Expertin des Monats
Apr. 2006
Dr.in Nicole Dörr

DIin Dr.in techn. Nicole Dörr schloss das Studium der Technischen Chemie an der Technischen Universität Wien 2003 mit dem Doktorat ab. Ab 2001 hat sie an der Entstehung des Österreichischen Kompetenzzentrums für Tribologie - kurz AC²T research - mitgearbeitet, wo sie den Schmierstoff-Bereich aufgebaut hat. Seit April 2003 ist sie als Projekt- und Laborleiterin bei AC²T research tätig.

Die wissenschaftlichen Schwerpunkte umfassen die Entwicklung neuer Schmierstoffe für Spezial-Anwendungen und die Modernisierung der Schmierstoffanalytik. Letzteres zielt auf eine Automatisierung und Vereinfachung der Beurteilung von Gebrauchtschmierstoffen ab. Schmierstoffe auf Basis ionischer Flüssigkeiten sollen langfristig eine Alternative zu heutigen überwiegend teuren Spezialschmierstoffen werden. Der Aufbau nationaler und internationaler Kooperationen (Networking) stellt einen weiteren Arbeitsschwerpunkt dar.

Neben ihrer Lehrtätigkeit an der FH Wiener Neustadt betreut Frau Dörr die Praktikums- und Diplomarbeiten von Studenten im Rahmen der IAESTE-Mobilitätsinitiative und der FH Wiener Neustadt.

Interview

Sie haben mit 30 Jahren bereits eine beeindruckende Karriere gemacht. Nach ihrem Doktorat in Chemie waren Sie wesentlich beim Aufbau des Kompetenzzentrums AC2T research GmbH beteiligt. Jetzt sind Sie Leiterin eines Labors. Was hat sie motiviert diese Laufbahn einzuschlagen?

Die Chemie ist schon seit klein an eine faszinierende Welt für mich. Die OMV AG hat mir während des Studiums die Möglichkeit geboten im Rahmen einer Ferialpraxis in die industriellen Aufgaben der Schmierstoffchemie hinein zu schnuppern. Ich habe dort Motorenöle, Getriebeöle und viele andere Schmierstoffarten charakterisiert und so erstmals die Anforderungen, die an jeden Schmierstoff gestellt werden, vermittelt bekommen.

Nach drei Jahren Sommerpraktikum haben mich die Schmierstoffe nicht mehr losgelassen: Der nächste logische Schritt war für mich eine Dissertation auf dem Gebiet der Petrochemie. Die Arbeitsmöglichkeiten am Erdölinstitut FICHTE im Arsenal haben meinen Wunsch nach Forschung und Kooperation mit der Industrie als Verwerterin meiner Erkenntnisse entsprochen. Kurz nach Beginn meiner Dissertation wurde mir angeboten, beim Aufbau eines Kompetenzzentrums für Tribologie mitzuarbeiten.

Nachdem ich mir auf dem Gebiet der Tribologie schon viel Wissen angeeignet habe, habe ich ohne zu zögern ja gesagt. Das Vorhaben hat sich mit meiner angestrebten Lebenslaufentwicklung gedeckt. Mein Ehrgeiz wurde umso mehr geweckt, da ich die Möglichkeit gesehen habe, von Beginn an einen Teilbereich des Kompetenzzentrums mit hohem Maß an Selbständigkeit aufzubauen und nachhaltig zu gestalten. Ab dem Jahr 2000 wirkte ich bei der Realisierung der Vision Kplus-Kompetenzzentrum für Tribologie mit. Die AC2T research GmbH als organisationsrechtliche Basis wurde hierzu Mitte 2002 gegründet, seit 2003 bin ich dort wissenschaftliche Mitarbeiterin.

Was genau sind ihre Aufgaben im Kompetenzzentrum AC2T research GmbH?

Meine Hauptaufgabe ist die Forschung auf dem Gebiet der Schmierstoffe und Schmierung, wobei sich meine Forschungstätigkeiten auf zwei Schwerpunkte fokussieren: Die Entwicklung neuer Schmierstoffe und die Schaffung fortschrittlicher Methoden der Schmierstoffcharakterisierung. Die heute an uns herangetragenen Fragestellungen tauchen tief in den Nanobereich ein, sodass die Schmierstoffanalytik neue Wege beschreiten muss, dies auch im Hinblick auf die Einführung neuer Schmierstoffe, um ökologischen und gesetzlichen Auflagen gerecht zu werden.

Spezialschmierstoffe auf Basis gänzlich neuer Substanzen stellen eine besondere Herausforderung dar, da kaum auf Erfahrungswerte zurückgegriffen werden kann, gleichzeitig aber ein hoher Anspruch auf zielgerichtete und effiziente Forschung besteht. Natürlich habe ich neben meiner Forschungstätigkeit auch administrative Aufgaben, die Projekt- und Laborleitung umfassen.

Sie arbeiten sehr anwendungsorientiert und in enger Kooperation mit Industrieunternehmen. Was reizt Sie an dieser Art von Forschung?

Die Kooperation mit der Industrie war bereits ein ganz wesentlicher Aspekt, nach dem ich meine Dissertation ausgewählt habe. Der Kontakt und die Zusammenarbeit mit Unternehmen ist DER Schlüssel zu marktgerechten Aufgabenstellungen und Lösungen. Das Kompetenzzentrum selbst hat sich der vorwettbewerblichen Forschung und Entwicklung verschrieben. Unser Ziel ist die Schaffung neuen Wissens, das sich in Patenten niederschlägt und langfristig in Verfahren und Produkte umgesetzt wird. Um meine Begeisterung für diese Art der Forschung salopp auszudrücken: Es ist einfach ein verdammt gutes Gefühl zu wissen, einen Beitrag zur wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit Österreichs zu leisten.

Sie haben sich schon mit 14 für eine technische Laufbahn entschieden und eine HTL besucht. Könnten Sie sagen, dass in ihrer Familie die Technik sehr gefördert worden ist?

In meiner Familie gibt es überwiegend Techniker, mein Vater und mein Bruder haben eine technische Ausbildung. Ich bin daher zu Hause mit der Technik als selbstverständlichste Sache der Welt aufgewachsen; als Mädchen war allerdings eine andere Laufbahn für mich vorgesehen, zum Beispiel die HAK oder die Wirtschaftsuniversität. Meine Begeisterung für das Bauen und für Werkzeug hat zum - sicherlich nicht einfachen - Gesinnungswandel meiner Eltern geführt. Nachdem beide erkannt haben, dass die HTL die einzig richtige Entscheidung war, haben sie sich zu meinen größten Förderern entwickelt.

Wurden Sie sehr von Ihrem Vater unterstützt?

Natürlich habe ich es auch erlebt, dass mein Vater Zweifel an meine Fähigkeiten hatte. Dann habe ich es aber erst recht gemacht, um ihm das Gegenteil zu beweisen. Zurückblickend ist meine gewählte berufliche Laufbahn überwiegend das "Verschulden" meines Vaters. Als mein Bruder und ich noch Kinder waren, hat mein Vater eine Sternwarte erdacht, konstruiert und gebaut. Wir Kinder waren in diese Arbeiten immer eingebunden, wobei wichtig ist anzumerken, dass wir nie dazu gezwungen wurden. Ich denke, wenn ein junger Mensch gerade in diesem Umfeld NICHT Techniker wird, dann wäre das ein echtes Wunder.

Was sehen Sie als die wesentlichen Herausforderungen und notwendigen Kompetenzen in Ihrem Job?

Die größte Herausforderung stellt die Tribologie selbst dar. Diese Wissenschaft ist interdisziplinär aufgebaut und erfordert daher die Zusammenarbeit von PhysikerInnen, ChemikerInnen, WerkstoffingenieurInnen und MathematikerInnen und vielen mehr. Wer das Grundwesen der Tribologie nicht erkennt und nicht in der Lage ist, Wissen interdisziplinär zu verknüpfen, wird in seiner persönlichen Entwicklung stecken bleiben. Der interdisziplinäre Anspruch bleibt immer erhalten, selbst wenn Sie ExpertIn auf einem Spezialgebiet sind. Aus dem Anspruch an fachübergreifendes Denken resultiert die zweite unerlässliche Voraussetzung für erfolgreiches Arbeiten in der Tribologie, nämlich Teamwork.

Welche Erfahrungen haben Sie als Frau in einem sehr technischen Bereich gemacht?

Was zählt ist die Leistung, unabhängig davon, ob der Leistungserbringer ein Mann oder eine Frau ist. Gute Arbeit, in beruflicher wie persönlicher Hinsicht, wird mit Akzeptanz und Anerkennung honoriert.

Hatten Sie im Studium jemanden, der sie unterstützt hat? Einen Mentor oder Mentorin? Wo sie einfach sagen, es war wichtig, dass es da jemanden gegeben hat.

Mein Dissertationsbetreuer war und ist nach wie vor mein größter Mentor. Seine fachliche und menschliche Kompetenz haben ihn zu einem großen Vorbild für mich werden lassen. Ich schätze sehr unsere offenen Gespräche, da ich aus seinem reichen Erfahrungsschatz schöpfen kann. MentorInnen sind unverzichtbar in der Entwicklung eines jungen Menschen, wobei deren größte Bedeutung in der beruflichen Ausrichtung und in der Vermittlung zwischenmenschlicher Beziehungen auf Berufsebene zu sehen ist.

Wenn Sie in die Rolle einer Mentorin schlüpfen würden, was würden Sie jungen Technikstudentinnen weitergeben?

Generell sind junge Menschen Suchende, die ihre besonderen Fähigkeiten noch nicht klar sehen. Ein wesentlicher Beitrag, den ein/e MentorIn leisten kann, ist das Herausarbeiten der Talente der TechnikstudentInnen. Genauso bedeutend ist das Hinweisen auf Trends und das "Einführen in die Gesellschaft" der jeweiligen Wirtschaftsbranche. Auf menschlicher Ebene würde ich das Selbstvertrauen junger Frauen in ihre eigenen Fähigkeiten stärken. Unbegründete Schüchternheit sollte niemals Ursache dafür sein, dass eine gute Forscherin oder Mitarbeiterin verloren geht.

Wie können Sie ihren Beruf und Freizeit verbinden? Gibt es Freiräume für Sie oder ist die Arbeit immer präsent?

Die Forschung generell birgt in sich, dass man sich mit ihr immer - wenn auch nicht aktiv - auseinandersetzt. Dennoch versuche ich eine Trennung zwischen Beruflichem und Privatem und halte daher Freiräume neben der beruflichen Tätigkeit für einen unverzichtbaren Bestandteil. Dies kann insbesondere dann schwierig sein, wenn die Aufgabenbereiche spannende Arbeitsinhalte aufweisen. Die Schaffung von Freiräumen muss bewusst umgesetzt werden - mit der Konsequenz, dass liebgewordene Forschungsgebiete an KollegInnen übergeben werden.

Gibt es Orte, an denen sie komplett abschalten können vom Job?

Am besten kann ich zu Hause abschalten: Sobald ich die Türe aufsperre, denke ich nicht mehr an meine Arbeit. Die Firma nimmt mich tagsüber zu 100% in Anspruch, sodass ich nach Feierabend Abwechslung schätze.

Welche Ideen hätten Sie, um mehr Frauen für den Technikbereich zu begeistern?

Der erste und wichtigste Schritt, um Mädchen Lust auf Technik zu machen, ist die Erziehung in der Familie. Sobald das Technische auch für Mädchen selbstverständlich ist, verschwindet die Scheu davor. Dieser selbstverständliche Umgang muss in der Ausbildung fortgesetzt werden. Bei Bewerbungsgesprächen ist eine Nuancierung zwischen Männern und Frauen angebracht, da Frauen eher zum Tiefstapeln neigen. Im beruflichen Alltag sind Fehler unvermeidbar und in einem gewissen Rahmen auch wertvoll, weil gerade aus Fehlern viel gelernt werden kann. Frauen sollten sich hier Männer zum Vorbild machen und eine Gelassenheit gegenüber Enttäuschungen entwickeln.

Wo wollen Sie sich beruflich hinentwickeln? Was sind Ihre Ziele?

Die Vergrößerung des Schmierstoffbereichs bei AC²T research GmbH steht in den nächsten Jahren im Vordergrund. Neben der Team-Vergrößerung möchte ich die wissenschaftliche Kompetenz der Gruppe ausbauen, sodass wir international bei den Besten zu finden sind.

Vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Inge Schrattenecker, ÖGUT

Nicole Dörr
Dr.in Nicole Dörr

AC2T research GmbH

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Letzte Aktualisierung: 05.05.2023