Expertin des Monats
Nov. 2011
DIin Ulrike Kleb

Im November ist die Wahl auf DIin Ulrike Kleb gefallen.

Nach dem Studium der Technischen Mathematik an der Technischen Universität Graz, welches sie mit Auszeichnung abschloss, absolvierte die Kärntnerin eine Qualitätsmanagementausbildung. Bereits seit 1992 arbeitet sie bei Joanneum Research in Graz. Seit 2010 ist Ulrike Kleb stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe ,,Statistische Anwendungen". Die Schwerpunkte ihrer Tätigkeit liegen bei der Anwendung mathematisch-statistischer Methoden und Modelle für Fragestellungen aus unterschiedlichsten Bereichen, wie z.B. (öffentliche) Sicherheit, Wirtschaft, Veterinär- und Humanmedizin sowie Logistik oder Materialforschung.

Interview

Frau Kleb, was machen Sie als stellvertretende Leiterin der ,,Forschungsgruppe Statistische Anwendungen" bei Joanneum Research?

Das ist eine recht vielfältige Tätigkeit: Sie geht vom Recherchieren verschiedenster Themen und dem Schreiben von Projektanträgen, über die statistische Arbeit selbst bis hin zur Projektleitung mit allen damit verbundenen administrativen Tätigkeiten. Dazu kommen noch viele Gespräche: über fachliche Themen und Projektideen mit Kollegen und Kolleginnen, Akquisitionsgespräche mit möglichen Auftraggebern und natürlich Projektbesprechungen mit Kooperationspartnern.

Wie viele Personen arbeiten derzeit in dieser Forschungsgruppe?

Wir sind jetzt 11 Personen.

Wie viele Frauen sind in Ihrem Team?

Bei uns im Team sind sehr viele Frauen. Als wissenschaftliches Personal haben wir sechs Frauen. Allerdings ist eine Kollegin derzeit in Bildungskarenz und eine andere in Elternkarenz. Jedenfalls sind in unserer Forschungsgruppe mehr Frauen als Männer.

Wie erklären Sie sich, dass so viele Frauen in Ihrem Team arbeiten?

Das hat sich mit der Zeit so ergeben. Als ich angefangen habe, war die Situation anders; es gab damals mehr Männer als Frauen im Team. Aber es scheint, dass die angewandte Statistik und Mathematik den naturwissenschaftlich interessierten Frauen liegen und darum auch die Jobs in diesen Bereichen für diese Frauen besonders interessant sind. Außerdem hat es viele Vorteile bei Joanneum Research zu arbeiten.

Ist Joanneum Research ein vorbildlicher Arbeitgeber?

Ja, das kann man wirklich so sagen: Vor allem wenn man eine Familie gründen und / oder Teilzeit arbeiten möchte. Das geht hier problemlos: Man kann sich die Arbeit frei einteilen; es muss nur sichergestellt sein, dass die Aufgaben in den Projekten erfüllt werden. Als Frau mit Familie hat man bei Joanneum Research keine Nachteile. Das ist sicher auch einer der Gründe, warum es als Arbeitgeber für Frauen so attraktiv ist.

Sie haben Technische Mathematik studiert. Wie wird dieses Studium von Frauen angenommen?

Ich habe das Studium vor mehr als 19 Jahren abgeschlossen, und zu dem Zeitpunkt gab es schon ca. 30 % Frauen. Heute sind es wohl schon über 50 % Frauen. Innerhalb des Studiums ,,Technische Mathematik" gibt es aber Unterschiede. Der Studienzweig ,,Operations Research und Statistik" scheint für Frauen besonders interessant, weshalb dort auch mehr Frauen als Männer zu finden sind; im Zweig Computerwissenschaften sind aber nach wie vor mehr Männer anzutreffen.

Frauen scheinen sich für das analytische Denken zu interessieren?

Ja. Auch für mich persönlich ist es interessant, ein Problem von Anfang an zu gehen, es zu analysieren und Lösungen zu entwickeln. Das Ganze läuft so ab, dass die Kunden mit einem Problem zu uns kommen. Dann recherchieren und überlegen wir, wie wir das Problem beschreiben und messbar machen können. Anhand der Daten, die wir aus Messungen oder Erhebungen erhalten, versuchen wir dann in detektivischer Arbeit herauszufinden, was die Ursachen dieses Problems sind. Für uns ist das immer ein spannender Prozess. Viele Leute stellen sich unter Statistik etwas ganz Furchtbares vor: Aber was wir machen ist weder trocken noch langweilig. Tabellen und bildhafte Darstellungen zu erstellen sind zwar auch Teile unsere Arbeit, aber - was spannender ist und häufiger vorkommt - sind statistische Modellierungen. Da geht es wirklich darum, versteckte Zusammenhänge aufzudecken und durch statistische Modelle zu erklären.

Können Sie Beispiele nennen?

Interessant ist der Bereich Sicherheitsforschung, in dem wir Kriminalitätsdaten auswerten. Es geht darum herauszufinden, welche Ursachen für regionale Unterschiede im Kriminalitätsgeschehen verantwortlich sind. Wir haben dafür verschiedene Daten gesammelt, wie z.B. demographische Daten, Beschäftigungs- und Ausbildungsdaten, Daten über Gebäude, Wohnungen und Verkehrsinfrastruktur. Durch statistische Modellierungen versuchen wir nun zu erklären, warum gewisse Delikte in manchen Gegenden häufiger vorkommen als in anderen. Also, welche Faktoren regionale Unterschiede in der Kriminalität beeinflussen.

Arbeiten Sie mit dabei auch mit anderen Fachbereichen zusammen?

Bei komplexen anwendungsorientierten Fragestellungen arbeiten wir meistens mit Partnern aus anderen Bereichen zusammen. Im eben genannten Fall ist zum Beispiel das Bundeskriminalamt unser Projektpartner.

Oft arbeiten wir auch mit Personen aus dem human- oder veterinärmedizinischen Bereich zusammen. Ein aktuelles Beispiel ist Metabolomik, das ist ein neues Gebiet in der Medizin, in dem Stoffwechselvorgänge in Zellen mittels hochdimensionaler Daten beschrieben werden. Mit komplexen Analysemethoden werden diese Daten von unseren Kollegen und Kolleginnen des Joanneum Research Instituts HEALTH erhoben. Unser Team versucht dann, mit statistischen Methoden Muster in den Daten zu erkennen. Aus diesen Mustern lässt sich beispielsweise herauszulesen, welche Personen anfällig für eine bestimmte Krankheit sind. Solche Erkenntnisse ermöglichen zuverlässigere Diagnosen und wirksamere Therapien.

Können Sie auch das Projekt ,,Optimierung von Transportaufgaben im Krankenhausbereich" näher beschreiben?

Das ist ein Projekt im Bereich Informationstechnologie. Dafür erstellen wir mathematische Modelle, mit denen Patiententransporte in Krankenhäusern optimiert werden können, sodass möglichst geringe Wege zurückgelegt werden, das Personal entsprechend besser eingeteilt werden kann und Patienten nicht zu lange warten müssen.

Es scheint Ihnen die Anwendbarkeit Ihrer Arbeit im täglichen Leben wichtig zu sein?

Für mich ist das ein wichtiger Aspekt, weil ich gerne Probleme löse. Mir ist es am liebsten, wenn jemand kommt und sagt, wir haben da ein Problem, könnt ihr es bitte lösen? Etwas zu schaffen, was Sinn macht, in irgendeiner Art nützlich ist, motiviert mich bei der Arbeit.

Der andere Weg ist, selbst Ideen und daraus spannende Projekte zu entwickeln und damit Ausschreibungen zu gewinnen. Das können wir StatistikerInnen aber meist nicht allein; dazu brauchen wir KollegInnen aus anderen Fachgebieten. Da ist es natürlich gut, wenn man viele Leute und deren Fragestellungen kennt und vernetzt ist.

Netzwerke sind also ein wichtiges Element für Ihre erfolgreiche Arbeit?

Ja. Allerdings glaube ich nicht, dass es wichtig ist, überall oberflächlich präsent zu sein. Viel wichtiger ist es, einige Fixpunkte zu haben, mit denen man sich intensiv beschäftigt. Meiner Meinung nach kommt man am besten weiter, wenn man Kompetenz zeigt und die Partner merken, was die Zusammenarbeit mit uns bringt. Ich glaube, dass wir das in einigen Bereichen sehr gut geschafft haben. Aber es ist natürlich ein ständiges Bemühen, weil sich die Themen ändern und sich neue Fachgebiete auftun. Die Datenflut wird ja in den unterschiedlichsten Bereichen immer größer. Man muss schauen, dass man am Laufenden bleibt und sich auch entsprechende Partner sucht.

Sie sprechen ein Thema, das im Moment aktuell sehr ist: Daten und deren Schutz. Wie stehen Sie dazu?

Das ist ein schwieriges Feld. Man hört davon, dass Menschen plötzlich auf irgendwelchen Terrorlisten stehen, weil sie irgendwann mal etwas Falsches eingekauft haben. Das ist natürlich schlecht. Lästig finde ich persönlich, dass man Unmengen an Werbepost bekommt, weil Adressen einfach weitergegeben werden.
Allerdings finde ich Projekte wie ELGA, die elektronische Gesundheitsakte, sehr sinnvoll. So ein Projekt kann eine Verbesserung bringen, wenn es sorgfältig gemacht wird und die Datenbank nicht in falsche Hände kommt. In den Händen von Ärzten und dem Gesundheitspersonal wären diese Daten aber gut aufgehoben.
Allerdings mache ich mir Gedanken über soziale Netzwerke wie Facebook. Mir ist zwar klar, dass solche Netzwerke für Jugendliche wichtig sind, aber ich hätte mehr Angst um die Informationen, die ich auf Facebook preisgebe, als um meine Gesundheitsdaten in ELGA.

Welche drei Eigenschaften würden Sie einer Frau in einem technischen Studium wünschen?

Neugier, Ausdauer und Querdenken. 
Die Fähigkeit über den eigenen Tellerrand zu schauen, das kreative Querdenken, ist sehr wichtig. Das ist eine Eigenschaft, die besonders für uns Statistikerinnen notwendig ist, weil wir mit unseren Methoden meist praktische Probleme lösen wollen und uns dafür in andere Fachbereiche hineindenken müssen. Insgesamt glaube ich, dass sich Frauen mit diesem Querdenken leichter tun als manche Männer.

Sie leben in einer Partnerschaft mit einem Sohn. Wie schaffen Sie es, Berufsarbeit und Familie zu vereinbaren?

Diese Vereinbarkeit ist mir sehr wichtig. Ich bin derzeit zu 75% beschäftigt, da ich neben dem Beruf noch für andere Dinge Zeit haben möchte: Familie, Haus und Garten  ... und dann für meine Hobbies. Ich könnte einen 100% Job nicht mit meiner persönlichen Zufriedenheit vereinbaren. Ich habe das zwar eine Zeitlang versucht, aber dann fast keine Luft zum Atmen mehr gehabt.

Könnte man sagen, Frauen sollen sich selbst nicht überfordern, nicht immer und überall perfekt sein wollen?

Ja, denn das bringt nichts, wenn es keinen Spaß mehr macht. Man muss nicht bis spät am Abend im Büro sitzen und permanent beschäftigt sein. Ich denke, Frauen bilden sich oft selbst ein, dass dieser Ansatz von ihnen erwartet wird und deshalb notwendig ist. 
Ich bin überzeugt, wenn man mit Herzblut und Einsatz an die Dinge herangeht, kann man auch mit weniger ,,Arbeitszeit" erfolgreich sein.

Danke für das Gespräch!

Das Interview führte Mag.a Jasmine Bachmann, ÖGUT.