Expertin des Monats
Mai 2009
DIin Ranja Reda

DIin Ranja Reda studierte an der Technischen Universität Wien Physik und ist seit Juni 2007 Forschungsassistentin auf dem Gebiet der Finanzmathematik und berät Banken im Bereich Risikomanagement.

Der derzeitige mathematische Arbeitsschwerpunkt liegt auf Risikomaßnahmen im praktischen Sinn (Messung des Risikos von großen Kreditrisikoportfolios) als auch im theortetischen (Theorie der konvexen Risikomaße). 

Zu ihren laufenden Forschungsprojekten zählt die Entwicklung neuer Simulationstechniken um seltene Ereignisse genauer und schneller simulieren zu können und die Erarbeitung eines Modells zur Projektion von Mobilien-Restwerten in die Zukunft. 

Für das Projekt ,,Mathematisches Risikomodell zur Bestimmung des Objektwertverlaufs", das die TU Wien in Kooperation mit UniCredit Leasing machte, erhielten Reda und ihre Kollegin Christina Ziehaus den Publikumspreis des Mercur 2008, mit dem die Wirtschaftskammer Wien Innovationen auszeichnet. Bei FameLab 2009, einem Präsentationswettbewerb für junge WissenschafterInnen, erhielt sie den Ö1 Audiopreis.

Persönlich bewundert sie Frauen, die trotz ihrer brillanten Leistungen in Wissenschaft und Technik nicht vergessen, Frau zu sein und zu bleiben.

Interview

Woran arbeiten Sie gerade?

Ich arbeite auf verschiedenen Schienen. Ich habe Physik studiert und meine Diplomarbeit in theoretischer Kernphysik geschrieben. Jetzt mache ich zwei Doktorate, die mit Physik überhaupt nichts zu tun haben: eines in Mathematik, eines in Wirtschaft. In Mathematik setze ich mich mit den Kreditrisiken von Banken auseinander. Für meine Doktorarbeit in Wirtschaftswissenschaften untersuche ich den Zusammenhang zwischen der Informations- und Telekommunikationsindustrie und der Wirtschaftsentwicklung eines Landes. 

Wie sind Sie von der Kernphysik zur Finanzmathematik gelangt? Ist die Kernphysik nicht interessant? 

Natürlich ist die Kernphysik sehr interessant. Aber ich habe eine Zeitlang in Manhattan gelebt und mich von der dortigen Finanzfaszination anstecken lassen.

Wann war das?

Das war 2006. Ich studierte an der City University of New York und arbeitete an meiner Diplomarbeit in Kernphysik. Damals habe ich begonnen, mich für die Finanzwirtschaft zu interessieren. Ich habe Vorlesungen über Hedgefonds besucht und auch einige Hedgefondsmanager kennen gelernt. Ich war so von diesem Fieber angesteckt, dass ich sagte: Das möchte ich machen. Ich wollte aber nicht direkt in die Industrie, sondern zuerst eine fundierte Ausbildung auf dem Gebiet machen. 

Haben die Hedgefondsmanager 2006 vorhergesehen, dass der Finanzmarkt in Kürze abstürzen würde?

Nein, sonst hätten sie wohl anders investiert. Einige renommierte Finanzmathematiker haben jedoch immer schon zur Vorsicht geraten. Die verwendeten Risikomodelle waren viel zu vereinfacht und für ein so komplexes System wie den Finanzmarkt nicht geeignet. Doch eine Unzahl von Banken verwendete im Risikomanagement das sogenannte Gauss-Copula-Modell, ein mathematisches Modell, das jetzt von den Medien so zerrissen wird. Natürlich gab es damals Akademiker, die darauf hinwiesen, dass das Risikomanagement nicht optimal war. Aber die Finanzwelt hat nicht auf sie gehört. 

Somit haben die Finanzmathematiker eine Mission zu erfüllen und das Risikomanagement radikal zu verbessern?

Ja, und ich konnte bereits einen Teil zu dieser Mission beitragen. Mein Doktorvater Professor Schachermayer, eine Kollegin von Credit Suisse und ich haben gemeinsam ein neues Simulationsmodell für extreme Events entwickelt - wenn bestimmte makroökonomische Faktoren extrem ausschlagen, etwa die Inflationsrate stark steigt oder das Bruttoinlandsprodukt sinkt. Dieses Simulationsmodell wird bereits von der Bank Austria angewandt. Die gängigen Risikomodelle sind auf durchschnittliche Situationen abgestimmt. In extremen Situationen funktionieren diese Modelle nicht mehr optimal

Viele namhafte Ökonomen sagen, rein wissenschaftlich seien dies die spannendsten Zeiten seit der Depression der 1930er Jahre. Finden Sie als Finanzmathematikerin die Finanzkrise faszinierend? 
Absolut. Es gibt keinen besseren Zeitpunkt, eine Dissertation über Kreditrisikomanagement zu schreiben als jetzt. Es klingt böse, aber ich bin froh über jeden Tumult auf den Finanzmärkten, weil es dadurch interessantere Daten gibt und wir für die Zukunft daraus lernen können. 

Wie können Sie als Physikerin so einfach ein Doktorat in Mathematik und in Ökonomie machen? Sind für diese Fächer nicht sehr viele Vorkenntnisse erforderlich?

Ich habe mich nicht auf Experimentalphysik, sondern auf theoretische Physik spezialisiert, die bereits sehr viel mit Mathematik zu tun hat. Das war die Basis. Dann musste ich mir natürlich sehr viel spezifisches Wissen aneignen, aber das hat Spaß gemacht und war eine Herausforderung. Genauso wie das theoretische Kernphysikstudium eine Herausforderung war. Ein Mathematik- oder Wirtschaftsstudium dauert im Schnitt fünf Jahre, also fehlt mir natürlich einiges an Wissen. Doch wenn man von einem Paper am Anfang nur jedes zweite Wort versteht, sich dann hineinsteigert und kämpft und nach zwei Wochen jeden Beweis nachvollziehen kann und jedes Theorem versteht, ist das sehr befriedigend. Das ist ein glorreiches Gefühl.

Sie sind nach Ihrer Rückkehr aus New York, wo Sie noch Physik studierten, Projektassistentin am Institut für Wirtschaftsmathematik geworden. Wieso ging das so schnell?

Ich habe die Chance bekommen, weil es Leute gab, die an mich geglaubt haben, und dafür bin ich sehr dankbar. Ich habe gekämpft. Mein Doktorvater, Professor Schachermayer, hat mir gesagt: ,,Probier es. Mach es, wenn du das möchtest." 

Warum hatten Sie Physik studiert?

Weil ich Herausforderungen liebe. Nach der Matura war Physik jenes Fach, das mir am schwierigsten erschien. Es war die größte Herausforderung, sowohl vom Arbeitsaufwand als auch vom logischen Denken. Ich wollte es unbedingt machen und habe mich sehr hineingesteigert. Während meiner Schulzeit besuchte ich heimlich Astronomievorlesungen in Wien. Wir lebten in einem Haus im Weinviertel. Ich erzählte meinen Eltern, dass ich am Nachmittag zusätzliche Fächer belegen müsse. Doch eigentlich bin ich nach Wien gefahren und habe mir auf der Uni Astronomievorlesungen angehört. 

Astronomie haben Sie dann also schon gekonnt ...

Also musste ich Physik studieren. Ich habe von klein auf gerne Rätsel gelöst. Physik zu betreiben ist, Rätsel zu lösen. Man hat ein Problem und möchte den Grund dafür herausfinden. Als Kind bin ich oft zwischen Miami und Wien gependelt. Auf den langen Flügen hat mein Vater immer versucht, mich zu beschäftigen. Anstatt mir Malbücher zu geben, hat er mir Rätsel gestellt. Einmal - ich war acht oder neun Jahre alt - sollte ich ausrechnen, wie schnell das Licht zwischen Mond und Erde ist. Er gab mir die Distanz zwischen Mond und Erde und die Zeit, die das Licht benötigt. Ich hatte natürlich keine Ahnung, dass Geschwindigkeit gleich Weg durch Zeit ist. Aber ich habe das Rätsel gelöst und so die Lichtgeschwindigkeit berechnet.

Was machte Ihre Familie in Florida?

Mein Vater war dort beruflich tätig. Ich habe viel Zeit in Miami verbracht. Wir sind zwischen dem Bauernhof in Niederösterreich und den Skyscrapers in Miami gependelt.

Welche Rolle spielt Ihr Vater in Ihrem Leben?

Eine sehr große. Meine ganze Familie spielt eine große Rolle. Man kann im Berufsleben nicht erfolgreich sein, wenn das Privatleben nicht erfolgreich ist. 

Wie oft hat Ihnen Ihr Vater solche Aufgaben gestellt?

Er war ein sehr beschäftigter Mensch und ist viel gereist. Aber wenn er da war, hat er mich gefördert. Meine Eltern haben mich in jedem Bereich, der mich interessiert hat, ob Sportliches oder Musikalisches oder etwas anderes, gefördert. Ich bekam Musikunterricht auf zehn verschiedenen Instrumenten. Meine Mutter ist Künstlerin, sie ist Professorin für Flöte am Vienna Konservatorium und am Prayner Konservatorium. Mein Vater hatte Physik studiert und arbeitete als Manager. Ich habe eine jüngere Schwester, die eine sehr begabte Sängerin ist und Operngesang studiert. Sie ist mehr nach der Mama geraten.

Sie haben wie Ihr Vater Physik studiert. Sind Sie sich auch vom Wesen her ähnlich?

Wir sind uns sehr ähnlich. Wir setzen uns absolut keine Grenzen in dem, was wir erreichen können. Wir haben sehr große Träume. Viele würden sie als zu große Träume empfinden, aber wir wissen, was wir wollen, und wir ziehen es durch.

Was ist Ihr Traum?

Mein Traum? Ein erster Schritt dahin wäre, einen MBA an der University of Yale zu machen. Danach eine diplomatische Ausbildung, etwa die Diplomatische Akademie in Wien. 

Warum das?

Weil ich für die Weltbank arbeiten möchte. Ich denke, dass eine Verbindung aus Finanzwissen und diplomatischem Hintergrund sehr förderlich ist. Das ist meine Strategie.

Die wissenschaftliche Tätigkeit ist für Sie also nur ein Zwischenstopp?

Die wissenschaftliche Tätigkeit macht mir sehr viel Spaß, und ich konzentriere mich im Augenblick darauf, meine zwei Doktorate abzuschließen. Wissenschaft kann einen komplett fesseln. Aber ich möchte langfristig keine akademische Laufbahn einschlagen.

Wie schaut ein typischer Tag bei Ihnen aus?

Er beginnt mit einem guten Frühstück um halb acht, dann geht es ab in die Arbeit. Ich beginne meist um halb neun. Abends gehe ich oft in ein Fitnessstudio und danach auf einen Drink mit Freunden oder in ein Konzert, ins Theater, in die Oper. Ich zelebriere das Leben. Aus Manhattan kenne ich das Motto: Work hard, party hard. Je mehr man arbeitet, desto mehr Ausgleich braucht man. Sport, meine Freundinnen, meine Familie, meine Hobbys sind mir sehr wichtig. Ich koche gern und bin eine leidenschaftliche Seglerin.

Relativ wenige Frauen gehen in die Physik oder die Finanzwirtschaft. Glauben Sie, dass sich Frauen manchmal selber einschränken oder behindern?

Insofern, als viele erfolgreiche Frauen in technischen oder männerdominierten Berufen darauf vergessen, Frau zu sein. 

Was meinen Sie damit?

In der Vergangenheit war ein Großteil der führenden Wissenschafter männlich. Daher ist es natürlich, dass auch wir Wissenschafterinnen uns an diesen männlichen Vorbildern orientieren. Das muss aber nicht notwendigerweise dazu führen, dass wir uns an sie anpassen. Ganz im Gegenteil: Man kann auch in High Heels gute Papers schreiben.

Je höher die Positionen, desto mehr werden sie von Männern eingenommen. Frauen fühlen sich oft in ihrer Karriere behindert. Wo gibt es Barrieren? Sind Sie persönlich schon an Barrieren gestoßen?

Man muss zwischen den einzelnen Ländern differenzieren. Es gibt Orte, wo Frauen in der Gesellschaft eine sekundäre Rolle spielen und beispielsweise verschleiert sein müssen. Ich habe einen halbarabischen Background, mein Vater ist Ägypter. In Europa leben wir in einer anderen Situation. Es stimmt natürlich, dass es hier noch unterschiedliche Gehälter für Männer und Frauen gibt. Doch insgesamt denke ich, dass wir Fortschritte machen. 
Ich persönlich fühle mich nicht behindert. Im Gegenteil, ich habe oft einen Vorteil als Frau in der Wissenschaft. In einer männerdominierten Welt sticht man als Frau automatisch hervor. Die Professoren merken sich meinen Namen. Das spornt einen an, die bestmögliche Leistung zu erbringen. Und letztlich kommt es genau auf diese Leistung an, und nicht auf das Geschlecht.

Vielen Dank für das Interview!

Das Interview führte Margarete Endl.