Expertin des Monats
Feb. 2008
Dr. Tanja Lube

DIin Drin. mont. Tanja Lube ist Assistenzprofessorin am Institut für Struktur- und Funktionskeramik an der Montanuniversität Leoben. Sie studierte Werkstoffwissenschaften bereits an der Montanuniversität Leoben und promovierte am Institut für Struktur- und Funktionskeramik. Frau Lube hat das Institut mit aufgebaut und beschäftigt sich mit der Prüfung von mechanischen Eigenschaften, wie Festigkeit oder Zähigkeit, von Hochleistungskeramiken. Da es sich dabei um eine relativ junge Werkstoffklasse handelt, in der immer wieder neue Materialqualitäten hergestellt werden, besteht der Bedarf einer umfassenden Charakterisierung um eine Datenbasis für die Konstruktion von Bauteilen bereitstellen zu können. Andererseits ist auch die Entwicklung und Verbesserung von Prüfmethoden ein wichtiges Thema, um beispielsweise Methoden für die Qualitätssicherung bei der Herstellung zu Verfügung zu stellen. Anwendung findet das Forschungsgebiet auch in der Beurteilung von Schadensfällen bei Bauteilen.

Interview

Frau Lube, Sie sind Assistenzprofessorin am Institut für Struktur- und Funktionskeramik an der Montanuniversität Leoben. Vorerst, was bedeutet Struktur- und Funktionskeramik?

Struktur- und Funktionskeramiken nennt man auch Hochleistungskeramiken. Sie werden aus synthetischen Rohstoffen hergestellt, also nicht aus Ton aus natürlichen Lagerstätten, und haben deshalb besser kontrollierbare Eigenschaften. Strukturkeramiken werden hauptsächlich für Anwendungen eingesetzt, wo es darum geht, dass Bauteile ihre Form behalten, dass sie Kräfte übertragen und dass sie Belastungen aushalten. Funktionskeramiken sind Werkstoffe, wo spezielle physikalische oder chemische Eigenschaften ausgenutzt werden. Zum Beispiel, dass sich ein Material durch Stromdurchfluss erwärmt und bei dieser Erwärmung der elektrische Widerstand so stark ansteigt, dass in weiterer Folge kein Stromdurchgang mehr möglich ist. Dann hat man eine Art Schalter, der vor zu hohen Belastungen schützt. Strukturkeramiken kommen unter anderem in industriellen Anwendungen vor, beispielsweise in Papiermaschinen, bei der Metallumformung, aber auch der Einsatz als Pkw-Ventil ist denkbar. Keramiken haben den Vorteil, dass sie leicht sind, ihre Festigkeit auch bei hohen Temperaturen behalten und dass sie besonders verschleißfest sind. Das sind Eigenschaften, die man ausnützt für solche Anwendungen. Funktionskeramiken wiederum, das sind meistens sehr kleine Bauteile. In jedem Pkw sind etliche solche Bauteile eingebaut, aber auch in Mobiltelefonen, in Bildschirmen, Kühlschränken und in vielen anderen elektronischen Anwendungen.

Wie würden Sie Ihr Arbeitsgebiet beschreiben?

Ich beschäftige mich grundsätzlich mit den mechanischen Eigenschaften von solchen Keramiken. Das zentrale Thema dabei ist der Zusammenhang zwischen dem Gefüge, also dem inneren Aufbau des Werkstoffes und den Eigenschaften, die dieser Werkstoff hat. Keramiken sind generell relativ junge Werkstoffe, vor allem was den konkreten Einsatz für Bauteile angeht. Für viele keramische Werkstoffe sind die Daten, die man braucht um damit auch Bauteile konstruieren zu können, nicht bekannt.

Ihrer Forschungsbeschreibung nach führen Sie Bruchuntersuchungen mittels Fraktrographie durch. Was ist darunter zu verstehen?

Die Fraktrographie ist die Untersuchung von Bruchflächen, von Proben oder Bauteilen mit freiem Auge und unter starker Vergrößerung im Elektronenmikroskop. Auf den Bruchflächen sind charakteristische Merkmale zu finden, die einem helfen zu entscheiden weshalb das Bauteil gebrochen ist, wo der entscheidende Defekt in diesem Bauteil war und wie der Bruch über die Zeit hinweg entstanden ist. Ein Bruch muss ja nicht immer gleich sofort erfolgen, es kann auch eine zeitlang brauchen, bis es zu einem Bruch führt.

Dieses Verfahren wird unter anderem für die Beurteilung von Schadensfällen angewendet. Können Sie dazu Beispiele nennen?

Es gibt in Österreich eigentlich nur unser Institut, das sich mit dieser Art von Keramiken intensiv beschäftigt. Dementsprechend sind wir auch die einzigen AnsprechpartnerInnen für die österreichische Industrie, die sich mit der Herstellung und Verarbeitung von solchen Keramiken beschäftigt. Wir arbeiten aber natürlich auch mit IndustriepartnerInnen im Ausland. In Österreich betrifft das zum Beispiel einen Elektrokeramikhersteller in der Südweststeiermark und Firmen, die Keramiken für Bauteile, für Papiermaschinen oder Kugellager verarbeiten. Wir finden für diese Unternehmen unter anderem heraus, weshalb etwas bei einem Schadensfall kaputt gegangen ist. Manchmal ist der Werkstoff zu schlecht oder auch die Beanspruchung zu groß.

Sie haben Werkstoffwissenschaften studiert, wie kamen Sie zu dieser Studienrichtung?

Grundsätzlich haben mich die technischen Aspekte des Lebens immer schon interessiert. Schon als Kind hab ich gerne mein Fahrrad repariert oder Geräte solange zerlegt, bis ich verstanden habe, wie sie funktionieren. Vor allem die Tatsache, dass man eigentlich überall Werkstoffen begegnet und man ständig damit zu tun hat, hat mich sehr interessiert.

Der Anteil an Frauen, die Werkstoffwissenschaften studieren, ist relativ gering. Warum ist das Ihrer Meinung nach so?

Ich bin zum Beispiel in ein neusprachlich-humanistisches Gymnasium gegangen und habe nur deshalb von der Montanuniversität erfahren, weil mein Vater dort gearbeitet hat. Bei der Berufsberatung in der Schule wurde uns BWL, JUS und Germanistik als Studium empfohlen. Damals war BWL topmodern. Alle haben BWL studiert und nach meinem Empfinden war die Technik etwas völlig Unattraktives.

Ich glaube übrigens nach wie vor, dass der technische Aspekt in unserer Gesellschaft unpopulärer ist. Technik wird so positioniert, dass sich manchmal auch Männer davor fürchten. Wie sehr fürchten sich dann Frauen davor, denen überdies noch vermittelt wird, dass sie nicht mathematisch oder logisch denken können. Unter den Wissenschaften haben die Medizin und ihr Umfeld wohl den besten "Ruf". Auch Themen, die in Richtung Management und Controlling gehen, werden derzeit hoch bewertet. Technische Disziplinen, bei denen es um die Herstellung von allem was uns umgibt geht, werden ungleich weniger wahrgenommen.

Sie haben bereits an der Montanuniversität studiert. Ist es schön dort zu arbeiten, wo Sie bereits Ihre Ausbildung absolviert haben?

Ja, ich identifiziere mich sehr stark mit meiner Arbeitgeberin. Ich möchte das Institut, an dem ich arbeite, durch meine Leistung weiterentwickeln. Das kommt auch sicher daher, dass ich das Institut mit aufgebaut habe. Das Institut ist gegründet worden zu dem Zeitpunkt, als ich mein Studium abgeschlossen habe, und ich war dort die erste Assistentin. Eine meiner ersten Tätigkeiten war damals die Räume einzurichten und eine erste Geräteausstattung zu beschaffen.

Warum haben Sie sich nicht für einen Job in der Industrie entschieden?

Ich wollte nach dem Studium unbedingt eine Dissertation machen. Ich wollte ganz einfach kreativ arbeiten. Durch die spezielle Konstellation mit dem neuen Institut hat die Dissertation länger gedauert: viele Dinge, die für die Arbeit nötig waren, mussten erst beschafft werden. Es waren viele junge Leute da, die alle auf demselben wissenschaftlichen Niveau waren, und auch Vorlesungen und Übungen mussten von Null auf erarbeitet werden. Ich habe mir hier ein selbständiges Arbeitsgebiet entwickelt und bin nun in einer Führungsposition.

Was ist das Faszinierende an Ihrem Beruf?

Es tauchen ständig neue Fragestellungen auf und diese Probleme zu lösen, finde ich sehr faszinierend. Man misst eine scheinbar harmlose Serie an Experimenten durch und dann hat man ein Ergebnis. Das ist dann oft nicht so, wie erwartet und dann muss man darüber nachdenken und die Erklärung dazu finden. Dabei lernt man etwas Neues über einen ganz kleinen Aspekt, aber der wird für die nächsten Versuche wichtig sein. In Summe wird aus den kleinen Erklärungsschritten dann das Verständnis für eine größere Sache. Dieses ständige Problemlösen und über Dinge nachdenken finde ich sehr interessant.

Was waren wichtige Stationen in Ihrer Berufslaufbahn?

Da fällt mir spontan die Teilnahme an dem Technical Committee "Ceramics" der europäischen Organisation ESIS (European Structural Integrity Society) ein. ESIS ist eine Organisation, die sich mit dem Zusammenhalt von Werkstoffen beschäftigt. Das betrifft Baustoffe, Metalle, Keramik und auch Kunststoffe. Das technische Komitee ist eine Gruppe, wo junge WissenschaftlerInnen ein Forum finden um ihre Arbeiten zu präsentieren und Leute zu treffen, die am gleichen wissenschaflichen Niveau sind oder auch viel höher. Das ist ein wichtiges Netzwerk, das meine Karriere sehr unterstützt hat. Es verhilft zur Weiterentwicklung, wenn man Teil der Scientific Community wird, gemeinsam publiziert, oder sich gegenseitig zu Tagungen einlädt.

Mittlerweile sind Sie Vorsitzende des Technical Committee "Ceramics" der ESIS. Was ist hier Ihre Aufgabe?

Als Vorsitzende hat man die Aufgabe Aktivitäten vorzuschlagen, zu koordinieren und weiterzutreiben. Ich mache das mit einem slowakischen Kollegen zusammen, da es sich zeitlich mit meinen Kinderbetreuungspflichten nicht anders ausgehen würde.

Sie haben Anfang der 90er Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei einem CD (Forschungs-) Labor gearbeitet. Können Sie sich jetzt vorstellen selbst ein Forschungslabor zu leiten?

Ja, ich kann mir vorstellen, dass ich, wenn genug zeitliche Ressourcen da sind, ein Projekt dieser Größenordnung abwickeln kann. Momentan ist es auf Grund der Kinderbetreuung schwierig.

Sie waren Mitglied des Netzwerks "SICMAC". Können Sie dazu mehr erzählen?

SICMAC war ein von der EU gefördertes Netzwerk von ForscherInnen zu einem bestimmten Thema: keramische Laminate und Schichten. Durch die Teilnahme an diesem Projekt haben wir eine neues Forschungsgebiet - keramische Schichtwerkstoffe - ans Institut geholt und einige MitarbeiterInnen für das Institut gewonnen. Wir sind ein sehr multikulturelles Team. Meine KollegInnen kommen aus Bulgarien, China, England, Russland, Spanien und der Türkei.

Gefällt Ihnen die multikulturelle Atmosphäre am Institut?

Ja, das ist sehr interessant und bringt ein bisschen etwas von der Welt nach Leoben. Es ist aber nicht immer ganz einfach. Die Arbeitsgewohnheiten sind oft unterschiedliche, das Verantwortungsbewusstsein sowie die Lebensgewohnheiten an sich.

Sie übernehmen auch die Betreuung von Diplomarbeiten und Dissertationen. Welchen Stellenwert nimmt diese Tätigkeit für Sie ein?

Diese Art von Zusammenarbeit und Wissensvermittlung ist irrsinnig wichtig, toll und schön, weil man es meistens mit hochmotivierten Leuten zu tun hat. Ich kann mir wissenschaftliche Arbeit ohne diesen Aspekt überhaupt nicht vorstellen.

Sie haben zwei Kinder (3 und 6 Jahre). Wie vereinbaren Sie Beruf und Familie?

Ich bin momentan Teilzeit beschäftigt im Ausmaß von 20 Wochenstunden. Zu Hause arbeite ich meistens noch zusätzlich und ich bin immer telefonisch erreichbar. Während der ersten Karenzzeit war ich mit einem geringfügigen Dienstverhältnis angestellt, da habe ich mein Kind sogar an das Institut mitgenommen. Sonst habe ich zu Hause gearbeitet. Binnen 18 Monaten bin ich aber wieder für ein Jahr Vollzeit arbeiten gegangen. Nach dem zweiten Kind bin ich nach einem Jahr wieder arbeiten gegangen. Mein Mann und ich haben uns ein Jahr lang die Arbeit vormittags und nachmittags geteilt. Es war mir immer wichtig, in Kontakt zum Institut zu bleiben. Ich bin mit meiner aufgeschobenen Karenz auch eine Vorreiterin.
Die Entscheidung auf der Uni zu bleiben, lag schon auch daran, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie hier meiner Meinung nach leichter machbar ist. Mein Chef unterstützt mich sehr mit seiner Haltung, dass es auch gut ausgebildeten Frauen in anspruchvollen Berufen ermöglicht werden muss, Kinder zu bekommen. Ich bin zurzeit die Einzige am Institut in dieser besonderen Situation und kann sehr flexibel arbeiten.
Ohne Großeltern würde allerdings nichts gehen, denn die Flexibilität der angebotenen Kinderbetreuung im ländlichen Gebiet lässt zu Wünschen übrig.

Wie würden Sie Schülerinnen Ihren Beruf schmackhaft machen?

Ich würde ihnen vermitteln, dass viele Prozesse des täglichen Lebens einen technischen Aspekt haben. Kochen ist Physik, Chemie und Verfahrenstechnik, sich zu überlegen wie man einen Pullover strickt, auch das ist ein technischer Prozess, auch wenn das heutzutage nicht sehr populär ist. Ich würde nach weiteren solchen Beispielen suchen um den Schülerinnen zu erklären, dass Technik nicht etwas Abstraktes, Fernes ist, was einem noch nie begegnet ist, sondern uns ständig und überall umgibt. Außerdem würde ich den Schülerinnen vermitteln, dass man alles lernen kann, zwar vielleicht nicht bis zur Perfektion, aber doch. Ich möchte nicht behaupten, dass ich ein Mathematikgenie bin oder mich besonders gut in Physik auskenne, aber ich habe genug davon verstanden um meinen Beruf zu meistern. So ist es mit vielen Teilaspekten der technischen Wissenschaften.

Was ist Ihr berufliches Ziel, was wollen Sie noch erreichen?

Ich würde mich gerne habilitieren, damit ich in meiner Selbständigkeit bei der Arbeit für die Zukunft hier am Institut besser abgesichert bin.

Danke für das Interview!

Das Interview führte Beatrix Hausner, ÖGUT.