminierung war, ist schwer zu beurteilen, aber mit konventionellen Vorstellungen hatte ich oft zu kämpfen. Patienten, besonders ältere, haben mich oft als Krankenschwester gesehen. Krankenschwestern wiederum behandeln Ärzte oft anders als Ärztinnen. Beim Medizinstudium gab es auch skurrile Situationen. Bei einem Professor mussten wir im Dirndl zur Prüfung gehen.

In den USA wird man sehr neutral behandelt. Wenn ich jetzt nach Wien komme, fällt mir auf, wie charmant dagegen die Wiener sind - diese Küß-die-Hand-Geschichten. Heute kann ich mich darüber freuen, aber früher konnte ich das nicht ausstehen. Ich wollte nicht ständig daran erinnert werden, dass ich eine Frau bin. Das nährt die Vermutung, dass in Österreich Frauen diskriminiert werden, weil sie einfach anders behandelt werden. 

Als Krebsforscherin wissen Sie viel über Gesundes und Krankmachendes. Wie leben Sie persönlich?

Meine Lebensphilosophie ist, das Leben zu genießen. Was immer gerade Spaß macht, muss man machen.

Das ist die beste Gesundheitsvorsorge?

Ja, wenn man nicht zu Extremen neigt.

Wie entspannen Sie sich?

Ich höre gerne Musik, besonders brasilianische Musik und Jazz. Und ich mache viel Sport - meistens gehe ich ins Fitnesscenter und mache die verschiedensten Dinge wie Yoga, Pilates, Spinning, Gewichtstraining, bis ich mich ausgepowert habe, dann meist noch in die Sauna, und dann fühle ich mich entspannt. Je nachdem, wie viel Zeit ich habe, mache ich es einmal pro Woche oder auch jeden Tag. Ich geh gern in der Natur spazieren - alles was grün ist, tut mir gut, auch beim Essen. Wenn ich mehr Zeit hätte, wäre ein Haustier die ultimative Entspannung.

Glauben Sie, dass Sie mit Forschung Ihrem Kindheitstraum, Krebs zu heilen, näher kommen?

Ja, auf eine gewisse Weise. Weil ich gesehen habe, dass es bei vielen Krebsarten schwer ist, sie zu heilen, wenn man bereits krank ist. Ich war gerne Ärztin - das Gefühl, gebraucht zu werden, Schmerzen zu beseitigen, Hoffnung zu geben. Ich war Tag und Nacht im Spital, habe mich voll hineingekniet. Aber es war so frustrierend, nicht immer heilen zu können - und im Urlaub dachte ich dann auch oft ans Sterben und an meine Patienten.

Deswegen arbeite ich jetzt lieber an der Krebsverhütung: Es gilt herauszufinden, welche Mechanismen Krebs entstehen lassen und Empfehlungen zur Prävention zu machen. Neben den Lebensstilfaktoren - wie gesunde Ernährung und viel Bewegung - werden wir in Zukunft mehr über die genetischen Faktoren erfahren. Eines wissen wir aber jetzt schon: Rundherum glücklich sein, an Körper und Seele, ist die beste Voraussetzung, um gesund zu bleiben.

Das Interview führte Margarete Endl von der ÖGUT - Österreichische Gesellschaft für Umwelt und Technik.

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