Expertin des Monats
Aug. 2011
DIin Dr.in techn. Gerhild Schinagl

Im August ist die Wahl auf DIin  Drin Gerhild Schinagl gefallen.

Nach dem Studium des Maschinenbaus, arbeitete Gerhild Schinagl als Studienassistentin, Forschungs- und Universitätsassistentin am Institut für Verbrennungskraftmaschinen und Thermodynamik an der der TU Graz. Darauf folgte eine Karriere als Forschungsingenieurin am Kompetenzzentrum umweltfreundliche Stationärmotoren LEC und eine Dissertation zur Schadstoffreduktion in Großgasmotoren. Im Jahr 2010 wechselte sie zu Research Center Pharmaceutical Engineering RCPE.

Seit Kurzem ist die gebürtige SteirerinEntwicklungsingenieurin bei der Siemens AG Österreich in Graz. Dort beschäftigt sie sich damit, Bremssysteme für Züge ressourceneffizienter zu gestalten.

Interview

Frau Schinagl, Sie sind Enwicklungsingenieurin bei der Siemens AG Östrreich in Graz. Wie genau sieht dort Ihr Tätigkeitsbereich aus?

Ich arbeite in einer Gruppe, die Bremsen für Schienenfahrzeuge auslegt. Es betrifft den gesamten Bereich der Schienenfahrzeuge, von der Straßenbahn über die U-Bahnen, bis hin zu den Hochgeschwindigkeitszügen. Dabei gibt es ganz unterschiedliche Anforderungen an die Bremsen. Die Einen bremsen vielleicht aus 20 km/h und zwar jede Minute einmal, Hochgeschwindigkeitszüge bremsen aus rund 300 bis 350 km/h, und das möglicherweise nur einmal in der Stunde oder einmal in zwei  bis drei Stunden. Die Bremsen sind ein hochsicherheitsrelevanter Bauteil, das heißt sie müssen wirklich immer funktionieren. Auch dann, wenn ein Teil ausfällt, muss der Zug trotzdem noch rechtzeitig zum Stehen kommen. Andererseits müssen sie lange halten, relativ geringe Kosten im Betrieb verursachen und dürfen nicht laut sein. Die Akzeptanz bei der Bevölkerung hängt auch davon ab, ob die Bremsen quietschen oder nicht. Dies sind ganz unterschiedliche Anforderungen, die man nicht mit einem Material erfüllen kann, oder mit einer Konfiguration. Es gibt auch unterschiedliche technische Anforderungen: Niederflurstraßenbahnen haben beispielsweise sehr wenig oder nur einen spezifisch begrenzten Platz, bei Hochgeschwindigkeitszügen ist dies ein untergeordnetes Thema. Für jedes Schienenfahrzeugkonzept muss die ideale Bremse gefunden werden.

Wir sind auf der Suche nach dieser idealen Bremse, geben vor, welche Anforderungen daran gestellt werden, also was sie ,,können" muss und wie sie auszusehen hat, und wie hoch die Kosten sein dürfen, die diese in der Laufzeit verursacht.  Dies schreiben wir dann an Lieferanten. Diese bieten dann normalerweise nicht genau das an, was wir wollen, sondern man muss das Produkt dann gemeinsam entwickeln, damit wir genau die Bremse bekommen, die wir haben wollen.

Ich arbeite darüber hinaus in der Bremsmaterial-Forschung. Wir untersuchen, welche Beanspruchungen auf Bremsscheiben und Bremsbeläge wirken, welche Materialien dafür besonders geeignet sind und wie weit wir diese Materialien beanspruchen dürfen.

Was ist für Sie das Interessante an Ihrem Job?

Ich finde es extrem spannend, einen Teil auszulegen, der so wichtig ist und von so vielen Menschen genutzt wird. Infrastrukturprojekte sind immer sehr groß und plakativ, davon haben immer viele Leute etwas.  Ich genieße es,  sagen zu können ,,ich habe ein bisschen dazu beigetragen, dass sie funktionieren", oder auch, dass sie umweltfreundlicher sind, weil beispielsweise die Bremsbeläge seltener gewechselt werden müssen.

Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang die Nachhaltigkeit?

Umweltfreundlichkeit ist ein Thema, bei dem wir uns in der Forschung und Entwicklung bewegen. Natürlich könnten wir die gleichen Bremsen wie vor 20 oder 50 Jahren verwenden, aber die Bremsen sollen kleiner und leichter werden, weil der Zug selbst auch immer leichter werden soll. Außerdem sollen sie weniger Energie verbrauchen, in dem Sinne, wie es beim Auto im Kommen ist. Dabei soll die Bremsenergie rückgewonnen, mit einem Elektromotor/-generator zurück in die Batterien gespeist werden. Dies wird beim Zug schon lange angewendet. Ein  Zug fährt elektrisch, und wenn er bremst kann er die Bremsenergie ins Netz zurückspeisen. Wenn man viel elektrisch bremsen kann kann man diese Energie dann in anderen Zügen zum Antreiben nutzen, und man muss nicht so viel in die Bremsscheiben stecken. Damit halten dann aber auch Bremsscheiben und die Bremsbeläge viel länger.

Sie waren zuerst an der TU Graz und haben dort Ihr Doktorat gemacht. Warum hat es Sie dann in die Wirtschaft verschlagen?

Wie ich vorhin schon kurz angesprochen habe, liegt für mich der Reiz in der Arbeit zum Teil darin, dass man später ein fertiges Produkt sieht. Ich habe sehr lange Forschung betrieben, durchaus auch industrienahe Forschung. Letztlich war es aber doch immer so weit weg von der Umsetzbarkeit, dass man es nie in einem konkreten Produkt sehen hat können. Zu Beginn meiner Tätigkeit habe ich Abgasemissionen an PKWs gemessen, was insofern befriedigend war, dass damit auch jeder zu tun hat, und man kann sagen ,,dieses Auto ist so viel sauberer als jenes Auto" . Es war also in irgendeiner Form noch ein Produkt.

Später dann habe ich zwar schon anwendungsorientierte Forschung aber eben doch noch Forschung betrieben, wo es um Projekte gegangen ist, bei welchen es um Wissenszuwachs gegangen ist. Teilweise daran frustrierend war, dass ein negatives Ergebnis dabei herausgekommen ist. Das heißt, es konnte gar nicht nicht umgesetzt werden. Teilweise waren es auch Forschungen, die zumindest mir persönlich zu abstrakt waren. Man kann daraus vielleicht Wissen für Entwicklungen in fünf oder zehn Jahren herausziehen, aber man kann nicht sagen ,,ich habe jetzt konkret hier die Welt verbessert".

Wie sind Sie auf das Studium" Maschinenbau" gekommen?

Ich komme aus einer Maschinenbauerfamilie, mein Vater hat schon einschlägig gearbeitet, meine ältere Schwester hat ein paar Jahre vor mir mit dem Studium angefangen. Sie wollte ursprünglich Physik studieren, ist dann aber auch in die Richtung Maschinenbau gegangen, was mich auch zu dieser Idee hingeführt hat. Sie arbeitet heute auch bei Siemens, hat mich also sozusagen dort auch ,,hingelockt". Mein jüngster Bruder hat ebenfalls Maschinenbau studiert.

Der Frauenanteil im Studium ,,Maschinenbau" ist nach wie vor sehr gering. Es gibt unterschiedliche Initiativen, die Mädchen und Frauen technische Studien näher bringen möchten. Haben Sie dazu noch weitere Ideen?

Ich muss leider gestehen, dass ich diesbezüglich ein bisschen frustriert bin. Es hat natürlich in der langen Zeit, in der ich im Bereich Maschinenbau tätig  bin, immer wieder ,,Highlights" gegeben und ich habe mich auch für das Thema engagiert. Diejenigen, die zu Maschinenbau gekommen sind, haben sich aber nicht durch die Initiative Frauen in die Technik-FIT zu Maschinenbau entschlossen sondern hätten das ohnehin gemacht. Es ist mir nie gelungen, eine Frau wirklich dazu zu motivieren. Wobei ich dazu sagen muss, dass dies vermutlich mehr Zeit braucht. 
Es gab damals Veranstaltungen, bei welchen sich Schülerinnen zu einem Bereich anmelden konnten, mit dem sie sich einen Vormittag lang beschäftigten. Oft gab es nur wenige Anmeldungen, und wenn es dann doch mehrere gab, war dann vielleicht eine dabei, die tatsächlich daran teilnehmen wollte, die dann ihre völlig desinteressierten Freundinnen mitnahm. Die, die sich dafür schon davor entschlossen hatten, sind dabei geblieben, aber die, die sich schon davor nicht getraut haben, über Maschinenbau nachzudenken, haben dies auch nicht geändert. Manchmal ist es uns gelungen, vom Studienfach Technische Chemie ein paar für Verfahrenstechnik abzuwerben. Dies trauen sich Frauen öfter zu, da es eher nach Chemie klingt, letztlich lernen sie aber sehr viel über Maschinenbau. Maschinenbau klingt wohl einfach ganz furchtbar.

Sie sind Mutter von zwei Kindern, einem Mädchen und einem Buben. Versuchen Sie, Ihre Kinder gleichermaßen  für die Technik zu begeistern?

Ja, sie sind Zwillinge und 9 Jahre alt. Mein Mann, der auch Techniker ist, und ich haben versucht, ihr naturwissenschaftliches Interesse zu wecken. Bei meinem Sohn kann ich schon ein sehr eindeutiges Interesse für die Technik beobachten, und kann mir gar nicht vorstellen, dass er irgendwann einmal einen anderen Weg einschlägt. Meine Tochter  ist  eher für den ,,großen Überblick zuständig", und meint auch, sie will einmal dasselbe arbeiten wie ich. Sie interessiert sich aber nicht für die technischen Details, was bei mir aber seinerzeit auch ähnlich war. Ich denke, dies liegt wirklich an der Persönlichkeit. Dass das jetzt eine Geschlechterrolle ist, die wir vielleicht doch unbewusst gefördert haben, glaube ich eigentlich nicht. Einflüsse kommen aber natürlich auch von außen, nicht nur von den Eltern.

Sie haben bereits 1995 den ,,Honda - Shell-Preis" gewonnen. Was ist das genau für eine Auszeichnung?

Dieser Preis wurde alle zwei  Jahre von Honda und Shell verliehen, es gibt ihn allerdings heute nicht mehr. Dieser war zur einschlägigen Forschungen in der Mobilität und Abgastechnik, und ich habe ihn  damals für meine Diplomarbeit bekommen. Damals untersuchte ich Fehlereinflussfaktoren auf Pkw-Emissionsmessungen. Das war damals - und ist heute weiterhin - ein kritisches Thema, da Emissionsgrenzwerte ca. alle 5 Jahre deutlich gesenkt, die Messverfahren aber seit Jahrzehnten nicht angepasst werden. Heute betragen die Emissionen ein Tausendstel derer, die von Fahrzeugen ohne Katalysator gemessen wurden, die Messung erfolgt aber nach demselben Verfahren wie zu Vor-Katalysator-Zeiten. Damals ergab sich, dass die mögliche Fehlerbandbreite bei Messungen in der Größenordnung der damals geltenden Grenzwerte lag, es daher notwendig war, für zuverlässige Ergebnisse strengere Kriterien anzulegen, als vom Gesetzgeber vorgeschrieben.

Sie sprechen ja einige Sprachen. Haben Sie Spaß am Lernen von Sprachen?

Ja, ich spreche zum Beispiel schwedisch. Ich finde Skandinavien von der gesellschaftlichen Einstellung sehr interessant, nämlich wie sie zum Beispiel mit ihren Frauen und mit ihren Kindern umgehen. Das Thema ,,Chancengleichheit" ist dort schon viel weiter fortgeschritten, als in Mitteleuropa. Es hätte  mich schon zu Studienzeiten sehr gereizt, dort hin zu gehen. Ein Auslandssemester habe ich in Schweden allerdings nie gemacht, sondern war nur auf Urlaub dort. In Norwegen habe ich ein Ferialpraktikum gemacht, in  Frankreich ein Auslandssemester.

Wie wichtig sehen Sie es für den Beruf und die persönliche Entwicklung, ins Ausland zu gehen und verschiedene Sprachen zu beherrschen?

Ich finde, es ist etwas, das alle machen sollten. Man lernt nicht nur die Sprache, man lernt im Auslandssemester, wie woanders unterrichtet wird, aber auch, was gleich ist und was es für Unterschiede in der Kultur gibt. Und selbst einmal für längere Zeit Ausländerin an einem Ort zu sein, ist auch etwas, was man einmal erlebt haben muss.

Wie sieht es nun mit Ihrer Work-Life-Balance aus? Sind die Rahmenbedingungen bei Siemens dafür die Richtigen?

Ja, absolut. Was ich, seit ich Kinder habe, immer gebraucht habe, sind sehr flexible Arbeitszeiten. Essenziell für mich ist die Möglichkeit, einmal einen Tag gar nicht oder nur ein paar Stunden zu arbeiten, wenn es wirklich sein muss, was ich dann an einem anderen Tag hereinhole. Dies bietet Siemens auch. Bisher hat es aber auch bei allen anderen Arbeitgebern sehr viel Verständnis dafür gegeben. 
Sie haben bei Ihren Hobbies auch Sport angegeben. Gibt es einen Lieblingssport?
Am häufigsten und liebsten gehe ich Schi fahren. Relativ wenig komme ich leider zum Segeln. Was ich nicht so gerne aber doch oft mache ist laufen, weil es nicht so zeitintensiv ist. Wenn es gerade möglich ist, mit dem Fahrrad in die Firma zu fahren, tue ich auch das, doch dies ist dann eher Mittel zum Zweck.

Was würden Sie einer jungen Frau raten, die eine technische Ausbildung anstrebt?

Ich würde zur Hartnäckigkeit raten, so waren alle Studentinnen, die ich bis jetzt kennen gelernt habe. Sie waren überzeugt von dem was sie tun wollen, und sich dessen bewusst, dass sie für das, was sie machen wollen, hart arbeiten müssen. Es geht in diesem Beruf nicht so sehr darum, sich ,,mit dem Ellenbogen" durchzukämpfen, sondern darum, Sachen zu Ende zu bringen, hin und wieder ,,reinzubeißen". Dies ist ohnehin angeblich eine ,,weibliche Eigenschaft", die Frauen gerne nachgesagt wird. Bei der Technik geht es wirklich darum, auf ein Ziel hinzuarbeiten, mehr oder weniger stetig.

Vielen Dank für das Interview!

Das Interview führte Beatrix Hausner.