Expertin des Monats
Jan. 2011
Dr.in MMag.a Sylvia Kirchengast

Für den Monat Jänner ist die Wahl auf Univ.-Prof.in, Mag.a Mag.a Dr.in Sylvia Kirchengast gefallen.

Ailvia Kirchengast, geboren 1965, habilitierte für das Fach Anthropologie/Humanbiologie und beendete ebenfalls das Studium der Ethnologie und Psychologie an der Universität Wien. Bereits seit 1999 ist sie a.o.Universitätsprofessorin  für Anthropologie an der Universität Wien und seit 2004 lehrt die Wienerin auch an der Universität Innsbruck.

Aktuelle Arbeitsgebiete sind im Bereich der bioanthropologischen Genderforschung und Human life History zu finden, im Speziellen Analyse der Einflussfaktoren vonWachstum und Entwicklung, Body composition, Reproduktion sowie Seneszenzprozessenunter dem Genderaspekt. Vor allem der Bedeutung von Modernisierungserscheinungen und Akkulturationsprozessen auf die Biologie des Menschen wird hier eingegangen. Dies bedeutet: z.B. welche Auswirkungen hat Migration, aber auch Veränderungen in der Nahrungszusammensetzung, der Subsistenz, der Arbeitsbelastung auf Gesundheit und Krankheit, auf die Entwicklung von Adipositas und die Menopause. Hier wird vor allem aufdie Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen sowie jene von Frauen eingegangen.

Interview

Sie sind Professorin für Anthropologie an der Universität Wien. Was sind Ihre Hauptaufgaben am Institut?

Meine Tätigkeiten sollten sich gleichmäßig aufteilen zwischen Lehre, Forschung und Verwaltungsaufgaben. Bei mir nimmt die Lehrtätigkeit aber mehr Zeit in Anspruch, weil ich auch viele DiplomandInnen, DissertantInnen und BachelorstudentInnen betreue.

Sie haben Ihren Forschungsschwerpunkt in der Reproduktionsbiologie und Sozialbiologie des Menschen. Woran forschen Sie im Moment genau?

Mein Arbeitsgebiet ist die Reproduktionsökologie. Ich beschäftige mich mit dem Reproduktionszyklus der Frau von Beginn bis zur Menopause. Und dann kommt noch die gesamte Seneszensforschung, also die Altersforschung hinzu.

Wie kam es zu diesem speziellen Forschungsschwerpunkt auf die Frauen?

Meine Doktorarbeit zu den anthropologischen Aspekten des Klimakteriums hat mir bereits meine Forschungsrichtung vorgegeben. Dann habe ich einen Zusammenhang zwischen körperlichen Merkmalen und dem Hormonstatus bei Frauen gesehen und aus anthropologischer Sicht beschrieben. Dieses Thema hat außer mir nur ein Kollege in Deutschland bearbeitet und er hat nur Männer in seine Forschung einbezogen, daher wollte ich die Frauen untersuchen. Frauen wurden zuvor nicht untersucht, weil bei ihnen die hormonelle Situation sehr variabel ist, zum Beispiel durch den Zyklus, hormonelle Kontrazeptiva oder Schwangerschaften.

In einem Ihrer aktuellen Forschungsprojekte untersuchen sie die Einflussfaktoren der Sarkopenie (altersbedingter Abbau der Muskelmasse) im  Prozess des älter Werdens. Worum geht es in diesem Projekt?

Untersucht wurden die biologischen und externen Einflüsse auf die "body composition", also die Analyse der menschlichen Körperzusammensetzung. So haben Männer beispielsweise in jungen Jahren mehr Muskelmasse als Frauen bei gleichem Körpergewicht, im Alter gleichen sich Männer und Frauen einander an, das heißt Männer bauen verstärkt Muskelmasse ab. Ich habe mir den Zusammenhang mit der Lebensqualität im fortgeschrittenen Alter angesehen und die ProbandInnen unter anderem gefragt was sie in ihrer Lebensqualität einschränkt. Mangelnde Mobilität und das Gefühl sich schlecht bewegen zu können wurden sehr häufig genannt. Als Ursache dafür ist eben der schleichende Muskelabbau mitverantwortlich, der eine Negativspirale in Bewegung setzt, die die Menschen immer unsicherer und immobiler werden lässt.

Stellt der Abbau der Muskelmasse ein größeres Problem dar als der Aufbau von Körperfett?

Das ,,Fett" ist unserer Gesellschaft ein sehr dominantes Thema und wird von den Menschen eindeutig negativ beurteilt und mit gesundheitlichen Problemen assoziiert. Hingegen beim  Abbau der Muskelmasse gibt es noch kein ausgeprägtes Problembewusstsein, weil dieser im Gegensatz zum Körperfett auch nicht bemerkt wird, man verliert ja kein Gewicht.

Wie kann man dem Abbau der Muskelmasse entgegenwirken?

Im Grunde wäre Bewegung immer ideal, denn dafür sind wir von der Evolution her gesehen auch gebaut.

Ihre Forschungsergebnisse sprechen  fundamentale Probleme unserer Gesellschaft an. Finden Ihre Ergebnisse auch Eingang zur breiten Öffentlichkeit?

Manchmal ist es frustrierend, wenn man Daten auf den Tisch legen kann, wie z.B. bei der Zunahme an übergewichtigen Kindern, und es hat keinen Effekt, es ändert sich nichts. Im Gegenteil in der Schule werden die Turnstunden gekürzt. Wir können nur aufzeigen und sind darauf angewiesen, dass andere diese Dinge dann umsetzen.

Was ist Ihr persönliches Highlight in Ihrer Forscherinnenkarriere?

Mit meinem Habilitationsthema habe ich sehr früh sehr gute Ergebnisse gehabt. Auf dieses Thema bin ich nachher sehr oft angesprochen und zitiert worden und das hat mir persönlich sehr weitergeholfen. Ich habe gleich international publizieren können und bin als Gutachterin in diesem Bereich noch immer tätig.

Warum entschieden Sie sich nach dem Studium für die Forschung?

Ich war im ersten Jahrgang, wo man das Studium nicht mehr automatisch mit einem ,,Doktor phil." abschloss, sondern nach dem Magister das Doktorat inskribieren musste. Für mich war damals klar, dass ich noch den Doktor machen möchte um nachher selbst wissenschaftlich tätig zu sein. Obwohl mir damals nicht bewusst war, was da auf mich zukommt. Eine Magisterarbeit ist mit einer Doktorarbeit nicht zu vergleichen.

Unterstützten Ihre Eltern Sie in Ihrer Studienwahl?

Ja, sie haben mich mannigfaltig unterstützt aber bei der Studienwahl nie beeinflusst. Das halte ich für sehr wichtig und das werde ich bei meiner Tochter auch nicht machen. Meine Eltern waren immer dafür, dass ich das mache, was mich interessiert.

Sie haben eine Tochter. Wie vereinbaren Sie Privatleben und Karriere?

Als alleinerziehende Mutter ist es nicht immer einfach, aber ich habe ein gutes familiäres Umfeld. Wie meine Tochter ganz klein war, war sie viel bei meinen Eltern. Meine Mutter hatte immer größtes Verständnis für meine Situation, sie war selbst immer berufstätig. Ich bin von meiner Großmutter aufgezogen worden.

Neben Ihrer ForscherInnentätigkeit üben Sie eine Lehrtätigkeit in Wien und Innsbruck aus und betreuen zahlreiche Diplomarbeiten und Dissertationen. Was möchten Sie den angehenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vermitteln?

Mir ist wichtig, dass sich die StudentInnen das Thema ihrer Arbeit selbst aussuchen. Ich halte nichts von Themenlisten, die bei mir aushängen. Die StudentInnen sollen wissen, mit welchen Themen ich mich beschäftige und mit ihren Ideen kommen, dann betreue ich sie sehr gerne. Wenn man nicht sehr früh anfängt selbständig zu arbeiten, wird man sich als WissenschaftlerIn schwer tun. Und dann ermutige ich die StudentInnen ihren Weg zu gehen und sich von Aussagen wie - ,,Was wirst du nachher damit machen?" nicht beirren zu lassen. Man ist nur gut in den Dingen, die einen interessieren und darauf kommt es an. Außerdem vermittle ich meinen StudentInnen, dass der wissenschaftliche Beruf keine Nebenbeschäftigung ist. Man muss sich ständig weiterbilden um auf dem Laufenden zu bleiben. Mit jeder Publikation, die ich einreiche, werde ich einer Prüfung unterzogen und mit Kritik konfrontiert. Als WissenschaftlerIn steht man viel öfter auf einem Prüfstand als in anderen Berufen.

Sie haben uns geschrieben, dass man gerade Mädchen frühzeitig fördern sollte, um ihnen Naturwissenschaften ,,schmackhaft" zu machen. Wie sollte diese Förderung aussehen?

Auf keinen Fall sollte man Mädchen schon früh daran hindern ihr naturwissenschaftliches Interesse zu entwickeln und dann natürlich auch schon in der Volksschule gezielt zu fördern. Man sollte Kindern unabhängig vom Geschlecht Berufsbilder mittels Role Models vorstellen und ihnen zum Beispiel die Möglichkeit geben in ein Mikroskop zu schauen. Und dann halte ich die frühe Trennung in naturwissenschaftlichen und sprachlichen Zweig im Gymnasium für fatal. Den Mädchen wird oft nahegelegt ihre naturwissenschaftlichen Interessen zugunsten ihrer sprachlichen Begabung zu opfern. Auf Anraten meiner Volksschullehrerin war ich im naturwissenschaftlichen Zweig, obwohl ich gerne noch eine zweite Fremdsprache gelernt hätte. Bei der Kinderuni fällt mir auf, dass in den naturwissenschaftlichen Fächern mehr Mädchen als Burschen teilnehmen. Daher bin ich zuversichtlich, dass sich Mädchen auch in den Naturwissenschaften etablieren werden.

Gender Aspekte in der Lehre: Wie nehmen die StudentInnen Ihre Thesen auf?

Es ist ein Thema, das polarisiert. Das geht von ganz großem Interesse bis zur völligen Ablehnung. Inhaltlich zeige ich in diesen Vorlesungen, dass es schon seit der Antike Frauen in den Naturwissenschaften gegeben hat, nur sind sie einem nicht bekannt. Und ich spanne den Bogen von den Frauen als Forschungsobjekt hin zu forschenden Frauen, die sich auch mit ihren eigenen Belangen befassen. Die Bestätigung, dass es Sinn macht solche Forscherinnen vorzustellen, kam einmal von einer Studentin, die meinte, dass ihr diese Frauen Mut gemacht haben ihre Richtung fortzusetzen.

Glauben Sie ist Frauenförderung wichtig?

Ich bin jetzt seit drei Jahren in der Gleichbehandlungskommission der Universität Wien und setze mich sehr dafür ein, weil dadurch Möglichkeiten eröffnet werden. Für Frauen ist es schwieriger sich im universitären Bereich zu etablieren, daher ist es wichtig ihnen Mut zu machen sich zu bewerben. Denn obwohl es in den Naturwissenschaften mehr Studentinnen gibt, findet man sie nicht unter den Lehrenden. Die Fakultät für Physik zum Beispiel hat einen männlichen Gleichbehandlungsbeauftragten, weil es anscheinend keine Frau gibt, die diese Funktion übernehmen könnte.

Sie haben viele Mitgliedschaften und sind in zahlreichen Scientific Communities tätig.  Was bringen Ihnen diese Tätigkeiten?

Diese sind sehr gut um sich zu vernetzen und unter den KollegInnen auszutauschen auch um neue Kooperationen einzugehen. Diese Gesellschaften haben sehr oft die Aufgabe PR  zu betreiben und tragen Forschungsergebnisse nach außen. Wir sind heute nicht mehr Lage alleine zu arbeiten.

Was sind ihre beruflichen Ziele?

Da muss man realistisch sein. Ich werde nicht mehr einen eigenen Lehrstuhl bekommen. Aber ich möchte möglichst lange arbeiten und noch viele Projekte umsetzen. Ich möchte auch noch wie in der Vergangenheit den Fokus in meinem Arbeitsbereich verändern. Und dann habe ich noch den Wunsch, dass sich meine SchülerInnen einmal selbst als WissenschaftlerInnen etablieren.

Vielen Dank für das Interview!

Das Interview führte Nicole Kajtna.