Expertin des Monats
Okt. 2006
Univ.-Prof.in Dr.in Silke Bühler-Paschen

Silke BÜHLER-PASCHEN studierte Technische Physik an der TU Graz. Ihre Doktorarbeit schrieb sie an der ETH Lausanne (CH), wo sie am Laboratoire de Physique des Solides Semi-cristallins an der experimentellen Untersuchung von elektrisch leitenden organischen Polymeren und von Kompositen aus organischen Leitern und Polymeren mitarbeitete. 1995 wechselte sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin zum Laboratorium für Festkörperphysik der ETH Zürich. 1999 ging sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin, ab 2004 in C3-Stellung, an das Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden. Im Winter 2001/2002 war sie Gastprofessorin an der Nagoya University. 2005 folgte sie dem Ruf an die Technische Universität Wien als Professorin am Institut für Festkörperphysik.

Ihr aktueller Arbeitsschwerpunkt ist die experimentelle Untersuchung elektronisch hochkorrelierter Systeme. Hierbei spielt die reine Grundlagenforschung (z.B. auf dem Gebiet der Quantenkritikalität) eine ebenso wichtige Rolle wie die anwendungsorientierte Forschung (z.B. zu thermoelektrischen Materialien). Im Sommersemester 2006 hielt Silke BÜHLER-PASCHEN darüber hinaus eine Veranstaltung über Gender-Aspekte in den Naturwissenschaften an der TU Wien ab.

Interview

Sie haben in Graz technische Physik studiert, in der Schweiz ihre Diplomarbeit geschrieben und mit 29 Jahren promoviert. Was fasziniert Sie an der Physik?

Mich hat die Physik von Anfang an interessiert. Schon in der Schule waren Physik und Chemie meine Lieblingsfächer. Meine ältere Schwester hat Chemie studiert und somit habe ich Physik gewählt, um nicht das Gleiche zu machen. Außerdem war ich immer sehr international orientiert. Ich bin aus beruflichen Gründen meines Vaters sehr viel umgezogen, und das hat mir viel gebracht. Internationalität war für mich sehr wichtig und deshalb habe ich mich dann dazu entschlossen, die Diplomarbeit im Ausland zu machen. Dann hat sich eines nach dem anderen ergeben.

Sie sind seit 2005 Professorin an der TU Wien. Womit beschäftigen Sie sich genau?

Grob gesagt ist mein Arbeitsgebiet die Festkörperphysik. Dabei geht es um Stoffe - also Materie im festen Aggregatzustand wie z.B. ein Stück Metall - die wir einerseits selbst herstellen und andererseits auf ihre physikalischen Eigenschaften hin untersuchen. Ziel ist es zu verstehen, warum sich ein Material so verhält wie es sich verhält. Dazu brauchen wir sehr aufwändige Anlagen. Etwas konkreter geht es um das große und sehr aktuelle Forschungsgebiet der elektronisch hochkorrelierten Systeme. Hier interessieren mich sehr grundlegende Fragestellungen wie die nach der Entstehung des Magnetismus ebenso wie anwendungsbezogenere Aspekte wie z.B. die Suche nach hocheffizienten Thermoelektrika.

War für Sie immer klar, dass Sie an der Universität bleiben?

Ich habe mir immer vorgenommen, in der Forschung zu bleiben. Das war mein Ziel. Aber am Anfang kamen für mich mehrere Optionen in Frage, ein Forschungsinstitut, die industrielle Forschung oder auch die Universität.

Wurde in ihrer Familie Technik gefördert?

Mein Vater war Professor an der Montanuniversität Leoben. Technik war bei uns daher nichts "Schlechtes" und wurde auch unterstützt. Aber meine Eltern hätten mich auch unterstützt, wenn ich etwas Geisteswissenschaftliches studiert hätte. Meine jüngere Schwester hat z.B. Kunstgeschichte studiert.

Welche konkreten Anwendungsbereiche der Festkörperphysik gibt es?

Auch wenn der Schwerpunkt meiner eigenen Forschung derzeit im Bereich der Grundlagenforschung liegt, so ist die Festkörperphysik an sich natürlich eine den Anwendungen sehr nahestehende Disziplin. Unzählige High-Tech-Produkte wie z.B. die Festplatte oder die Solarzelle entstammen der Festkörperforschung. Ich bin überzeugt, dass die Grundlagenforschung von heute die Ausgangsstoffe für die High-Tech-Produkte von morgen liefern wird.

Wie würden Sie jungen Mädchen oder Burschen ihr Studium oder ihren Tätigkeitsbereich schmackhaft machen?

Das habe ich gerade in einer Einführungslehrveranstaltung versucht. Ich habe hier aufgezeigt, dass es Materialien gibt, die aus der Festkörperphysik kommen und die in ganz prägnanten Bereichen Verwendung finden. Wie z.B. dass die Erfindung der Festplatte erst nach jahrzehntelanger Grundlagenforschung an Ferromagneten möglich wurde. Anhand von solchen Beispielen kann man zeigen, dass aus der Grundlagenforschung oft sehr vielfältige Anwendungen kommen. In der Festkörperphysik ist es wichtig, dass das Interesse da ist, das Material zu verstehen. Diese "detektivische" Herausforderung finde ich sehr spannend.

Was meinen Sie, sind die spezifischen Anforderungen in Ihrer Position? Welche Eigenschaften braucht es da?

Ich bin ja noch nicht sehr lange in dieser Position aber ich kann schon sagen, dass organisatorisches Talent sehr, sehr wichtig ist. Es sind immer immens viele Dinge gleichzeitig zu erledigen. Nach dem Motto "man dreht sich nicht mehr nur um sich selbst" ist es jetzt auch sehr wichtig, zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen guten Kontakt zu haben. Und bei alledem noch den "Kopf frei zu haben" für die Forschung.

Wie groß ist ihr Team?

Meine Berufungszusage enthielt vier neue AssistentInnenstellen für promovierte MitarbeiterInnen. Davon sind drei bereits besetzt. Dazu kommen DiplomandInnen und DoktorandInnen, für letztere laufen noch die Projektanträge. Zusätzlich arbeite ich mit etlichen weiteren Personen am Institut eng zusammen und habe auch international viele Zusammenarbeiten.

Sie haben drei Kinder im Alter von 8, 5 und 2 Jahren. Wie managen Sie Ihren Alltag?

Unsere größere Tochter ist schon in der Schule, die zweite ist im Kindergarten und der Kleine ist momentan noch zu Hause und wird dort betreut. Da haben wir natürlich Hilfe und meine Familie ist nicht weit weg. Mein Mann ist auch Physiker und um die Fremdbetreuungszeiten in einem erträglichen Rahmen zu halten, arbeiten wir zeitlich versetzt. Wir haben unseren Familienalltag sehr gut organisiert.

Ihr Mann ist auch Physiker?

Ja. Wir haben uns über die Physik kennengelernt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass eine Physikerin einen Physiker kennenlernt und heiratet - das besagt auch die Statistik. Für mich ist es sehr wichtig,

dass es in einer Partnerschaft gegenseitiges Verständnis dafür gibt, dass einen die Arbeit fesseln kann, und das tut die Physik! Mein Mann ist beruflich genauso engagiert wie ich und ist auch dienstlich viel unterwegs. Für unseren Alltag macht es das natürlich nicht einfacher.

Sind sie in Karenz gegangen?

Ich habe alle drei Kinder in Deutschland zur Welt gebracht. Die dortigen Mutterschutzfristen habe ich natürlich eingehalten, danach aber gleich wieder angefangen zu arbeiten. Allerdings haben mein Mann und ich in Dresden je nur zu 80% gearbeitet, hatten also jeder einen freien Tag pro Woche. So konnten wir die externe Kinderbetreuung auf drei Tage reduzieren. In Wien haben wir davon abgesehen, weil sich das Arbeitspensum einer Professur nicht so einfach auf 80% eingrenzen lässt.

Sehen Sie als Frau in ihrer Position in Bezug auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie einen Unterschied zu Ihren männlichen Kollegen?

Wenn es um die Arbeit an sich geht, erkenne ich keinen Unterschied. Aber dass ich als Professorin drei Kinder habe, dass macht schon einen Unterschied. Als Frau mit Kindern bin ich doch "ein bisschen mehr belastet" als die meisten meiner Kollegen, selbst wenn sie Kinder haben, denn die traditionelle Rollenverteilung ist nach wie vor sehr verbreitet. Zudem sind meine Kollegen großteils aus der "Kleinkinderphase" heraus. Für mich heißt das, dass ich in meiner Arbeitszeit sehr einschränkt bin und alle Aufgaben, die ich zu leisten habe, in einer bestimmten Zeit erledigen muss.

Sie sind schon als Kind viel gereist. Wie wichtig ist Mobilität für Ihren Beruf?

In der Wissenschaft wird allgemein eine gewisse örtliche Mobilität erwartet, gerade am Anfang. Mir hat das keine Probleme bereitet. Es war normal für mich, dass ich für meine Doktorarbeit ins Ausland gehe. Es ist wichtig, an unterschiedlichen Instituten gearbeitet zu haben. Heute bedeutet für mich Mobilität viele kurzzeitige Aufenthalte - Konferenzbesuche und kurze Forschungsaufenthalte.

Wie wichtig sind für Sie Vorbilder? Sehen Sie sich als "Role Model" für Ihre Studentinnen und Studenten?

Für mich war eine Physikerin in Frankreich sehr wichtig für meinem Karriereweg. Ich habe sie während meiner Doktorarbeit kennengelernt. Sie hatte als Professorin zwei Kinder und da habe ich mir zum ersten Mal Gedanken zum Thema Arbeit und Familie gemacht. Ich habe es früher nicht für möglich gehalten, neben einer Physikkarriere eine Familie zu haben. Bei dieser Frau habe ich gesehen, dass das offensichtlich doch geht. Das hat mich stark geprägt und ich habe mich sehr an ihr als Vorbildern orientiert.

Ob ich für meine Studentinnen ein "Role Model" bin, kann ich schwer sagen. Auf jeden Fall habe ich offene Türen für alle, die Unterstützung brauchen. Als ich am Max-Plank-Institut in Dresden angefangen habe, war ich im Bereich Physik die einzige Frau auf der Akademikerebene. Als ich sechs Jahre später gegangen bin, gab es mehr Doktorandinnen als Doktoranden. Aber vielleicht war dieser "Frauenboom" auch nur reiner Zufall.

Welche Art der Unterstützung im Wissenschaftsbetrieb finden Sie generell wichtig?

Während meiner bisherigen Karriere wurde ich immer von "Mentoren" unterstützt - zunächst von meinem Diplomvater und meinem Doktorvater, später dann von meinen Vorgesetzten. Sie haben mir die Gelegenheit gegeben, Vorträge zu halten und mich "wichtigen" Leuten vorgestellt. So konnte ich ein internationales Beziehungsnetzwerk aufbauen. Diese Art der Unterstützung ist extrem wichtig. Man muss natürlich auch bereit sein, solche Hilfeleistungen anzunehmen.

Wie wichtig sehen sie Maßnahmen, Frauen im naturwissenschaftlich-technischen Bereich zu fördern?

Förderung finde ich grundsätzlich sehr gut, wobei ich denke, dass es wichtig ist zu analysieren, warum so wenige Frauen in diesem Bereich sind. Ich weiß es ehrlich gesagt auch nicht genau. Aber ich denke, dass das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf nach wie vor einer der Hauptgründe ist. Wenn man Kinder will, muss man sich das selber organisieren. Da gibt es derzeit praktisch keine Unterstützung.

Sie haben auch eine Lehrveranstaltung zum Thema "Genderaspekte in den Naturwissenschaften". Was vermitteln Sie da?

Bei dieser Veranstaltung (ein Konversatorium gemeinsam mit Prof. Peter Weinberger vom Institut für allgemeine Physik) geht es darum, dass die Studierenden mit uns über Gender-bezogene Themen diskutieren. Es war sehr interessant zu sehen, was die Studierenden zu diesem Thema zu sagen haben. Z.B. wird nach wie vor in gewissen Kreisen geglaubt, dass Physik nichts für Mädchen sein kann. Wenn man in den Gesprächen mit den Studierenden hört, dass sie noch auf Schulen waren, auf denen die Lehrer suggeriert haben, dass es Jobs für die Jungs und solche für die Mädchen gibt, dann ist das schockierend und muss thematisiert werden.

Was würden Sie beruflich noch gerne erreichen? Was sind Ihre Ziele?

Meine oberste Priorität ist es, die Gruppe am Institut fertig aufzubauen und den Ausbau der Labors mit neuen Apparaturen abzuschließen - damit wir möglichst rasch voll funktionsfähig sind! Ich möchte mich hier in Wien international wissenschaftlich sehr gut positionieren

Danke für das Interview!

Das Interview führte Inge Schrattenecker von der ÖGUT - Österreichische Gesellschaft für Umwelt und Technik.

Silke Bühler-Paschen
Univ.-Prof.in Dr.in Silke Bühler-Paschen

Institut für Festkörperphysik

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Letzte Aktualisierung: 05.05.2023