Expertin des Monats
Okt. 2010
Ao.Univ.Prof.in DIin Dr.in Ingrid Steiner

Univ.-Prof.in DIin  Dr.in techn. Ingrid Steiner ist FEMtech-Expertin des Monats Oktober.

Wissenschaft und Wirtschaft profitieren von der Kreativität und der spezifisch weiblichen Perspektive, mit der Forschung von Frauen angegangen und realisiert wird. Um die besonderen Leistungen von Frauen in der Forschung sichtbar zu machen, wählt eine interdisziplinär besetzte, unabhängige Jury eine herausragende Expertin auf dem Gebiet der Forschung und Technologie zur FEMtech-Expertin des Monats. Für den Monat Oktober ist die Wahl auf ao. Univ.-Prof.in DIin  Dr.intechn. Ingrid Steiner gefallen.

Ingrid Steiner, geboren 1952 in Wien, studierte Technische Chemie (Studienzweig Biochemie und Lebensmittelchemie) an der TU Wien, wo sie 1977 auch ihr Doktoratsstudium mit Auszeichnung abschloss. Seit 1978 ist sie am Institut für Lebensmittelchemie und -technologie beschäftigt, zunächst als Vertrags- bzw. Universitätsassistentin, dann als wissenschaftliche Beamtin und Institutsleiterin.

Nach ihrer Habilitation und dem Erwerb der Venia docendi für ,,Lebensmittelchemie" im November 1991 und ihrer Ernennung zur Assistenz- und später außerordentlichen Universitätsprofessorin leitet Ingrid Steiner derzeit die AG Lebensmittelchemie und ist stellvertretende Leiterin des Forschungsbereichs Naturstoff- und Lebensmittelchemie.

In den letzten Jahren beschäftigte sich die Chemikerin wissenschaftlich mit den Themenbereichen ,,Gebrauchsgegenstände und Medizinartikel unter Berücksichtigung des VerbraucherInnenschutzes", ,,Qualitätssicherung bzw. Qualitätsbeurteilung von Lebensmitteln durch neue technologische Verfahren" und ,,Betriebshygiene".

Seit seiner Gründung im Jahr 1991 ist Ingrid Steiner stellvertretende Leiterin des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen an der TU Wien und unterstützt dort Frauen in schwierigen Situationen. Die Gründe dafür, dass Leitungspositionen in technisch-naturwissenschaftlichen Fächern noch immer vorwiegend mit Männern besetzt werden, liegen für Ingrid Steiner ,,teilweise schon in der frühen Lernphase von Kindern, in der Mädchen nicht selten vom spielerischen Lernen in Naturwissenschaft und Technik abgehalten werden."

 

,,Trotzdem gibt es auch eine Verpflichtung der Universitäten, Frauen massiv zu fördern und die zum Teil unbewussten Diskriminierungen von Frauen bei der Besetzung von Leitungspositionen zu verhindern", so die Professorin. ,,Auch unter den Aspekten von Budgetreduzierungen und der damit verringerten Anzahl von Stellen für qualifiziertes Personal in Forschung und Lehrer an Universitäten dürfen die Anstrengungen zur aktiven Frauenförderung nicht nachlassen."

Interview

Sie sind derzeit Leiterin der AG Lebensmittelchemie und stellvertretende Leiterin des Forschungsbereichs Naturstoff- und Lebensmittelchemie. Was sind Ihre Hauptaufgaben in ihrer Leitungsfunktion?

Ich kümmere mich administrativ um den Bereich Lebensmittelchemie und -technologie. Unser Abteilungsleiter ist in einem anderen Bereich tätig, sodass die Verantwortung für unsere MitarbeiterInnen weitgehend bei mir liegt. Daneben bin ich natürlich wie alle Habilitierten in Forschung und Lehre tätig und betreue DissertantInnen und DiplomandInnen meiner Arbeitsgruppe.

Vor der Umstrukturierung des Instituts waren sie Institutsleiterin - haben Sie jetzt mehr Zeit zum Forschen?

Ganz so ist es nicht, denn ich bin auch stellvertretende Vorsitzende des Betriebsrates für das wissenschaftliche Personal und des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen und mit sehr vielen Problemen vor allem arbeitsrechtlichen außerhalb der Chemie befasst. Aber das mache ich freiwillig, denn nur zuzuschauen und nichts tun zu können, ist für mich die größere Belastung.

In ihrem Forschungsgebiet geht es Ihnen um Qualitätssicherung und -beurteilung von Lebensmitteln. Woran forschen Sie da genau?

Mein Spezialgebiet ist die Lebensmittelverpackung und da beschäftigen wir uns sehr viel mit Migration von Additiven aus Kunststoffen in Lebensmittel. Migrationsvorgänge in Lebensmitteln finden permanent statt. Prinzipiell wird die Qualität eines Produktes durch Migration verändert, sei es durch Diffusion nach außen (z.B. Aromastoffe) oder nach innen (z. B. Schadstoffe aus Verpackungsmaterialien).

Momentan untersuchen wir die Einflüsse der Lebensmittelstruktur auf die Migration aus Verpackungsmaterial. Verschiedene physikalisch-chemische Eigenschaften des Lebensmittels beeinflussen die Migration: Aggregatszustand, Temperatur, pH, Zusammensetzung und Art der Phasen (Anteile von Fett, Protein, Ethanol im Lebensmittel), Viskosität, Dichte, etc. Auch die (Mikro)Struktur der Lebensmittel, also der räumliche Aufbau, dürfte maßgeblich daran beteiligt sein, welche Stoffe wie schnell in das Lebensmittel und im Lebensmittel migrieren. Diese Zusammenhänge zu erhellen und beschreiben zu können, ist ein Ziel unserer Arbeit.

Es ist zu erwarten, dass die gewonnenen Erkenntnisse auch für weitere lebensmitteltechnologisch relevante Bereiche, wie z.B. der Migration von Mykotoxinen (Schimmelpilzgifte) in prozessierten Nahrungsmitteln, von Bedeutung sein werden. Für die Lebensmittelherstellung spielen die Mikrostruktur und deren Veränderungen ebenfalls eine bedeutende Rolle, da damit auch gravierende Änderungen bei Viskosität, Rheologie (Lehre von den Fließeigenschaften von Stoffen) oder thermischem Verhalten einhergehen können.

Gibt es dazu bereits Ergebnisse?

Wir haben festgestellt, dass bei festen Lebensmitteln mit großen Oberflächen flüchtige bzw. teilweise flüchtige Substanzen wie z.B. Phthalate oder Benzophenon adsorbiert waren. Im Rahmen des damaligen Projektes war leider dafür nicht mehr Zeit, weitere Untersuchungen durchzuführen. Da sind wir jetzt dabei diese Dinge genauer zu untersuchen.

In diesem Zusammenhang interessiert mich ein weiteres Forschungsprojekt von Ihnen, wo es um aktive Lebensmittelverpackungen geht. Was kann man sich darunter vorstellen?

Das sind teilweise Additive zu Verpackungsmaterialien oder in der Verpackung integrierte Substanzen, die einen positiven Einfluss auf das Lebensmittel haben. Zum Beispiel ein fettes Lebensmittel, das durch den Sauerstoff in der Verpackung oxidiert wird; hier möchte man den Sauerstoff in der Verpackung reduzieren bzw. entfernen, und da gibt es Substanzen, die den Sauerstoff binden bzw. durch chemische Vorgänge verbrauchen.

Der Einsatzbereich solcher Verpackungen ist dann sicher auch im Bereich des Convenience Food zu finden?

Ja. Aber auch die antimikrobielle Wirkung von Verpackungen ist ein Thema. Da werden antimikrobielle Substanzen, wie z.B. Nisin, an der Oberfläche des Verpackungsmaterials gebunden. Nisin ist ein natürliches Antibiotikum, das von Milchsäurebakterien gebildet wird, und für den Einsatz für Verpackungen bei bestimmten Lebensmitteln, wie z.B. Käse, auch erlaubt wäre.

Wäre es mit einer aktiven Verpackung möglich eine schlechte Qualität von Lebensmittel zu kaschieren - wie jetzt die Listerien beim Käse?

Pathogene Keime dürfen in Lebensmitteln überhaupt nicht vorkommen. Bei Versuchen arbeitet man natürlich mit solchen Keimen, um die Wirksamkeit aktiver Verpackungen darzustellen. Ein Anwendungsgebiet einer solchen Verpackung wäre beim Fleisch, wo die Milchsäurebakterien in ihrem Wachstum gehemmt werden und damit das Fleisch in der Verpackung länger haltbar wird. Allerdings ist eine solche Verpackung sehr teuer und wird derzeit in Europa kaum eingesetzt.

Stichwort: Plastic Planet - Sind wir den Gefahren der Kunststoffe tatsächlich so ausgeliefert wie im Film dargestellt?

Lebensmittelverpackungen werden in Europa sehr gut gemäß ziemlich strengen gesetzlichen Vorgaben kontrolliert. Das Problem liegt meiner Meinung nach bei dieser Fülle an Substanzen, die in ganz geringen Mengen in Lebensmitteln vorkommen können, wie zum Beispiel die Phthalate, die wir heute überall finden. Wie alle diese unterschiedlichen Substanzen miteinander interagieren bzw. ob sie im Organismus synergistische Wirkungen entfalten, wissen wir nicht. Und dann kommen noch die Abbauprodukte der Kunststoffadditive hinzu, die zurzeit nur in Einzelfällen auf ihre Toxizität untersucht werden, und die wie bei manchen Weichmachern auch schon in geringen Mengen eine physiologische Wirkung entfalten könnten. Immerhin müssen jetzt vor der Inverkehrbringung einer neuen chemischen Substanz umfangreiche toxikologische Untersuchungen durchgeführt werden.

Ich bin der Meinung, dass solange eine Substanz nicht als toxikologisch unbedenklich eingestuft wird, sie auch nicht eingesetzt werden sollte. Zurzeit ist es aber so, dass manche Stoffe bis zu einem gewissen Grenzwerte eingesetzt werden dürfen, obwohl man sich über die Richtigkeit dieses Grenzwerts noch nicht ganz im Klaren ist. Dabei wäre es ja meist durchaus möglich Lebensmittelverpackungen oder Kinderartikel ohne diese Substanzen wie z.B. Bisphenol A herzustellen. Im Übrigen geht es in Österreich offenbar in die Richtung, Bisphenol A zu verbieten.

Was ist das Faszinierende an ihrem Beruf?

Dass wir bis zu einem gewissen Grad die Forschungsthemen selbst wählen können. Seit meiner Habilitation bin ich forschungsmäßig nicht mehr weisungsgebunden.

Warum haben Sie sich für eine Karriere an der Universität entschieden?

Ich habe mich nicht wirklich dafür entschieden, sie wurde mir angeboten. Ich hatte das ursprünglich gar nicht vor. Nach dem Studium wollte ich eigentlich in die Industrie. Mein damaliger Chef, Prof. Washüttl, hat mir vorgeschlagen, bei ihm zu dissertieren, und da mich die Forschung schon damals interessiert hat, habe ich angenommen. Es war also fast zufällig, dass ich an der Universität geblieben bin.

Wie Sie studiert haben, waren die Frauen wahrscheinlich noch in der Minderheit?

Wir waren damals ungefähr sechs Frauen unter ca. hundert Studierenden. Aber für mich war das damals nichts Besonderes, obwohl ich vorher in eine reine Mädchenschule gegangen bin.

Und für die Professoren war das auch normal?

Ich kann mich noch an einen Physikprofessor erinnern, der von allen gefürchtet war, und speziell den Frauen zu verstehen gab, dass sie an einer Universität fehl am Platz sind.

Viele Menschen stellen fest, dass es sehr schwierig ist, Privatleben und Karriere zu vereinbaren. Wie erleben Sie das?

Ich habe keine Kinder, bewundere aber die Frauen, die eine wissenschaftliche Karriere mit Kindern schaffen, das muss ich ganz ehrlich sagen. Deshalb muss man für Frauen (aber auch für Männer) mit Betreuungspflichten ein günstiges Arbeitsumfeld an der Universität schaffen, wie Kinderbetreuung und flexible Arbeitszeiten. Belastungen sollten von Arbeitgeberseite möglichst reduziert werden, denn die Frauen, die forschen, lehren und die Familie betreuen, haben einen enormen Stress.

Sie können das in ihrem Bereich umsetzen?

Auf jeden Fall. Aber ich weiß von Frauen, die unter einem großem Druck stehen, weil sie von ihren Vorgesetzten keine Unterstützung erhalten. Frauen setzen sich in solchen Situationen noch zusätzlich selbst unter Druck, weil sie den Ansprüchen genügen wollen. Und ich kenne Fälle, wo es dann zu massiven Burn-out Syndromen kommt.

Als stellvertretende Vorsitzende des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen setzen Sie sich sehr für Frauen an der TU ein. Wo sollte effektive Frauenförderung ansetzen?

Bei Bewerbungsverfahren sollte strikt vorgesehen sein, dass Lücken in den Lebensläufen von Frauen mit Kindern berücksichtigt werden. Auch gibt es zunehmenden politischen Druck, die Präsenz von Frauen vor allem in Leitungsfunktionen zu erhöhen. Eine dieser Maßnahmen ist die 40%-Quote in universitären Gremien, die dazu führt, dass bewusst wird, wie wenige Frauen es in manchen Fachbereichen gibt. Früher war ich auch gegen eine Quotenregelung, aber andere Maßnahmen haben leider nicht den erwünschten Erfolg gebracht. Z.B. wurden noch zu Beginn meiner Tätigkeit Bewerbungen von Frauen in Berufungskommissionen nicht wirklich ernst genommen, da man ihnen a priori einfach ihre Führungskompetenz abgesprochen hat.

Was würden Sie jungen Frauen empfehlen, die einen ähnlichen Karriereweg einschlagen wollen?

Ich kann Studentinnen nur empfehlen, immer dran zu bleiben und sich z.B. für Auslandsstipendien oder Förderungen zu bewerben. Gegen Ende des Studiums ist es wichtig, Kontakte herzustellen in dem Bereich, in dem sie später einmal arbeiten wollen. Kontakt sollten sie z.B. auch zum Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen und zur Koordinationsstelle für Frauenförderung suchen, mit den Frauen im Betriebsrat und mit den Vorgesetzten reden, um herauszufinden, ob eine wissenschaftliche Karriere wirklich das Ziel sein soll.

Wenn ja müssen die Frauen ihren Vorgesetzten das auch klar kommunizieren, dass sie eine wissenschaftliche Karriere anstreben, denn Frauen wird oft auch der Wille zur Karriere abgesprochen. In vielen Köpfen ist das Bild der Frau, die daheim ist und die Kinder versorgt, einfach noch drinnen. Auch ich musste meinem Professor damals nachdrücklich klar machen, dass für mich die wissenschaftliche Karriere nicht nur Hobby ist. Wenn man weiß, was man will, muss man dafür kämpfen (das gilt zwar auch für Männer aber in weit größerem Ausmaß für Frauen vor allem im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich).

Vielen Dank für das Interview!

Das Interview führte Nicole Kajtna.

Ingrid Steiner
Ao.Univ.Prof.in DIin Dr.in Ingrid Steiner

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Letzte Aktualisierung: 05.05.2023