Expertin des Monats
Juni 2010
DIin Dr.in Alexandra Millonig

DIin Alexandra Millonig ist FEMtech Expertin des Monats Juni.

Die 1972 in Steyr geborene Alexandra Millonig studierte Raumplanung und Raumordnung an der TU Wien mit den Schwerpunkten Verkehrsplanung und Gesellschaftliche Entwicklung. Noch heuer wird sie - ebenfalls an der TU Wien - ihr Doktoratsstudium mit dem Thema "Klassifizierung des räumlichen Bewegungsverhaltens von Fußgängern" abschließen.

Seit 2005 ist die Forscherin als wissenschaftliche Mitarbeiterin mit Projektverantwortung im Geschäftsfeld "Human Centered Mobility Technologies/Dynamic Transportations Systems" beim AIT Austrian Institute of Technology beschäftigt. Daneben (2007 bis 2010) ist sie an der TU Wien in das Projekt "Bewegungsverhalten von Fußgängern" eingebunden und übt eine Lehrtätigkeit aus. Noch heuer wird die studierte Raumplanerin - ebenfalls an der TU Wien - ihr Doktoratsstudium mit dem Thema "Klassifizierung des räumlichen Bewegungsverhaltens von Fußgängern" abschließen.

Bezüglich Chancengleichheit sieht sie noch großen gesellschaftlichen Aufholbedarf: "Es reicht nicht, sich als Unternehmen ein 'Gender-Mäntelchen' umzuhängen und vorzuführen, was nicht alles unternommen wird und gleichzeitig aber wie gewohnt weiterzumachen, indem man Frauen nach wie vor schlechter bezahlt, sie bei Beförderungen übergeht und die gläserne Decke stabil hält."

Interview

Frau Millonig, wollten Sie bereits als junges Mädchen Forscherin werden?

Ja, ich wusste bereits in der Volksschule, dass mich die Forschung interessiert. Zwar stellte ich mir damals vor, dass eine Forscherin im weißen Kittel mit Eprouvetten herumhantiert, was meiner Tätigkeit als Forscherin heute natürlich nicht entspricht.

Wie sind Sie zu diesem Berufswunsch gekommen?

Ich habe mich schon immer sehr für Naturwissenschaften interessiert, und wünschte mir von meinen Eltern Fachbücher über Physik, Mathematik und Astronomie. Dann bin ich ins wirtschaftskundliche Realgymnasium für Mädchen nach St. Pölten gegangen. Obwohl in der Schule nicht der naturwissenschaftliche Schwerpunkt gegeben war, habe ich mich weiterhin mit Naturwissenschaft beschäftigt. Für ein technisches Studium fühlte ich mich nicht genügend vorbereitet. Raumplanung war dann doch eine zufällige Wahl auf ein Studium, das Kreativität verlangt und sehr breit angelegt ist.

Wie ist es Ihnen dann während des Studiums mit dem Wechsel von einer reinen Mädchenschule auf eine Universität gegangen, wo Frauen unterrepräsentiert sind?

Im Raumplanungsstudium ist die Quote eigentlich ausgeglichen.

Auch bis zum Schluss?

Ich muss sagen, dass kann ich nicht so einschätzen, da ich während meines Studiums meine drei Kinder bekommen habe und zwischenzeitlich aus dem Studium ausgestiegen bin und dann auch meine Probleme hatte wieder hineinzufinden und daher auch den Kontakt zu meinen Kolleginnen vom Studienbeginn verloren habe.

Ihr Weg in die Forschung war für Sie auch mit Kindern weiterhin Ihr Ziel?

Ja, das war für mich klar. Nachdem ich wieder ins Studium eingestiegen bin, habe ich meine Schwerpunkte nach meinem persönlichen Interesse gewählt und habe mich auf Verkehrsplanung und soziologische Themen, wie Verkehrsverhalten spezialisiert. Und dann hatte ich das Glück zu hören, dass bei AIT ein Forschungsprojekt zum Thema ,,Orientierungsverhalten" durchgeführt wird, und da habe ich mich gleich angeboten über dieses Thema meine Diplomarbeit zu schreiben. Und von dem Zeitpunkt an, bin ich mit dem Forschungsthema befasst.

Ihr Forschungsgebiet umfasst kurz gesagt das unterschiedliche Mobilitätsverhalten. Was interessiert Sie an dieser Forschungsrichtung?

Wir sind alle täglich unterwegs - verwenden Verkehrsmittel, haben unterschiedliche Muster und Kombinationen, wie wir diese Wege zurücklegen. Verschiedene Einflussfaktoren und Barrieren bestimmen wie wir unterwegs sind. Das heißt wir haben nicht immer die ganz freie Wahl, wie wir von A nach B unterwegs sind.

Können Sie mir Beispiele für diese Mobilitätshindernisse geben?

Das sind nicht immer physische Hindernisse. Es können auch mentale sein - z.B. verwendet eine Person keine öffentlichen Verkehrsmittel, weil sie sich nicht auskennt, obwohl es eine sehr gute Möglichkeit wäre, um in die Schule oder zum Arbeitsplatz zu kommen.

Worum geht es bei Ihrem Projekt ways2dat?

In vielen Forschungsfragen haben wir das Problem, dass wir Personen für Interviews, Tests, Experimente etc. brauchen - und wir verschiedene Zielgruppen abdecken müssen, und das ist bei jedem Projekt wieder ein mühsamer Schritt. Wir wollen nicht immer StudentInnen testen, zu denen man am einfachsten kommt. Daher erstellen wir jetzt eine ProbandInnendatenbank um den Zugang zu Personen mit bestimmten Merkmalsausprägungen, die nicht nur über soziodemographische Faktoren abrufbar sind, zu erleichtern.

Mit diesem Projekt haben Sie vor kurzem den vom bmvit verliehenen Gender Award erhalten. Sind Gender Themen bei Ihnen immer eine Forschungsfrage?

Immer nicht - aber es schwingt immer mit, weil ich mir verschiedene Zielgruppen ansehe, und da sind Frauen eine eigene Gruppe. Bei Frauen beobachtet man andere Verkehrsverhaltensmuster. Sie haben mehr Wegeketten als Männer, das heißt sie erledigen mehrere Dinge entlang eines Weges. Zum Beispiel gehen Sie nach der Arbeit einkaufen, Kinder abholen, etc. Diese Aufgaben werden eher von Frauen übernommen und daher brauchen Frauen auch ganz andere Informationen, wenn sie z.B. ein Routing System verwenden.

Da haben sie auch ein eigenes Projekt zusammen mit salzburg research durchgeführt...

Ja, genau - das Projekt FEMroute ist ein Kooperationsprojekt von der TU Wien und salzburg research, in dem es darum geht, die Unterschiede zwischen Frauen und Männern im Bereich der Routenplanung zu analysieren sowie ein BenutzerInnenmodell zur Erstellung gender-spezifischer Routenbeschreibungen zu entwickeln.

In Ihren aktuellen Forschungsprojekten setzen Sie sich u.a. mit Mobilitätsstilen der Zukunft auseinander. Woran forschen Sie da gerade?

Unter Mobilitätsstil verstehen wir ein Mobilitätsverhalten, das auch sehr stark von Lebensstilen beeinflusst ist. Wir beschreiben Mobilitätsverhalten nicht nur nach den soziodemographischen Faktoren, sondern nehmen hier auch schwerer erfassbare Einflussgrößen mit hinein. Wir wollen damit den sogenannten ,,statistischen Zwillingen" auf die Spur kommen. Solche Zwillinge sind Personen, die in Alter, Geschlecht und Einkommensgruppe ident sind und trotzdem ein unterschiedliches Mobilitätsverhalten aufweisen. Wir wollen hier die Einflussfaktoren herausfinden und als Mobilitätsstile beschreiben.

Wie ändert sich  unser Mobilitätsverhalten in der Zukunft?

Durch veränderte Arbeitsbedingungen - Homeoffice, flexible Arbeitszeiten, Teilzeit ändert sich unser Mobilitätsverhalten jetzt schon. Die Wege sind nicht mehr so regelmäßig, man braucht viel mehr Informationen um effizient seine Wege erledigen zu können. Und wie das in den unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen ausschaut, war Thema eines eigenen Projekts den ,,Non-routine Trips". Ausgangsthese war, dass sich die Wege viel mehr ausdifferenzieren, dafür haben wir Belege gefunden, aber um genaue Aussagen treffen zu können, müssen wir einen längeren Zeitraum erfassen und wir werden zu diesem Thema noch weiterforschen.

Wie erleben Sie es, in einem männlich dominierten Bereich tätig zu sein?

Ich fühle mich hier extrem wohl, obwohl wir hier einen höheren Männeranteil haben, hatte ich nie das Gefühl aufgrund meines Geschlechts benachteiligt zu werden. Merkbar wird jetzt zur WM-Zeit, dass Fußball ein Thema ist.

Um der Benachteiligung von Frauen entgegenzuwirken, fordern Sie eine engagierte Bildungspolitik. Wo könnte man da am Besten ansetzen?

So früh wie möglich. Ich kann hier nur ein Beispiel aus der Schule meines Sohnes anführen, wo er gefragt wurde, ob er sich wirklich für textiles Werken anmelden wolle, denn dass sei doch eher etwas für Mädchen. Immerhin wurden hier nicht die Mädchen entmutigt, die sich für technisches Werken eingeschrieben hatten. Und ich denke mir: Warum? Wenn ihn das interessiert, dann soll er es doch einfach ausprobieren dürfen. Ich sehe bei meinen Söhnen, dass es sehr schwierig ist diesem stereotypischen Denken zu entkommen. Ich versuche bei meinen Söhnen ein Interesse für die Forschung zu entwickeln und es freut mich, dass sie wahrnehmen, was ich mache.

Hatten Sie selber auch Vorbilder?

In meiner Familie gibt es in meiner Generation die ersten AkademikerInnen. In meiner Kindheit hatte ich keine Vorbilder. Jetzt habe ich viele spannende Personen kennengelernt, die auch eine MentorInnenrolle für mich übernehmen. Meinen Eltern muss ich aufrichtig danken, dass sie mich in  meinem Tun immer unterstützt haben.

Zurzeit nehmen Sie an einem Mentoring Programm der TU Wien teil und betreuen Diplom- u. Masterarbeiten auf der TU. Was möchten Sie den angehenden WissenschaftlerInnen vermitteln?

Wichtig ist mir ihnen mitzugeben, dass sie ihren Wissensdrang beibehalten. Man soll nicht schüchtern sein. Ich war immer sehr schüchtern und wollte nie im Mittelpunkt stehen. Ich habe aber gemerkt, dass es  für mein Selbstwertgefühl sehr wichtig ist, dass ich meine Leistungen aufzeige. Angehenden ForscherInnen möchte ich raten Präsentationen ihrer Arbeit vor einer Gruppe zu üben.

Was war Ihr Karriererezept?

Ich hatte keines. Ich habe den Anspruch, das zu machen was mich interessiert. Mich freut extrem, dass meine Tätigkeit in der Forschung nun auch sichtbar wird. Das gibt mir das Feedback, dass meine Tätigkeit auch einen Sinn ergibt. Ich mache es nicht nur für mich selbst, es ist auch für andere wichtig. Letztes Jahr habe ich mich für eine Verlängerung meiner Projektassistenz auf der TU interessiert. Allerdings muss ich sagen, dass ich an den Rahmenbedingungen gescheitert bin - es gibt keine Stellen. NachwuchsforscherInnen haben es auf Universitäten sehr schwer weiterzukommen. Beim Mentoring Programm habe ich gesehen, dass meine KollegInnen genauso gegen verschlossene Türen rennen. Dann wird einem noch geraten ins Ausland zu gehen. Es wird in Kauf genommen, dass die ForscherInnen auswandern. Aber in meinem Fall geht das nicht. Ich bin geschieden und will meinen Kindern eine Trennung vom Vater nicht antun.

Viele Frauen stellen fest, dass es sehr schwierig ist, Kinder und Beruf zu vereinbaren. Wie erleben Sie das?

Das ist eine Frage, die ich so oft höre, und ich habe nie eine gescheite Antwort. Ich weiß es nicht. Es geht immer irgendwie. Ich habe viel Unterstützung von Freunden und Familie und wir haben gemeinsame Obsorge bei den Kindern, das heißt die Hälfte der Zeit verbringen sie beim Vater. Wenn ich Termine wahrnehmen muss, ist das daher nie ein Problem.

Wie flexibel können Sie arbeiten?

Ich kann von zu Hause aus arbeiten und nehme viel Arbeit mit - aber daheim fällt es mir schwer Privates und Arbeit zu trennen. Vor allem die letzten drei Jahre mit zwei Jobs waren in dieser Hinsicht sehr schwierig.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft Ihrer Kinder?

Ich wünsche ihnen, dass sie das machen können, was sie interessiert, und dass sie da nicht auf Barrieren stoßen. Ich hoffe, dass ich meine Begeisterung für die Forschung an sie weitergegeben habe.

Vielen Dank fürs Interview!

Das Interview führte Nicole Kajtna.