Expertin des Monats
März 2009
Prof.in Sabine Schindler

Prof.in Sabine Schindler ist Astrophysikerin am Institut für Astro- und Teilchenphysik der Universität Innsbruck. Sie untersucht insbesondere Galaxien und Galaxienhaufen und hat sich in letzter Zeit auf die Wechselwirkung der verschiedenen Komponenten (wie Galaxien, Gas, hochenergetische Teilchen, Magnetfelder) von Galaxienhaufen spezialisiert.

Die gebürtige Deutsche studierte Physik an der Universität Erlangen/Nürnberg und promovierte an der Universität München. Nach mehrjährigen Forschungstätigkeiten an der University of California, Santa Cruz, USA, sowie an der Liverpool John Moores University ist sie seit 2002 ordentliche Professorin am Institut für Astrophysik der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck und hat 2004 dessen Leitung übernommen.

Sabine Schindler ist nicht nur Mitglied diverser einschlägiger Fachgesellschaften sondern auch im Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen der Universität Innsbruck engagiert und begleitet Aktivitäten zur Frauenförderung wie beispielsweise FIT oder den Girls' Day. ,,In diesen besonders interessanten, anspruchsvollen und lukrativen naturwissenschaftlich-technischen Berufen sind immer noch viel zu wenig Frauen und leider wächst der Frauenanteil nur ganz langsam", beklagt die sportliche Forscherin, die Volleyball, Wandern und Skifahren zu ihren Hobbys zählt.

Interview

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus? Was haben Sie beispielsweise gestern gemacht?

Ich komme meist gegen acht Uhr ins Büro und bearbeite zuerst meine E-Mails. Montag früh haben wir immer unsere Institutsbesprechung, die dauert rund eine halbe Stunde. Am Vormittag hatte ich meine Vorlesung zur Einführung in Astrophysik, dann führte ich ein Bewerbungsgespräch mit einer Postdoc-Kandidatin. Nachher war die Vorbesprechung für eine interdisziplinäre Lehrveranstaltung. Das waren die Eckpunkte. Dazwischen habe ich Diplomarbeiten korrigiert und ein Treffen aller Österreicher, die mit der Europäischen Südsternwarte, der ESO, zu tun haben, koordiniert.

Was werden Sie morgen machen?

Am Morgen wird ein Doktorkandidat seine Prüfung ablegen. Dann halte ich eine Vorlesung. Dann werde ich an einem Antrag für ein Masterstudium in Astrophysik im Rahmen des Erasmus Mundus Programms schreiben, das wir gemeinsam mit Universitäten in Italien, Deutschland und der Tschechischen Republik einführen wollen.

Und was würden Sie am liebsten machen?

Am liebsten würde ich forschen: mich mit den jungen Leuten meiner Gruppe zusammensetzen, schauen, was sie gerade wieder herausgekriegt haben, diskutieren, ob das so sein kann, ob vielleicht ein Fehler drinnen ist oder es ganz neue tolle Ergebnisse sind und was man daraus schließen kann.

Wie oft haben Sie dafür Zeit?

Wir machen so eine Besprechung auf jeden Fall einmal pro Woche. Ansonsten steht die Tür zu meinem Büro immer offen. Ich freue mich über jeden, der mit mir über Forschung reden will und nicht nur über Verwaltung. Das passiert schon öfters pro Woche.

Wie viele Personen gehören zu Ihrer Gruppe, und woran forschen Sie?

Wir forschen zu den Entwicklungsprozessen in Galaxienhaufen. Zu meiner Gruppe gehören rund ein Dutzend Diplomanden, Dissertanten und Postdocs. Die einen arbeiten eher theoretisch, sie machen Simulationen und Modelle. Andere arbeiten mit den großen Teleskopen und schauen, wie das Universum wirklich aussieht. Wir versuchen, beide Methoden zu kombinieren.

In einem Interview sagten Sie, dass Sie bereits als Kind Astronomiebücher verschlungen hätten. Wie alt waren Sie, als Sie sich für die Sterne zu interessieren begannen?

So genau weiß ich es nicht mehr. Ich kann mich an einen alten Atlas meiner Eltern erinnern, wo auf den hinteren Seiten Sonnen- und Mondfinsternis gezeichnet waren. Als Kind bekommt man die Bücher ja geschenkt. Als Teenager konnte ich mich aktiv danach umsehen. In der Bibliothek meiner Heimatstadt in Erlangen habe ich jedenfalls das ganze Regal gelesen. Darunter waren auch viele Sachen, die ich damals noch gar nicht verstanden habe.

Ihr Vater war Physiker. Welche Rolle hat er in Ihrem Leben gespielt?

Er hat mir wohl viel erklärt - ich erinnere mich, wie er mir anhand eines Balls erklärte, dass die Erde rund ist, als ich noch ganz klein war. Ich wusste auch besser als andere Kinder, dass Physik etwas Vernünftiges ist, dass man damit seine Brötchen verdienen kann. Aber er hat mich sicher nicht in irgendeine Richtung gedrängt. Ich hatte immer die freie Wahl.

Warum haben Sie sich für ein Physikstudium entschieden?

Ich bin vor Studienbeginn zwischen Mathematik und Physik geschwankt. Bei einer Veranstaltung sagte jemand, Mathematik sei auf der Uni ganz anders als in der Schule, da werde nun alles bewiesen. Doch genau das hat mich nicht gereizt. Somit war klar, dass ich Physik studieren würde.

Weil Sie das Unbekannte reizt?

Ja, auf jeden Fall. Auch Archäologie hätte mich sehr interessiert, nur kann man nicht alles machen. Ich habe auch jetzt noch einen sehr weiten Blickwinkel und höre mir, wenn ich Zeit habe, gerne Vorträge über ganz andere Themen an. Alles Naturwissenschaftliche finde ich spannend.

Wie sind Sie zur Astrophysik gekommen?

Meine Diplomarbeit machte ich in Kernphysik. Ich arbeitete bei einem Beschleuniger. Um die Daten auszuwerten, schrieb ich ein so genanntes Monte-Carlo-Programm. Dabei merkte ich, dass mir die Arbeit mit dem Computer sehr gefällt. Doch in der Kernphysik wollte ich nicht weiterarbeiten, da es in diesem Bereich nicht mehr viel Neues zu erforschen gab. Für die Doktorarbeit war ich zuerst ein Jahr im Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching bei München. Doch das hat mir nicht so richtig Spaß gemacht. Ich wollte etwas tun, was mir wirklich Spaß macht - das war die Astrophysik. In Garching gibt es auch zwei Astrophysik-Institute, also erkundigte ich mich, was man machen könnte. Ich interessierte mich für das frühe Universum und die ganz großen Strukturen. Daran arbeite ich auch heute noch.

War ihr Zwischenstopp in der Quantenoptik ein Hang zur Vernunft, um später sicher einen Job zu bekommen?

Die Leute haben damals tatsächlich gesagt, dass man mit Astrophysik keinen Job bekommen würde. Doch diese Einschätzung stimmte gar nicht. Ich bin letztlich in der Wissenschaft geblieben, aber auch wenn ich nach der Doktorarbeit in die Industrie gegangen wäre, hätte ich gute Chancen gehabt. Alle, die mit dem Computer gearbeitet haben, haben gute Jobs bekommen. Für mich war es am Anfang schon wie ein Sprung ins kalte Wasser. Ich dachte: Vielleicht ist es etwas Unvernünftiges, aber ich mache etwas, was mir richtig Spaß macht, und wenn es nur das eine Mal im Leben ist und ich danach etwas ganz anderes arbeiten werde. Ich bin froh, dass ich es gemacht habe.

Sind Sie ein Typ, der viel riskiert?

Eigentlich nicht. Normalerweise nicht.

Nach Ihrer Dissertation gingen Sie als Postdoc in die USA. Viele Forscher bleiben dort. Warum kamen Sie zurück?

Ich hatte ein einjähriges Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung und ging an die University of California in Santa Cruz. Ich hatte vorher viele Forschungsanträge geschrieben und wusste, dass ich nach meiner Rückkehr nach Deutschland eine Stelle haben würde. Es gab aber auch andere Gründe zurückzukehren: Ich fand das Forschen in den USA oberflächlich. Es war zu viel auf Präsentation ausgelegt und zu wenig auf die Inhalte. Viele haben eine große Show gemacht und waren sehr angesehen, obwohl nicht viel dahinter war. Mir hat die Art des Forschens in Europa besser gefallen. Natürlich gibt es auch hier einige, die mehr vorgeben als sie sind, aber in Amerika schien es mir extremer zu sein.
Überdies hatte ich Nachteile beim Forschen: Ich hatte keinen eigenen Rechner. Die meisten Postdocs waren bei einem Dozenten angestellt und arbeiteten für ihn. Sie mussten genau das machen, was der Dozent ihnen sagte, damit er genau die Resultate kriegte, die er brauchte, um nachher wieder Drittmittel zu bekommen. Das fand ich natürlich nicht so gut. Ich wollte unabhängig arbeiten, meine eigenen Ideen realisieren. In Europa können Postdocs unabhängig forschen und haben trotzdem Zugang zum Computer des Instituts.

Wie ging Ihre Karriere nach Ihrer Rückkehr nach Deutschland weiter?

Nach mehreren Postdoc-Jahren am Max-Planck Institut für extraterrestrische Physik in Garching nahm ich 1998 eine Position im Astrophysik-Institut der Universität Liverpool an. Irgendwann war dann die Zeit reif für eine Professur. Ich hatte Glück, dass ich das erste Angebot aus Innsbruck bekam. 2002 wurde ich Professorin am Institut für Astrophysik in Innsbruck. Das Institut war eher unbekannt, viele meiner Kollegen hatten es gar nicht gekannt. Meine neuen Kollegen in Innsbruck haben mich gut aufgenommen, sie haben sich gefreut, dass frischer Wind reinkommt. Das ist nicht überall so, oft gibt es Widerstand gegen Veränderungen. Ich hatte Glück.

Und Sie haben schnell Karriere in Österreich gemacht. Seit 2004 sind Sie Leiterin des Instituts, und Sie sind Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Astronomie und Astrophysik.

Als ich nach Innsbruck kam, war Österreich kein Mitglied der ESO, der Europäischen Südsternwarte in Chile, und hatte deshalb keinen Zugang zu den großen Teleskopen. Ein möglicher ESO-Beitritt war immer wieder diskutiert worden. Ich wusste, dass ich mich sehr in diese Sache reinhängen würde müssen. Um gegenüber dem Wissenschaftsministerium auftreten zu können, haben wir Astronomen 2002 eine Gesellschaft gegründet. Ich wurde die Gallionsfigur für die ESO-Aktivitäten. Anfang 2008 ist Österreich der ESO beigetreten.

Es heißt, dass Wissenschafter und Wissenschafterinnen ihre kreativste Zeit in jungen Jahren haben. Was war Ihre kreativste Arbeit? Ihre beste Publikation?

Das ist schwer zu sagen. Meine Doktorarbeit ist die am meisten zitierte Publikation. In der Doktorarbeit machte ich hydrodynamische Simulationen von Galaxienhaufen - das sind die größten Strukturen im Universum. Ich hatte eine neue Methode entwickelt, insofern war das eine Pionierarbeit. Da ich bei meinem Aufenthalt in Amerika keinen Zugang zu Rechnern hatte, stieg ich dort auf Beobachtungen um. Wenn man etwas Neues macht, bedeutet das erst mal einen Einbruch in der Publikationsrate. Es dauerte eine Weile, bis ich auch bei Beobachtungen gut zitiert wurde. Ich habe den Galaxienhaufen gefunden, der am allerleuchtkräftigsten ist. So eine Entdeckung ist natürlich immer auch mit Zufall und Glück behaftet.

Sie sprechen von Glück und Zufall. War es nicht auch Ihre Gründlichkeit?

Das kann es auch sein. Ich habe natürlich darauf geachtet, dass ich bei Beobachtungskampagnen teilnehmen konnte. Dann war ich halt dort, wie dieser Haufen beobachtet wurde. Es ist nicht so, dass ich gewartet habe, und es ist mir in den Schoß gefallen. Ich habe immer ziemlich viel gearbeitet. Dann hat man ab und zu einen Glücksgriff.

Frauen spielen oft ihre eigene Leistung herunter und reden stattdessen von Glück. Sehen Sie das auch so?

Ja, doch. Ich sehe es bei Kolleginnen und auch bei den jungen Frauen in meiner Gruppe, dass sie ihre Leistung herunterspielen. Da muss ich immer dagegen arbeiten. Ich versuche, ihnen klarzumachen, dass ihre Resultate auf keinen Fall vernachlässigbar seien. Manchmal hilft es nichts, und sie bestehen darauf, dass ihre Resultate nichts wert seien. Manchmal hilft es doch.

Haben Sie sich einmal benachteiligt gefühlt, weil Sie eine Frau sind?

Es gab kein einzelnes Ereignis, wo ich klar benachteiligt wurde, weil ich eine Frau bin. Man konnte immer argumentieren, dass ein anderer ausgewählt wurde, weil er auf einem bestimmten Fachgebiet arbeitete. Aber nach einigen Jahren hatte ich den Eindruck, dass sich das häufte - ohne nun genau sagen zu können, dass eine konkrete Entscheidung ungerecht war. Es hätte ja auch sein können, dass andere aus bestimmten Gründen vorgezogen wurden. Doch irgendwann dachte ich mir: Das kann doch gar nicht sein, dass es immer mir passiert.

In der Astrophysik gibt es wohl nicht viele Frauen?

Während ich in Deutschland war, gab es zwei Frauen unter 100 Professoren. Als die beiden in Pension gingen, gab es eine Weile gar keine. In England gab es noch weniger Frauen in Führungspositionen, und außerdem hatte ich den Nachteil, Ausländerin zu sein. Da kann man gar nicht trennen, warum man benachteiligt wird.

Wie fördern Sie junge Frauen? Brauchen Frauen eine besondere Ermutigung?

Wenn man junge Frauen als Bewerberinnen hat, muss man darauf achten, sie genauso anzuschauen wie die männlichen Bewerber. Frauen nimmt man oft nicht ernst, weil sie oft so bescheiden auftreten und damit den Eindruck erwecken, dass sie nicht so viel können. Ich versuche natürlich, dass ich so einen Fehler nicht mache. Auf einer Tagung hatten wir kürzlich einen Vortrag dazu - da kam heraus, dass auch nicht alle Frauen das fair machen. Auch Frauen haben ihre Vorurteile. Ich passe besonders auf, aber ich kann natürlich auch nicht versprechen, dass ich fair bin.
Viele Frauen schätzen ihre Arbeit nicht hoch genug ein. Was die anderen machen, sei toll, was sie machen, sei gar nicht toll. Ich versuche, dagegen zu wirken, indem ich sie viel lobe. Das hilft nicht immer, aber bei manchen doch. 

Wie viele Frauen sind in Ihrer Gruppe?

Rund ein Viertel meiner Gruppe ist weiblich. Glücklicherweise kommen aus Italien einige Frauen, dort gibt es mehr Frauen in der Astrophysik als bei uns.

Hatten Sie einmal die Phantasie, Astronautin zu werden?

Nein. Mit den Experimenten, die man im Weltraum machen kann, kann man nicht den Kosmos erforschen. Mich hat mehr das Universum interessiert.

Schauen Sie eigentlich Science Fiction-Filme oder TV-Serien wie Startrek an?

Manchmal. Das ist ganz lustig. Nicht sehr realistisch. Oft sind haarsträubende Aussagen in den Filmen - aber es ist ja zum Spaß.

Können Sie eine schöne sternenklare Nacht einfach genießen, oder denken und beobachten Sie da als Wissenschafterin?

Das genieße ich. Aber trotzdem ist das der Ausgangspunkt für meine Motivation, forschen zu wollen. Das kann ich nicht trennen. Fasziniert sein, forschen, neue Fragen stellen - das gehört alles zusammen.

Danke für das Interview!

Das Interview führte Margarete Endl.

Sabine Schindler
Prof.in Sabine Schindler

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Letzte Aktualisierung: 03.02.2021