Expertin des Monats
Sept. 2020
DIin Dr.in Ruth Markut-Kohl

Ich bin Entwicklungsingenieurin. Für mich der spannendste, kreativste Beruf, den ich mir vorstellen kann. Warum ist er das nur für weniger als 10 % der Frauen? Vielleicht weil man was man nicht sieht, nicht benennen kann? – Was man nicht benennen kann, kann man sich nicht vorstellen, das gibt es nicht. Für mich ist es daher wichtig als Frau in diesem tollen Beruf sichtbar zu sein und damit zu zeigen, es gibt sie – diese „MINT-Frauen“ (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik).

Interview

Interview mit Ruth Markut-Kohl

Was steht auf Ihrer Visitenkarte?
DIin Dr.in Ruth Markut-Kohl
Entwicklung Digitales Spritzgießen
Development Digital Injection Molding
ENGEL AUSTRIA GmbH, Ludwig-Engel-Straße 1, 4311 Schwertberg

Was macht die ENGEL AUSTRIA GmbH genau? 
ENGEL entwickelt und produziert Spritzguss-Komplettlösungen. Diese umfassen Spritzguss-Maschinen, Prozesstechnologien, Automatisierungs- und Digitalisierungslösungen. So produziert ENGEL zum Beispiel Maschinen von der Größe eines Esstisches (e-motion 50/30 TL) bis zu Maschinen, so groß wie ein zweistöckiges Haus. ENGEL ist ein österreichisches Familienunternehmen mit weltweit 6.500 Mitarbeiter*innen. 

Sie sind Entwicklungsingeneurin für Digitales Spritzgießen. Was machen Sie da genau? 
Meine Kolleg*innen und ich entwickeln digitale Tools um den Nutzer*innen  der Spritzgießmaschine das Arbeitsleben zu erleichtern. Diese Tools können Softwareprogramme sowohl an der Steuerung der Spritzgießmaschine als auch im Web sein. Wir verwenden die Daten der gesamte Wertschöpfungskette – also von der Produkt-Idee bis zum Recycling. Wie nutzen sie um die Qualität des Kunststoffprodukts zu verbessern, die Entwicklung und Produktion effizienter zu gestalten und eine passende Wiederverwendung oder Recycling zu ermöglichen. Wichtig ist dabei, dass wir die richtigen Daten in der richtigen Form an der richtigen Stelle anzeigen. Diese Informationen für Nutzer*innen ermöglichen  situationsbezogen einfacher, besser und schneller eine Entscheidung zu treffen, was als nächstes zu tun ist. Dabei spielen Methoden wie Simulation, Digitalisierung, Digitale Zwillinge u.v.m. eine wesentliche Rolle. Der Mehrwert für die Nutzer*innen  liegt darin, dass sie den Spritzguß-Prozess besser verstehen und die Produktion effizienter gestalten können.

Was fasziniert Sie an Ihrem Arbeitsbereich?
Die Interdisziplinarität! Ich selbst bin Chemikerin, die im Bereich Maschinenbau - Werkstoffwissenschaft promoviert hat. Meine Kolleg*innen haben Ausbildungen in den Bereichen Physik, Maschinenbau, Mechatronik, Kunststofftechnik, Informatik, …. Das Thema Prozesstechnologie – digitales Spritzgießen – ist ein absolutes Querschnittsthema. Das macht es für mich so spannend, kreativ und innovativ.

An welchen Projekten arbeiten Sie aktuell?
Aktuell arbeite ich daran mit Hilfe von Daten aus Simulationen und den vorgelagerten Schritten des Wertschöpfungsprozesses, die Einstellung des Spritzgießprozesses und der Maschine zu vereinfachen. Dazu erarbeiten meine Kolleg*innen und ich Vorgehensweisen, die den Nutzer*innen eine bequeme Einstellung des Spritzgieß-Prozesses über Apps ermöglichen werden. Durch Vernetzung mit der Spritzgießmaschine könen die vorab generierten Settings, schon beim ersten Anfahren eines Werkzeugs an der Maschine genutzt werden. Industrie 4.0 Produkte dieser Art gibt es im Spritzguss-Bereich derzeit keine vergleichbaren am Markt. Damit unsere Kund*innen die Produkte nutzen, müssen sie an deren Workflows angepasst sein und die Effizienz über ihre Erwartung hinaus steigern. Um das zu erreichen entwickeln wir nutzerInnenzentriert und agil – das heißt wir stehen auch als Entwickler*innen in engem Kontakt mit Kund*innen und anderen Steakholdern wie z.B. Werkzeugmacher*innen, um ihre Bedürfnisse kennen zu lernen, Prototypen zu testen und uns Feedback zu holen.

Sie haben die ENGELinterne Technikerinnen Plattform gegründet. Was macht die Plattform genau?
Der Frauenanteil im technischen Bereich bei ENGEL ist vergleichbar zu anderen Maschinenbauunternehmen – d.h. niedrig. Dies macht es für die Frauen nicht einfach. Eine Kollegin und ich wollten mit der Plattform den Frauen mit technischer Ausbildung und / oder im technischen Arbeitsumfeld einen Austausch ermöglichen. Unser Wunsch war auch mal aktuelle Arbeitsthemen aus einem weiblichen Blickwinkel zu diskutieren und zugleich auch die Möglichkeit zu schaffen von weiblichen Vorbildern zu lernen. Mit Unterstützung der Personalabteilung haben wir die Technikerinnen Plattform gegründet. Mit dem Ziel uns gegenseitig kennen zu lernen und zu unterstützen. Nach dem Motto „Du bist nicht alleine“ möchten wir den Stress, alleine unter lauter Männern zu sein, reduzieren. Dabei ist es total spannend zu sehen wie vielfältig die Frauen, ihre Vitas und ihre Aufgaben bei ENGEL sind! 

Sie haben vorerst Philosophie und Technische Chemie studiert. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Ich habe mit dem Studium der Technischen Chemie begonnen aber gegen Ende des ersten Abschnitts bemerkt, dass es nicht ganz das Richtige für mich ist. Da ich nicht wusste was ich sonst machen wollte, habe ich begonnen parallel Philosophie an der Universität Wien zu studieren. Statt nach „entweder – oder“, habe ich versucht nach „und“ zu handeln, um den für mich damals besten Weg zu finden. Das Philosophiestudium hat mir gezeigt, dass ich eine „Technikerin“ bin – ich möchte gestalten, naturwissenschaftliche Prinzipien nutzen, um damit was Sinnvolles zu entwickeln. Zusätzlich habe ich im Philosophiestudium gelernt, die eigenen gedanklichen Grenzen zu hinterfragen und das als sehr befreiend erlebt. Ich habe aber nur mein technisches Studium fortgesetzt. Im zweiten Studienabschnitt habe ich sehr individuell meine Interessen vertieft (das war damals noch möglich) und sehr viele Lehrveranstaltungen, die die TU Wien zum Thema Werkstoffwissenschaft angeboten hat, besucht. So habe ich Fr. Prof.in Seidler (von der Fakultät Maschinenbau) kennengelernt. Ihre Vorlesungen haben mich so für Kunststoff-Werkstoffe begeistert, dass ich nach dem Diplomstudium eine Dissertation bei ihr angeschlossen habe und mehrere Jahre als Assistentin am Institut für Werkstoffwissenschaft und Werkstofftechnologie gearbeitet habe.

Wieso haben Sie sich schlussendlich für die außeruniversitäre Forschung entschieden?
Weil in der industriellen Forschung und Entwicklung einfacher die Möglichkeit besteht, Ideen in Produkte umzusetzen. 
Meine Erfahrungen in der universitären Forschung waren geprägt von großer Freiheit im Denken und Ausprobieren, einer befreienden Internationalität und einem starken Zusammenhalt unter Forscher*innen. Aber leider auch von unsicheren Beschäftigungsverhältnissen (sowohl für mich selbst, mit zunehmender Karriere aber auch für die eigenen Mitarbeiter*innen), schwierigen Infrastruktur-Gegebenheiten und viel Bürokratie.
Bei ENGEL habe ich die Verbindung zur universitären Forschung nicht verloren. Ich arbeite unter anderem sehr eng mit Kolleg*innen am Institut für Polymer-Spritzgießtechnik und Prozessautomatisierung (IPIM) an der Linzer Johannes-Kepler-Universität zusammen. Wir können uns gemeinsam die Dinge im Detail ansehen und durchdenken. Anschließend können wir mit den Möglichkeiten, die eine große Firma wie ENGEL bietet, Ideen zu Produkten zeitnah umsetzen. 
Wie sehr ENGEL die Grundlagen des Spritzgießens im Fokus hat, kann man auch daran erkennen, dass ENGEL bei den österreichischen Patentanmeldungen 2019 auf Platz 3 liegt. Es freut mich sehr, dass ich bei 3 dieser ENGEL Anmeldungen Miterfinderin bin.

Was braucht es Ihrer Meinung nach noch, damit mehr Mädchen und Frauen in Naturwissenschaft und Technik Fuß fassen?
Ein für mich wesentlicher Punkt um Mädchen und Frauen für Naturwissenschaft und Technik zu begeistern ist eine genderdiverse Techniksprache - was meine ich damit: z.B. man kann einen Chemiebaukasten (sinngemäß gilt Gleiches für Elektronik, Mechanik, …) „Experimentier-Labor für kleine Nerds“ nennen. Vielleicht spricht aber ein „Parfum-Herstellungs-Zauber für kleine Prinzessinnen“ oder so ähnlich, Kindergruppen an, die sich für die Sache interessieren aber den, klassischer Weise, mit der Sache umgehängten Stempel (z.B. Nerd) für nicht erstrebenswert halten (bzw. aus gesellschaftlicher Sicht: halten dürfen). Diese Kindergruppen werden aber dann inhaltlich abgehängt – wenn man erst in oder nach der Pubertät anfängt zu seinen Interessen zu stehen, muss man Wissen aufholen, das in seiner Selbstverständlichkeit nicht aufholbar ist.

Für mich geht es darum Hürden abzubauen. Was aus meiner eigenen Erfahrung Sinn macht, sind Angebote an Mädchen (und Buben) sich mit Themen beschäftigen zu können, die abseits der Themen liegen mit denen sich Mädchen (und Buben) traditionell beschäftigen: Zum Beispiel sich mit naturwissenschaftlichen Methoden ein Thema anzusehen - hier kann die geeignete Auswahl des Themas verstärkt Mädchen ansprechen, oder mit Hilfe von Technik etwas Neues zu schaffen und das in sozialer Interaktion anzugehen. Angesichts des Klimawandels werden zukünftig noch mehr Menschen mit diesen Fähigkeiten gebraucht!

Hat man nun die Mädchen und Frauen begeistert, braucht es um Fuß zu fassen eine Ausbildung, einen Beruf und Zukunftsperspektiven. Hier sind Technikerinnnen als Vorbilder und Mentorinnen von großer Bedeutung. Auch die familiäre und gesellschaftliche Akzeptanz ist ein zentraler Punkt wie die Sichtbarkeit von Frauen in der Technik, wie sie z.B. von FEMtech geschaffen wird, ist dabei ganz wichtig.

Ob das alles zu mehr Mädchen und Frauen in Naturwissenschaft und Technik führt weiß ich nicht – ich hoffe es führt zu glücklicheren Kindern, Frauen und Männern!

 

Wordrap mit Ruth Markut-Kohl

Womit ich als Kind am Liebsten gespielt habe:
mit Puppen & im Wald und auf der Wiese

Dieses Studium würde ich jetzt wählen:
Werkstoffwissenschaft

Mein Vorbild ist:
Sabine Seidler, Physikerin, Rektorin der TU Wien – Fr. Seidler war meine Doktormutter. Ich habe bei ihr die Selbstverständlichkeit, jenseits der Frage ob Frau oder Mann, in einem innovativen, technischen Umfeld zu arbeiten erlebt. 

Was ich gerne erfinden würde:
eine sinnvolle Methode, Kunststoffabfälle zu recyclieren. Darüber hinaus Wege um Kunststoffabfälle aus der Umwelt einerseits zu entfernen und andererseits zu verhindern, dass sie zukünftig gar nicht erst dorthin gelangen. Zum letzten Punkt versuche ich durch meine Arbeit beizutragen.

Wenn der Frauenanteil in der Technik 50 Prozent beträgt …
würden andere Produkte – mit einem anderen Zweck und in anderer Ausgestaltung - zur Marktreife entwickelt. Ich glaube, dass auch im technischen Bereich diverse Teams, also z.B. heterogene, interdisziplinäre Teams aus Frauen und Männern, besser funktionieren. Möglichst vielseitige Blickwinkel und Denkweisen im Team führen zu besseren Produkten, da auch die vielseitigen Erwartungen der Kund*innen besser abgedeckt sind (und leichter übertroffen werden können!).

Wenn der Frauenanteil in Führungspositionen 50 Prozent beträgt …
wäre notwendiger Weise auch die Care-Arbeit anders verteilt.

Was verbinden Sie mit Innovation:
die Kombination von Kreativität, technischem Wissen und der Möglichkeit potentielle KundInnen mit einem Produkt zu erreichen. 

Warum ist Forschungsförderung in Österreich wichtig:
weil technisches Wissen, das Innovationen ermöglicht nicht rein aus vorhandenem Wissen bestehen kann: Wenn innovative Produkte in Österreich entwickelt und hergestellt werden sollen, dann braucht es Grundlagenforschung, Menschen, die diese Forschung betreiben können, und die Vernetzung zur Industrie – dafür braucht es Forschungsförderung.

Meine Leseempfehlung lautet:
Das Design Thinking Playbook“ von Michael Lewrick, privat: „Haben oder Sein“ von Erich Fromm

Ruth Markut-Kohl
DIin Dr.in Ruth Markut-Kohl

ENGEL AUSTRIA GmbH

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Letzte Aktualisierung: 21.09.2016