Expertin des Monats
Jan. 2010
Univ.-Doz.in Dr.in techn. Claudia-Elisabeth Wulz

Univ.-Doz.in Dr.in DIin Claudia-Elisabeth Wulz ist FEMtech Expertin des Monats Jänner.

Claudia-Elisabeth Wulz wurde 1960 in Klagenfurt geboren, studierte technische Physik an der Technischen Universität Wien und promovierte 1986 sub auspiciis. Seit 1993 leitet sie die österreichische Gruppe des CMS-Experiments am Large Hadron Collider des CERN. Ihr Arbeitsgebiet ist Teilchenphysik, ein Fachgebiet, dessen Thematik die Erforschung der elementaren Bausteine der Materie und ihrer Wechselwirkungen ist. Gemeinsam mit ihrer Gruppe ist sie an der Entwicklung wesentlicher Komponenten des CMS-Triggersystems beteiligt und ist auch in mehreren Komitees und Boards vertreten. Das CMS-Experiment (CMS steht für Compact Muon Solenoid) ist eines der beiden großen Experimente am LHC, mit dem in den nächsten Jahren die Sekunden unmittelbar nach dem Urknall experimentell nachgestellt werden. Die Aufgabe des Triggersystems ist es, aus der schier unendlichen Menge an Daten, die sich aus den Experimenten ergeben, die wesentlichen Daten herauszusortieren.

Interview

Was war der spannendste, aufregendste Augenblick in Ihrer Karriere? Gab es überhaupt einen einzigen solchen Augenblick?

Den gab es. Ich war noch Studentin, schrieb am CERN meine Diplomarbeit und war am Experiment UA1 beteiligt. Das Ziel des Experiments war, die W- und Z-Teilchen zu finden. Man wusste, dass - falls sie überhaupt existierten - man die Teilchen sehr schnell finden würde. Ich war mitten in dieser enthusiastischen Aufbruchsstimmung. Wir hatten damals sogenannte Event Displays, also Bildschirme, wo man Teilchenspuren sofort anschauen konnte. Selbst mit dem freien Auge konnte man sehen, ob das Ereignis so ein W- oder Z-Teilchen sein könnte.

Waren Sie dabei, als die Teilchen entdeckt wurden?

Ich war mitten drinnen. Der Kontrollraum war voller Leute, und alle haben geklatscht. Carlo Rubbia und Simon Van de Meer erhielten für ihre Beiträge zur Entdeckung dieser Teilchen später den Nobelpreis. Das war der bisher spannendste Moment. Ich hoffe natürlich, dass wir mit dem LHC ähnlich spannende Augenblicke erleben werden.

Wie sind Sie als Studentin in diese Gruppe gekommen?

Ich bin als Sommerstudentin an den CERN gekommen. Ich habe beim UA1-Experiment begonnen. Die Österreichische Akademie der Wissenschaften nahm auch am Experiment teil, und ich habe Kontakte zur österreichischen Gruppe geknüpft. Nach den zwei oder drei Monaten als Sommerstudentin bekam ich einen Werkvertrag bei der österreichischen UA1-Gruppe und konnte meine Diplomarbeit hier schreiben.

Welche neuen spannenden Ereignisse erwarten Sie nun am CERN?

Wir könnten Higgs-Teilchen finden - das sind die allerletzten, noch nie gesehenen Teilchen, um das Standardmodell der Teilchenphysik endgültig zu bestätigen. Wir hoffen, dass wir das Higgs-Teilchen finden - und dann haken wir diese Theorie ab und wenden uns anderen Dingen zu. Was danach kommt, ist noch viel spannender. Es wird uns die Richtung zeigen, in die die Physik gehen wird.

Was könnte da kommen?

Man könnte Supersymmetrie finden. Das ist eine übergeordnete Theorie, in die man das Standardmodell einbetten kann. In der Supersymmetrie werden die Teilchen des Standardmodells verdoppelt. Man findet zu jedem Standardmodell-Teilchen ein supersymmetrisches Teilchen, das aber viel schwerer ist und als Partner des Standardmodellteilchens gesehen werden kann.

Hängt Supersymmetrie mit dunkler Energie und schwarzen Löchern zusammen?

Die Supersymmetrie könnte Bestandteil einer noch größeren Theorie sein, in die man zum Beispiel auch die Gravitation einbeziehen kann. Man nähert sich der Weltformel, von der Einstein geträumt hat, in der man alle Kräfte des Universums unter einen Hut bringt. So wie Elektrizität und Magnetismus - die beiden Kräfte wurden ursprünglich auch als getrennt betrachtet, bis man entdeckt hat, dass Magnetismus und Elektrizität zusammenhängen. Genauso könnten Supersymmetrie und das Standardmodell Bestandteil einer übergeordneten Theorie sein, in die auch die Schwerkraft hineinpassen würde. Schwarze Löcher können sich bilden, wenn die Gravitation auf kleinen Distanzen sehr stark wird. Das ist ein mögliches Szenario, das am LHC vorkommen könnte. Man hat hohe Energien, man schießt Teilchen auf kleinste Distanzen zusammen, da könnte es sein, dass die Gravitation stark wird.

Man könnte mit dem LHC schwarze Löcher produzieren?

Das könnte passieren, aber das sind natürlich nicht die astronomischen schwarzen Löcher, wie wir sie kennen, sondern winzige schwarze Löcher, die, so nehmen wir an, sofort verdampfen würden, aber Teilchenspuren in unserem Detektor hinterlassen würden. Wir würden sehen, dass da ein schwarzes Loch war. Wir würden wissen, wie so ein schwarzes Loch zerfallen könnte. Die Dimension der Möglichkeiten ist mit dem LHC viel größer als beim UA1-Experiment.

Wofür sind Sie verantwortlich?

Ich leite die Gruppe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften am CMS-Experiment - das ist eines der zwei großen Experimente, die am LHC durchgeführt werden. Ich bin am CMS für das ganze Triggersystem mitverantwortlich. Dieses System ist ein elektronisches Filter, das nur die interessantesten Kollisionen herausfiltert. Das Triggersystem macht so etwas wie eine digitale Momentaufnahme von den Kollisionen der Protonen. 40 Millionen Mal pro Sekunde. Durch das Triggersystem wird zum Beispiel überprüft, ob eine hochenergetische Spur eines Müons oder Elektrons vorhanden ist. Wenn das der Fall ist, ist dieses Ereignis für uns interessant und wir werden es speichern. Die meisten Ereignisse werden nicht aufgezeichnet, sondern weggeworfen. Von 40 Millionen Kollisionen pro Sekunde bleiben am Ende 100 pro Sekunde übrig, die man auf Magnetband oder Disc speichert.

Was sind Ihre Routinearbeiten?

Als Gruppenleiterin habe ich vielfältige Arbeiten. Ich muss darauf achten, dass die Elektronik für den Trigger so funktioniert, wie sie soll. Ich mache die Koordination der Leute, die die Elektronik gebaut haben, und achte darauf, dass alles zusammenpasst und die Subsysteme richtig funktionieren. Ich mache mir auch Gedanken, wie man die Physik analysieren wird. Ich arbeite an der Vorbereitung der Physikanalysen mit. Die kann man im Trockenen machen, mit simulierten Daten. Die erste Physikpublikation ist gerade fertig geworden, mit den richtigen Zahlen, die man mit den ersten vom LHC gelieferten Daten herausgefunden hat. Auch Öffentlichkeitsarbeit gehört dazu. Der CERN kostet viel Geld, die Leute müssen wissen, wofür das alles ist und wo der Nutzen für den einzelnen liegt.

Gehen wir kurz in Ihre Kindheit zurück. Was war Ihr erster Berufswunsch?

Technik hat mich immer fasziniert, aber auch, was hinter der Technik steht. Ich wollte wissen, wie die Welt funktioniert. Ich dachte aber lange nicht daran, Physik zu studieren - ich dachte eher an Mathematik oder Chemie. In Gesprächen mit meinem Vater sind wir gemeinsam auf Physik gekommen. Bei Chemie dachte ich letztlich, dass man sehr viele Formeln auswendig lernen müsse, und bei Mathematik sah ich die Berufsmöglichkeiten nicht so deutlich.

Was machten Ihr Vater und Ihre Mutter beruflich?

Mein Vater war Elektroingenieur. Er hat mir die Faszination für Technik und Wissenschaft vermittelt - durch die vielen interessanten Gespräche, die wir geführt haben. Meine Mutter war Englischlehrerin und sehr auf Bildung bedacht, aber nicht so stark auf ein Thema fokussiert.

Von Ihrer Persönlichkeit her wirken Sie bescheiden und natürlich. Sie haben viele Leitungspositionen am CERN erreicht. Wie? Durch Ihre Klugheit, Überzeugungskraft, Leidenschaft?

Ich habe immer meine Meinung kundgetan. Das machen eigentlich nicht so viele Leute. Aktiv zu sein ist wichtig. In diesen großen Kollaborationen, wo 2000 oder 2500 Leute zusammenarbeiten, muss man sich seinen Platz suchen. Vielleicht spielt dabei auch die sogenannte weibliche Diplomatie eine Rolle - Frauen versuchen, ausgleichend zu sein, während Männer oft sehr karrieristisch und egoistisch agieren.

Haben Sie ein inhärentes, starkes Selbstbewusstsein?

Wenn ich von etwas überzeugt bin, möchte ich meine Meinung, meine Position durchbringen. Aber es kommt auf das Wie an. Als Frau wird man eher als aufdringlich empfunden, wenn man versucht, sich stärker zu behaupten. Die Probleme, die Frauen haben, sind subtil - die begreift man anfangs nicht so schnell.

Nämlich?

Frauen werden anders beurteilt. Es wird nicht derselbe Maßstab wie bei Männern angelegt. Bei Gesprächen zur weiteren Karriere werden Frauen oft gefragt, wie sie die Karriere mit ihren Kindern vereinbaren. Ein Mann, der für eine Topposition infrage kommt, wird das sicher nie gefragt. Es gibt auch kaum weibliche Stars in der Wissenschaft. Wissenschaftlerinnen werden maximal als sehr gut qualifiziert. Aber nicht als Star. Eine einzige Frau, Lisa Randall, gilt in der Physik als Star. Aber sie lebt in den USA, und dort ist es anders. Dort hat man gelernt, nicht zu diskriminieren.

Hat es Männer oder Frauen gegeben, die Sie gefördert haben?

Eigentlich nicht. Das meiste, was ich erreicht habe, habe ich durch meine eigene Initiative erreicht. Ich hätte gerne einen wirklichen Mentor gehabt.

Wie ist eigentlich die Mann-Frau-Ratio am CERN?

Ich habe kürzlich eine Statistik für mein Experiment erstellt. Von den 2000 bis 2300 Leuten, die ständig am CMS-Experiment arbeiten, sind 16 Prozent Frauen. Bei den unter 30-Jährigen sind es 19 Prozent. Wobei es bei den Nationalitäten große Unterschiede gibt. Den höchsten Frauenanteil hat Indien mit 36 Prozent, dann kommt die Türkei mit 35 Prozent, dann kommen Finnland und Spanien. Die hoch industrialisierten Länder wie Deutschland, Großbritannien und die USA bewegen sich nur um die 12 Prozent.

Und Österreich?

Das ist ein trauriges Kapitel. Es gibt 25 bis 30 Wissenschaftler aus Österreich bei CMS, darunter zwei Frauen. Das macht acht Prozent.

Wieso ist der Frauenanteil in den technischen Wissenschaften in deutschsprachigen Ländern so niedrig? Haben Sie eine These?

In Italien oder auch in Frankreich ist es selbstverständlich, dass Frauen alle Möglichkeiten offen stehen. In Österreich ist dagegen das Verständnis, dass Frauen in der Technik etwas zustande bringen oder überhaupt in die Technik gehen sollen, gering. Töchter werden anders erzogen als Söhne. Das passiert sogar - ganz subtil - in meiner Familie. Wenn mein Partner etwas Technisches erklärt, schaut er unseren Sohn an. Obwohl sich unsere Tochter sehr für Astronomie interessiert und unser Sohn eher an Computern interessiert ist.

Was wollen Sie jungen Frauen auf ihren Karriereweg mitgeben?

Sich möglichst wenig beeinflussen lassen. Sich gut informieren, viele Meinungen einholen, aber den eigenen Weg gehen. Wenn Wissenschaft sie interessiert, sollen sie sie machen. Und nicht zu sehr auf alte Männer hören. Oder sagen wir: auf etablierte Personen.

Danke für das Interview!

Das Interview führte Margarete Endl.

Claudia-Elisabeth Wulz
Univ.-Doz.in Dr.in techn. Claudia-Elisabeth Wulz

CERN

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Letzte Aktualisierung: 05.05.2023