Expertin des Monats
Apr. 2020
Dr.in Birgit Weihs-Dopfer

Die Situation der Frauen hat sich in den letzten 50 Jahren stark gewandelt. Brauchten Frauen in den 60er-Jahren noch die Erlaubnis des Ehemannes, um arbeiten zu dürfen, ist ihnen heute der Zugang zu allen Berufen und Studien offen. Während ich 1987 noch eine von insgesamt nur drei Physikstudentinnen in meinem gesamten Jahrgang war, liegt heute der Frauenanteil im Physikstudium bei 30%.

Es ist uns jedoch noch nicht gelungen, den Prozentsatz von Frauen in leitenden Positionen wesentlich zu erhöhen. Dies gilt sowohl für die Wissenschaft, als auch für die Privatwirtschaft und die öffentlichen Einrichtungen.

Im Wissenschaftsbereich ist die Situation noch weiter erschwert. Für eine erfolgreiche akademische Karriere ist es – mit Ausnahmen – nötig, ins Ausland zu gehen. Wenige Männer sind bereit, ihre Frauen zu begleiten. Auch ist der Zeitaufwand für eine wissenschaftliche Karriere enorm, Arbeitsstunden gehen bis tief in die Nacht und dies lässt sich mit einer Familie nicht mehr vereinbaren, wenn der Partner nicht aktiv die Versorgungs- und Betreuungsaufgaben zuhause übernimmt.

Wir wissen gleichzeitig aus verschiedensten Studien und Metastudien, dass Unternehmen mit einem ausgeglicheneren Frauenanteil in leitenden Funktionen erfolgreicher wirtschaften.

Wenn nicht aus Gründen der Fairness oder für eine bessere Bindung von Vater und Kind, muss es allein schon aus wirtschaftlichen Interessen daher Ziel sein, dass Frauen dieselben Chancen haben, Karriere zu machen wie Männer.

Das ist nicht leicht zu erreichen. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist aber jedenfalls die Karenzzeit. Solange ein Teil der Bevölkerung über einige Jahre unaufholbar Karriereschritte macht, während der andere Teil zuhause die Kinderbetreuung leistet, ist Chancengleichheit unmöglich. Verschiedene und flexible Arbeitszeitmodelle für Männer und Frauen müssen die Norm werden, genauso wie ein echtes 50:50 Splitting der Karenzzeiten. Der Zugang der Unternehmen zum Thema Karenz würde sich so dramatisch ändern und die Formel Kind = Karriereknick hätte keine Gültigkeit mehr.

Vor knapp 100 Jahren erhielten Frauen in Österreich das allgemeine Wahlrecht – ein Meilenstein in der Geschichte der Gleichberechtigung. Heute ist die Altersarmut immer noch weiblich geprägt. Wir müssen auch weiterhin mutig weitergehen und Schritt für Schritt die Gleichberechtigung von Männern und Frauen vorantreiben, im Kleinen wie im Großen und zum Vorteil aller.

Interview

 

FEMtech Interview Birgit Weihs-Dopfer:

Was steht auf Ihrer Visitenkarte?
Dr.in Birgit Weihs-Dopfer, Clustermanagerin Erneuerbare Energien, Standortagentur Tirol.

Was macht die Standortagentur Tirol genau?
Die Standortagentur Tirol ist eine Tochter der Lebensraum Tirol Holding und arbeitet daran, den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Tirol wettbewerbsfähig zu halten. Das tut sie, indem sie Innovation, Forschung und Kooperation motiviert und so nachhaltiges Wachstum ermöglicht.
Nachhaltigkeit wird auch über das Stärkefeld Erneuerbare Energien vorangetrieben. Ein eigener Cluster vernetzt diese Branche und forciert Innovationen. Die Überleitung in andere Branchen, wie den produzierenden Sektor oder den Tourismus, funktioniert über eine enge Zusammenarbeit mit den anderen Clustern. Nachhaltigkeit ist uns wichtig, denn nachhaltiges Wachstum ist jenes Wachstum, das bleibt – es berücksichtigt die Limits des Natural Capital, in das alles Wirtschaften eingebettet ist.

Sie sind Clustermanagerin für den Bereich Erneuerbare Energien, was machen Sie da genau?
Der Cluster „Erneuerbare Energien“ ist einer von insgesamt sechs Clustern, die von der Standortagentur als Drehscheibe für Innovationen und Kooperationen geführt werden. Als Clustermanagerin kümmere ich mich insbesondere darum, dass Menschen und Ideen zusammenkommen und sich vernetzen. Das passiert im persönlichen Gespräch – bei Besuchen, die wir Unternehmen und Forschungseinrichtungen abstatten – ebenso wie bei Veranstaltungen. Ein Beispiel dafür sind die sogenannten Impulsgespräche: Betriebe stellen ihre Ideen vor und diskutieren Chancen der Umsetzung mit potenziellen PartnerInnen.
Aktuelle, internationale Trends zu beobachten und diese zu den Mitgliedsbetrieben zu bringen bzw. auch umgekehrt, Themen, die aus den Mitgliedsbetrieben kommen, aufzugreifen, sind weitere meiner Aufgaben.
Ein Thema, das wir gemeinsam mit den anderen Clustern bearbeiten wollen, ist die auch von der EU forcierte Kreislaufwirtschaft. Gemeinsam mit der Energiewende hilft sie, Treibhausgasemissionen zu senken und hoffentlich den Klimawandel aufzuhalten.

Was fasziniert Sie an dem Themenbereich “Erneuerbare Energien“?
Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen, die die Menschheit jemals bewältigen musste. Es sind daher die Bedeutung von Energieeffizienz und Erneuerbaren Energien für uns Menschen und die Rolle, die diese Bereiche in Zukunft spielen werden, die mich faszinieren. Das sind Zukunftsthemen. Sie sind auch ein enormer Wirtschaftsfaktor, es können in diesem Bereich eine beträchtliche Zahl neuer Arbeitsplätze in lokalen Unternehmen entstehen. Ich freue mich daher, dass ich meinen Beitrag dazu leisten kann, dass in diesen Bereichen etwas weitergeht.

Wie hoch ist der Frauenanteil im technischen Bereich bei der Standortagentur Tirol?
Im Team Technik sind wir acht Personen und drei davon sind Frauen (37,5 %).

Was bietet die Standortagentur Tirol zur Förderung von Chancengleichheit?
Die Standortagentur Tirol ist sich der Wichtigkeit der Chancengleichheit für Frauen und Männer bewusst. Dieses Frühjahr nehmen beispielsweise alle MitarbeiterInnen – und natürlich auch die Geschäftsführung – an einer Weiterbildung zum Thema Gender Mainstreaming teil.
Digitalisierte Arbeitsformen machen uns nicht nur hoch einsatzfähig, wie aktuell während der Maßnahmen rund um das Corona-Virus, sondern erleichtern auch das Home Office und ermöglichen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
In den Clustern integrieren wir das Thema in Förderanträgen, wie zuletzt anlässlich der COSME (Europe´s Programme for SMEs) Ausschreibung. Auch bei unseren Angeboten und Dienstleistungen achten wir verstärkt auf Chancengleichheit. Das Gründungszentrum Startup.Tirol, ein Tochterunternehmen der Standortagentur Tirol, hat kürzlich ein Coaching- und Förderprogramm explizit für weibliche Gründerinnen aufgelegt.

Sie haben Physik an der Universität Innsbruck studiert. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Das ist eigentlich relativ simpel: Ich hatte einen großartigen Physiklehrer. Das war definitiv entscheidend, denn meine Interessen waren und sind breit gefächert. So viele Gebiete sind hochinteressant, egal ob Physik, Chemie, Biologie oder Geschichte.
Unser Physiklehrer stellte den Bezug zu spannenden und aktuellen Themen der Zeit her: Anlässlich der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl besprachen wir die verschiedenen Reaktortypen, wie es zu diesem Unfall kommen konnte und besuchten ein Atomkraftwerk in der Schweiz. Wir waren im Technischen Museum in München und verbrachten dort einen spannenden Tag. Im letzten Jahr gab er uns erste Einblicke in die Quantenwelt. Er hatte ganz klar ein Talent dafür, seine Schülerinnen - ich habe ein Mädchengymnasium besucht - für sein Fach zu begeistern.

In Ihrem Doktorats Studium haben Sie an der ersten Realisierung von Heisenbergs Gedankenexperiment, besser bekannt als „Beamen“ gearbeitet. Wie kam es zu dieser Entscheidung und was war das Besondere daran?
Heisenbergs Unschärferelation besagt, dass man bei kleinsten Teilchen nicht alle Größen gleichzeitig scharf messen kann. Begründet ist das nicht in den technischen Grenzen von Messgeräten, sondern das ist ein Naturgesetz. Einstein konnte damit nichts anfangen, was er ausdrückte mit seinem berühmten Spruch „Gott würfelt nicht“. Mittels der erstmaligen experimentellen Umsetzung von Heisenbergs Gedankenexperiment konnten wir im Labor zeigen, dass es tatsächlich nicht möglich ist, den genauen Ort und Impuls eines Teilchens gleichzeitig zu kennen.

Heisenbergs Gedankenexperiment und beamen ist, wie man sieht, nicht dasselbe, aber was haben die beiden miteinander zu tun?
Wenn man die Eigenschaften eines Teilchens nicht alle gleichzeitig scharf messen kann, kann man es auch nicht kopieren. Wie übertrage ich dann aber die Eigenschaften eines Teilchens auf ein anderes? An diesem Punkt kommt das „Beamen“ ins Spiel, wissenschaftlich ausgedrückt die Quantenteleportation.
Alle diese Dinge haben weitreichende Konsequenzen, so kann mittels der Quantentheorie beispielsweise eine abhörsichere Übertragung von Information realisiert werden. Eine Zuhörerschaft, die mithören will, muss dazu die Teilchen, die gesendet werden, abfangen und deren Eigenschaften messen. Dies ist aber nicht für alle Eigenschaften möglich, es kann keine perfekte Kopie des gemessenen – und damit zerstörten – Teilchens weitergesendet werden. Auf die einhergehenden Fehler kann man testen und damit die Zuhörerschaft ausfindig machen. Ergo – abhörsicher.

Wieso haben Sie sich anschließend für die angewandte Forschung bzw. Erneuerbare Energie entschieden?
Ich habe nach dem Studium zuerst für die Firma Kapsch in Wien gearbeitet. Anschließend bin ich mit meinem Mann nach Nordamerika übersiedelt und drei Jahre später nach Kanada.
Die vielen Umzüge haben mich in sozialer Hinsicht und bezüglich Frauenthemen stark sensibilisiert. Die Umzüge beinhalten sehr viel mehr als nur einen Ortswechsel, in einem Wort nennt sich das dann auch „Kulturschock“.
In Kanada hatte ich bei der CSE (Communications Security Establishment Canada) die Gelegenheit, zu Projekten im Bereich der Quantenkryptographie zu arbeiten. Die Chance zur Projektarbeit kam mir damals sehr entgegen. Mein Mann und ich haben insgesamt vier Kinder und unser Ältester hat eine Behinderung.
Zurück in Österreich und nach unserem vierten Kind wollte ich mich beruflich wieder eng an ein Unternehmen binden. Gleichzeitig war es für mich essenziell, mit meiner Arbeit einen sinnvollen Beitrag leisten zu können. Mit dem Stellenangebot der Standortagentur Tirol für den Bereich Erneuerbare Energien hat sich genau diese Möglichkeit auch geboten. Für unser 2012 gebautes Haus war für uns damals schon nur eine Wärmepumpe in Frage gekommen, auch wenn es keine Förderungen dafür gab. Ich freue mich sehr, dass das heute anders ist.

Was braucht es Ihrer Meinung nach noch, um mehr Mädchen und Frauen zu motivieren in Naturwissenschaft und Technik Fuß zu fassen?
Sowohl Mädchen als auch Buben würden davon profitieren, wenn wir sie schon im Kindergartenalter für technische Themen begeistern könnten. Dazu braucht es spezifische Programme, die auch für die Volksschule zu konzipieren wären. Die PädagogInnen behandeln wirklich spannende Themen, aber relativ wenig geht in Richtung Physik und Technik – zumindest ist das meine Erfahrung.
Wir brauchen definitiv mehr Männer, mehr männliche Vorbilder, in den Kindergärten und Volksschulen.
Kleinere Technische Museen in den Bundesländern würden helfen, das Interesse in Kindern zu wecken, sie ermöglichen die spielerische Auseinandersetzung mit Physik und Technik.
Außerdem würde ich mir wünschen, dass es Kinderbücher von Frauen für Mädchen gibt, in denen technisch versierte Heldinnen die Welt retten.
Was mich positiv stimmt ist, dass der Frauenanteil in vielen Studien, die vorher völlig männerbesetzt waren, durchaus gestiegen ist. In der Physik sind es derzeit ca. 30 Prozent Frauen, der Wert ist 10-mal höher als zu jener Zeit, als ich mit dem Studium angefangen habe.


Word-Rap mit Birgit Weihs-Dopfer

Womit ich als Kind am Liebsten gespielt habe:
Mit Playmobil – der Kreativität sind da keine Grenzen gesetzt – und „mit Büchern“. Ich liebe lesen!
Als 10-Jährige habe ich mir ein ferngesteuertes Auto gewünscht, meine Eltern fanden das damals etwas merkwürdig.

Mein Lieblingsfach in der Schule war:
Biologie, Physik, Chemie und Geschichte – das war alles spannend! Die gute Lehrkraft ist essentiell.

Dieses Studium würde ich jetzt wählen:
Physik

Mein Vorbild ist:
Der Dalai Lama – er besuchte 1998 meinen Betreuer Univ.-Prof. Dr Anton Zeilinger, in Innsbruck. Seine Freundlichkeit, Fröhlichkeit und Empathie für alles Lebendige zu erleben sowie der Frieden, der mit seinem Betreten den Raum erfüllte und alle erfasste, haben mich geprägt.

Was ich gerne erfinden würde:
Eine leistungsstarke, sonnenbetriebene CO2-Sequestrierungsanlage, um den rapide fortschreitenden Klimawandel einbremsen zu können.

Wenn der Frauenanteil in der Technik 50 Prozent beträgt …
… dann wird sich das Miteinander in diesen Berufen entscheidend verändert haben und auch die Zielgruppen und Themen der technischen F&E. Gendermedizin ist bereits ein Begriff, Gendertechnik gibt es nicht.

Wenn der Frauenanteil in Führungspositionen 50 Prozent beträgt …
… dann haben wir in unserer Gesellschaft einiges verändert: neue Arbeits(zeit)modelle;  Elternteile, die zu gleichen Teilen in Karenz sind; eine faire Aufteilung von bezahlter und nicht-bezahlter Arbeit zwischen Männern und Frauen; Männer, die gemeinsam mit ihren Frauen zuhause Verantwortung übernehmen statt zu „helfen“; ein neues Eigenverständnis von Frauen durch alle Gesellschaftsschichten hindurch, uvm.

Was ich mir aber wirklich wünsche ist,  dass „gender equality“ in allen Nationen dieser Erde gelebt wird mit allem, was dazugehört, insbesondere der Freiheit der Selbstbestimmung.

Was verbinden Sie mit Innovation:
Nachhaltigkeit. Unternehmen, die nachhaltig sind, sind auch innovativ, weil sie alte Denkmuster ablegen und neue Weg gehen. Innovation ohne Nachhaltigkeit ist für mich wie Butter ohne Brot.

Warum ist Forschungsförderung in Österreich wichtig:
Aus meiner Sicht sollte die Grundlagenforschung in Österreich wesentlich stärker gefördert werden, hier schneiden wir international gesehen nicht gut ab. Wir haben großartige ForscherInnen in diesem Land, diese brauchen aber auch die finanziellen Mittel, um gut arbeiten zu können.

Die Grundlagenforschung ist die Basis aller angewandten Forschung und damit der Erfolg unserer Unternehmen und unserer Wirtschaft. Es soll Faraday gewesen sein, der auf die Frage des Schatzkanzlers, welchen Nutzen seine Experimente zur Elektrizität denn hätten, zitierte: „One day, Sir, you may tax it!“

Meine Leseempfehlung lautet: 
Ender’s Game: ein großartiges Buch für alle, die Science Fiction mögen. Die Verfilmung ist allerdings (trotz Staraufgebot) nicht zu empfehlen.
„The Sneetches“ und „The Lorax“ von Dr. Seuss: geschrieben in den 60er und 70er Jahren weist Theodor Seuss Geisel in eindringlichen Worten auf die Probleme von Rassismus und Umweltzerstörung hin. Trotz dieser schweren Themen setzt er Sprache in einer großartigen Leichtigkeit ein, spielt mit Wörtern und bringt damit diese Fragen Erwachsenen und Kindern gleichermaßen näher. In Österreich ist er besser bekannt für „Horton hört ein Hu!“ („Horton hears a Who!”) oder „Der Grinch“ („How the Grinch stole Christmas“).

Alle Bücher empfehle ich insbesondere im englischen Original.